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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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über Empfindungen u. Empfindnisse.
Gefühl? Es sey so, so sind sie doch, das mindeste zu
sagen, die Bestandtheile des Gefühls von dem Ganzen.
Können sie genugsam aus einander gesetzet und abgeson-
dert werden, so wird jedes von ihnen für sich selbst beob-
achtbar. Jene Aktus sind das, was man die dunklen
Gefühle nennet, deren wir uns nicht einzeln, sondern
nur in ganzen Haufen zusammen bewußt sind. Sollten
sie, diese Elemente des ganzen Gefühls wohl etwas ver-
schiedenartiges in Hinsicht des letztern seyn? Jedes Ein-
fache kann etwas Heterogenes seyn, in Hinsicht des
Zusammengesetzten. Aber ist es glaublich, daß es hier
so sey? die Beobachtung kann, so viel ich meine, hier-
über nicht entscheiden.

Etwas näheres und mehr charakterisirendes bey dem
Gefühl zeiget sich in den Erfahrungssätzen, die nun folgen.

3.

Was unmittelbar gefühlet wird, ist allezeit, wo sich
diese Aeußerung unserer Seele beobachten lässet, etwas
leidentliches,
eine passive Modifikation der Seele; Es
ist entweder ein Eindruck von einer äußern Ursache auf
sie, die von ihr aufgenommen wird, eine Veränderung,
die sie zunächst und unmittelbar von den innern Organen
im Gehirn empfänget; oder wenn es auch eine solche
Veränderung ist, die die Seele vorhero selbst in sich be-
wirkt hat; so ist sie doch, in beiden Fällen alsdenn, wenn
sie gefühlet wird, auf eben die Art in uns vorhanden,
wie eine passive, und wie ein von außen aufgenomme-
ner Eindruck. Jch will nicht sagen, diese innere Ver-
änderung sey alsdenn in uns nichts anders, als eine
Modifikation in dem durch die Wirksamkeit der Seele
veränderten Gehirn, das auf die Seele zurückwirkt, wie
sich viele neuere Psychologen die Sache vorstellen. Wo-
her weiß man es? Dem sey wie ihm wolle, so ist das,
was wir in uns fühlen, als eine Passion in uns vorhan-

den.

uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
Gefuͤhl? Es ſey ſo, ſo ſind ſie doch, das mindeſte zu
ſagen, die Beſtandtheile des Gefuͤhls von dem Ganzen.
Koͤnnen ſie genugſam aus einander geſetzet und abgeſon-
dert werden, ſo wird jedes von ihnen fuͤr ſich ſelbſt beob-
achtbar. Jene Aktus ſind das, was man die dunklen
Gefuͤhle nennet, deren wir uns nicht einzeln, ſondern
nur in ganzen Haufen zuſammen bewußt ſind. Sollten
ſie, dieſe Elemente des ganzen Gefuͤhls wohl etwas ver-
ſchiedenartiges in Hinſicht des letztern ſeyn? Jedes Ein-
fache kann etwas Heterogenes ſeyn, in Hinſicht des
Zuſammengeſetzten. Aber iſt es glaublich, daß es hier
ſo ſey? die Beobachtung kann, ſo viel ich meine, hier-
uͤber nicht entſcheiden.

Etwas naͤheres und mehr charakteriſirendes bey dem
Gefuͤhl zeiget ſich in den Erfahrungsſaͤtzen, die nun folgen.

3.

Was unmittelbar gefuͤhlet wird, iſt allezeit, wo ſich
dieſe Aeußerung unſerer Seele beobachten laͤſſet, etwas
leidentliches,
eine paſſive Modifikation der Seele; Es
iſt entweder ein Eindruck von einer aͤußern Urſache auf
ſie, die von ihr aufgenommen wird, eine Veraͤnderung,
die ſie zunaͤchſt und unmittelbar von den innern Organen
im Gehirn empfaͤnget; oder wenn es auch eine ſolche
Veraͤnderung iſt, die die Seele vorhero ſelbſt in ſich be-
wirkt hat; ſo iſt ſie doch, in beiden Faͤllen alsdenn, wenn
ſie gefuͤhlet wird, auf eben die Art in uns vorhanden,
wie eine paſſive, und wie ein von außen aufgenomme-
ner Eindruck. Jch will nicht ſagen, dieſe innere Ver-
aͤnderung ſey alsdenn in uns nichts anders, als eine
Modifikation in dem durch die Wirkſamkeit der Seele
veraͤnderten Gehirn, das auf die Seele zuruͤckwirkt, wie
ſich viele neuere Pſychologen die Sache vorſtellen. Wo-
her weiß man es? Dem ſey wie ihm wolle, ſo iſt das,
was wir in uns fuͤhlen, als eine Paſſion in uns vorhan-

den.
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[173/0233] uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Gefuͤhl? Es ſey ſo, ſo ſind ſie doch, das mindeſte zu ſagen, die Beſtandtheile des Gefuͤhls von dem Ganzen. Koͤnnen ſie genugſam aus einander geſetzet und abgeſon- dert werden, ſo wird jedes von ihnen fuͤr ſich ſelbſt beob- achtbar. Jene Aktus ſind das, was man die dunklen Gefuͤhle nennet, deren wir uns nicht einzeln, ſondern nur in ganzen Haufen zuſammen bewußt ſind. Sollten ſie, dieſe Elemente des ganzen Gefuͤhls wohl etwas ver- ſchiedenartiges in Hinſicht des letztern ſeyn? Jedes Ein- fache kann etwas Heterogenes ſeyn, in Hinſicht des Zuſammengeſetzten. Aber iſt es glaublich, daß es hier ſo ſey? die Beobachtung kann, ſo viel ich meine, hier- uͤber nicht entſcheiden. Etwas naͤheres und mehr charakteriſirendes bey dem Gefuͤhl zeiget ſich in den Erfahrungsſaͤtzen, die nun folgen. 3. Was unmittelbar gefuͤhlet wird, iſt allezeit, wo ſich dieſe Aeußerung unſerer Seele beobachten laͤſſet, etwas leidentliches, eine paſſive Modifikation der Seele; Es iſt entweder ein Eindruck von einer aͤußern Urſache auf ſie, die von ihr aufgenommen wird, eine Veraͤnderung, die ſie zunaͤchſt und unmittelbar von den innern Organen im Gehirn empfaͤnget; oder wenn es auch eine ſolche Veraͤnderung iſt, die die Seele vorhero ſelbſt in ſich be- wirkt hat; ſo iſt ſie doch, in beiden Faͤllen alsdenn, wenn ſie gefuͤhlet wird, auf eben die Art in uns vorhanden, wie eine paſſive, und wie ein von außen aufgenomme- ner Eindruck. Jch will nicht ſagen, dieſe innere Ver- aͤnderung ſey alsdenn in uns nichts anders, als eine Modifikation in dem durch die Wirkſamkeit der Seele veraͤnderten Gehirn, das auf die Seele zuruͤckwirkt, wie ſich viele neuere Pſychologen die Sache vorſtellen. Wo- her weiß man es? Dem ſey wie ihm wolle, ſo iſt das, was wir in uns fuͤhlen, als eine Paſſion in uns vorhan- den.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/233>, abgerufen am 25.04.2024.