Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Versuch. Ueber die Natur
ner neuen Form hervorkommen, welche Aehnlichkeiten
mit Vorstellungen, und sie nach dieser Aehnlichkeit erwe-
cken, denen jene erstern blos reproducirten nicht ähnlich
waren, und die sie also auch in dieser Ordnung nicht wie-
derhervorgezogen haben würden. Der Uebergang von
einer Jdee zu der nächstfolgenden geschicht in einem sol-
chen Fall, nicht wegen der Aehnlichkeit zwischen ihnen,
noch wegen ihrer ehemaligen Verbindung, sondern des-
wegen, weil eine Fiktion dazwischen tritt, die wegen ih-
rer Beziehung auf die nachfolgende diese zu erwecken Ge-
legenheit gab. Alsdenn entstehen auch neue Verknü-
pfungen von Jdeen, neue Ordnungen und neue Reihen.
Wie viele Augenblicke wirket in einem etwas lebhaften
Menschen die Phantasie wohl blos als Phantasie allein
nach der Regel der Association, ohne daß die geschäfti-
ge Dichtkraft sich einmische, und die Reihen auf eine
neue Art zusammenknüpfe? Man kann also, wie ich
oben erinnert habe, wohl mit jenem Gesetz der Associa-
tion nicht auslangen, um die Folge der Vorstellungen in
uns zu erklären.

10.

Was von der Wirksamkeit des Dichtungsvermö-
gens,
das nicht unfüglich die selbstthätige Phanta-
sie
genennet werden kann, in Hinsicht auf die allein wie-
dervorstellende Phantasie, die mehr leidend sich verhält,
gesaget worden ist, das erstrecket sich nicht nur über die
Vorstellungen aus dem äußern Sinn, und über die
Vorstellungen von körperlichen Gegenständen; sondern
auch über die Vorstellungen aus dem innern Sinn.
Es erstrecket sich auf alle Gattungen von Vorstellungen,
auf die Vorstellungen von unsern Gemüthsbewegungen,
von unsern Thätigkeiten des Vorstellens und des Den-
kens selbst, und auf die Vorstellungen von unsern Wil-
lensäußerungen. Jede dieser Vorstellungen ist entwe-

der

I. Verſuch. Ueber die Natur
ner neuen Form hervorkommen, welche Aehnlichkeiten
mit Vorſtellungen, und ſie nach dieſer Aehnlichkeit erwe-
cken, denen jene erſtern blos reproducirten nicht aͤhnlich
waren, und die ſie alſo auch in dieſer Ordnung nicht wie-
derhervorgezogen haben wuͤrden. Der Uebergang von
einer Jdee zu der naͤchſtfolgenden geſchicht in einem ſol-
chen Fall, nicht wegen der Aehnlichkeit zwiſchen ihnen,
noch wegen ihrer ehemaligen Verbindung, ſondern des-
wegen, weil eine Fiktion dazwiſchen tritt, die wegen ih-
rer Beziehung auf die nachfolgende dieſe zu erwecken Ge-
legenheit gab. Alsdenn entſtehen auch neue Verknuͤ-
pfungen von Jdeen, neue Ordnungen und neue Reihen.
Wie viele Augenblicke wirket in einem etwas lebhaften
Menſchen die Phantaſie wohl blos als Phantaſie allein
nach der Regel der Aſſociation, ohne daß die geſchaͤfti-
ge Dichtkraft ſich einmiſche, und die Reihen auf eine
neue Art zuſammenknuͤpfe? Man kann alſo, wie ich
oben erinnert habe, wohl mit jenem Geſetz der Aſſocia-
tion nicht auslangen, um die Folge der Vorſtellungen in
uns zu erklaͤren.

10.

Was von der Wirkſamkeit des Dichtungsvermoͤ-
gens,
das nicht unfuͤglich die ſelbſtthaͤtige Phanta-
ſie
genennet werden kann, in Hinſicht auf die allein wie-
dervorſtellende Phantaſie, die mehr leidend ſich verhaͤlt,
geſaget worden iſt, das erſtrecket ſich nicht nur uͤber die
Vorſtellungen aus dem aͤußern Sinn, und uͤber die
Vorſtellungen von koͤrperlichen Gegenſtaͤnden; ſondern
auch uͤber die Vorſtellungen aus dem innern Sinn.
Es erſtrecket ſich auf alle Gattungen von Vorſtellungen,
auf die Vorſtellungen von unſern Gemuͤthsbewegungen,
von unſern Thaͤtigkeiten des Vorſtellens und des Den-
kens ſelbſt, und auf die Vorſtellungen von unſern Wil-
lensaͤußerungen. Jede dieſer Vorſtellungen iſt entwe-

der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0200" n="140"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Natur</hi></fw><lb/>
ner neuen Form hervorkommen, welche Aehnlichkeiten<lb/>
mit Vor&#x017F;tellungen, und &#x017F;ie nach die&#x017F;er Aehnlichkeit erwe-<lb/>
cken, denen jene er&#x017F;tern blos reproducirten nicht a&#x0364;hnlich<lb/>
waren, und die &#x017F;ie al&#x017F;o auch in die&#x017F;er Ordnung nicht wie-<lb/>
derhervorgezogen haben wu&#x0364;rden. Der Uebergang von<lb/>
einer Jdee zu der na&#x0364;ch&#x017F;tfolgenden ge&#x017F;chicht in einem &#x017F;ol-<lb/>
chen Fall, nicht wegen der Aehnlichkeit zwi&#x017F;chen ihnen,<lb/>
noch wegen ihrer ehemaligen Verbindung, &#x017F;ondern des-<lb/>
wegen, weil eine Fiktion dazwi&#x017F;chen tritt, die wegen ih-<lb/>
rer Beziehung auf die nachfolgende die&#x017F;e zu erwecken Ge-<lb/>
legenheit gab. Alsdenn ent&#x017F;tehen auch neue Verknu&#x0364;-<lb/>
pfungen von Jdeen, neue Ordnungen und neue Reihen.<lb/>
Wie viele Augenblicke wirket in einem etwas lebhaften<lb/>
Men&#x017F;chen die Phanta&#x017F;ie wohl blos als Phanta&#x017F;ie allein<lb/>
nach der Regel der A&#x017F;&#x017F;ociation, ohne daß die ge&#x017F;cha&#x0364;fti-<lb/>
ge Dichtkraft &#x017F;ich einmi&#x017F;che, und die Reihen auf eine<lb/>
neue Art zu&#x017F;ammenknu&#x0364;pfe? Man kann al&#x017F;o, wie ich<lb/>
oben erinnert habe, wohl mit jenem Ge&#x017F;etz der A&#x017F;&#x017F;ocia-<lb/>
tion nicht auslangen, um die Folge der Vor&#x017F;tellungen in<lb/>
uns zu erkla&#x0364;ren.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>10.</head><lb/>
            <p>Was von der Wirk&#x017F;amkeit des <hi rendition="#fr">Dichtungsvermo&#x0364;-<lb/>
gens,</hi> das nicht unfu&#x0364;glich die <hi rendition="#fr">&#x017F;elb&#x017F;ttha&#x0364;tige Phanta-<lb/>
&#x017F;ie</hi> genennet werden kann, in Hin&#x017F;icht auf die allein wie-<lb/>
dervor&#x017F;tellende Phanta&#x017F;ie, die mehr leidend &#x017F;ich verha&#x0364;lt,<lb/>
ge&#x017F;aget worden i&#x017F;t, das er&#x017F;trecket &#x017F;ich nicht nur u&#x0364;ber die<lb/>
Vor&#x017F;tellungen aus dem <hi rendition="#fr">a&#x0364;ußern Sinn,</hi> und u&#x0364;ber die<lb/>
Vor&#x017F;tellungen von ko&#x0364;rperlichen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden; &#x017F;ondern<lb/>
auch u&#x0364;ber die Vor&#x017F;tellungen aus dem <hi rendition="#fr">innern Sinn.</hi><lb/>
Es er&#x017F;trecket &#x017F;ich auf alle Gattungen von Vor&#x017F;tellungen,<lb/>
auf die Vor&#x017F;tellungen von un&#x017F;ern Gemu&#x0364;thsbewegungen,<lb/>
von un&#x017F;ern Tha&#x0364;tigkeiten des Vor&#x017F;tellens und des Den-<lb/>
kens &#x017F;elb&#x017F;t, und auf die Vor&#x017F;tellungen von un&#x017F;ern Wil-<lb/>
lensa&#x0364;ußerungen. Jede die&#x017F;er Vor&#x017F;tellungen i&#x017F;t entwe-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0200] I. Verſuch. Ueber die Natur ner neuen Form hervorkommen, welche Aehnlichkeiten mit Vorſtellungen, und ſie nach dieſer Aehnlichkeit erwe- cken, denen jene erſtern blos reproducirten nicht aͤhnlich waren, und die ſie alſo auch in dieſer Ordnung nicht wie- derhervorgezogen haben wuͤrden. Der Uebergang von einer Jdee zu der naͤchſtfolgenden geſchicht in einem ſol- chen Fall, nicht wegen der Aehnlichkeit zwiſchen ihnen, noch wegen ihrer ehemaligen Verbindung, ſondern des- wegen, weil eine Fiktion dazwiſchen tritt, die wegen ih- rer Beziehung auf die nachfolgende dieſe zu erwecken Ge- legenheit gab. Alsdenn entſtehen auch neue Verknuͤ- pfungen von Jdeen, neue Ordnungen und neue Reihen. Wie viele Augenblicke wirket in einem etwas lebhaften Menſchen die Phantaſie wohl blos als Phantaſie allein nach der Regel der Aſſociation, ohne daß die geſchaͤfti- ge Dichtkraft ſich einmiſche, und die Reihen auf eine neue Art zuſammenknuͤpfe? Man kann alſo, wie ich oben erinnert habe, wohl mit jenem Geſetz der Aſſocia- tion nicht auslangen, um die Folge der Vorſtellungen in uns zu erklaͤren. 10. Was von der Wirkſamkeit des Dichtungsvermoͤ- gens, das nicht unfuͤglich die ſelbſtthaͤtige Phanta- ſie genennet werden kann, in Hinſicht auf die allein wie- dervorſtellende Phantaſie, die mehr leidend ſich verhaͤlt, geſaget worden iſt, das erſtrecket ſich nicht nur uͤber die Vorſtellungen aus dem aͤußern Sinn, und uͤber die Vorſtellungen von koͤrperlichen Gegenſtaͤnden; ſondern auch uͤber die Vorſtellungen aus dem innern Sinn. Es erſtrecket ſich auf alle Gattungen von Vorſtellungen, auf die Vorſtellungen von unſern Gemuͤthsbewegungen, von unſern Thaͤtigkeiten des Vorſtellens und des Den- kens ſelbſt, und auf die Vorſtellungen von unſern Wil- lensaͤußerungen. Jede dieſer Vorſtellungen iſt entwe- der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/200
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/200>, abgerufen am 28.03.2024.