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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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und Bewußtseyn.
VI.
Ob das Gewahrnehmen einerley sey mit dem Ge-
fühl der Verhältnisse?

Noch eine Bemerkung über das Gewahrnehmen. Die
Erklärungsarten des Hrn. Bonnets von den
Wirkungen der Seelenvermögen, unterscheiden sich durch
ihre Genauigkeit und den dabey angewandten Scharf-
sinn so vorzüglich, daß man Ursache hat, überall auf sie
Rücksicht zu nehmen. Jst das Gewahrnehmen etwas
anders, als eine vorzügliche Vorstellung einer Sache,
mit einem Gefühl des Verhältnisses dieser Sache gegen
andere verbunden. So würde es eine zusammengesetzte
Wirkung seyn, die in dem Vorstellungsvermögen und
in dem Gefühl zugleich ihren Grund hat. Dafür muß
man es erklären, wenn man dem genannten Philosophen
auch da noch folgen will, wo er das Wiedererinnern
zergliedert.

Es giebt ein Gefühl der Verhältnisse und Be-
ziehungen,
ohnerachtet diese Art von Bestimmungen
kein unmittelbarer Gegenstand des Gefühls ist, wie in
dem vorhergehenden Versuch (N. III.) gezeiget ist. Aber
diese Gefühle von Verhältnissen sind auch eigentlich Ge-
fühle von innern absoluten Veränderungen, die von den
Verhältnissen und Beziehungen der Objekte abhangen.
Es ist außer Zweifel, daß wenn etwas wahrgenommen,
oder unterschieden wird, auch der Uebergang von dem
gewahrgenommenen Gegenstande auf andere gefühlet
werde. Daraus könnte das Entstehen der Verhältniß-
gedanken und des Gewahrnehmens, mit einem großen
Schein auf die folgende Art erkläret werden, die mit der
bonnetischen Psychologie übereinstimmen würde. Die
Vorstellung von der Sonne z. B. ist in uns gegenwär-
tig; die vom Monde auch. Laß nun zuvörderst die

Eine,
T 2
und Bewußtſeyn.
VI.
Ob das Gewahrnehmen einerley ſey mit dem Ge-
fuͤhl der Verhaͤltniſſe?

Noch eine Bemerkung uͤber das Gewahrnehmen. Die
Erklaͤrungsarten des Hrn. Bonnets von den
Wirkungen der Seelenvermoͤgen, unterſcheiden ſich durch
ihre Genauigkeit und den dabey angewandten Scharf-
ſinn ſo vorzuͤglich, daß man Urſache hat, uͤberall auf ſie
Ruͤckſicht zu nehmen. Jſt das Gewahrnehmen etwas
anders, als eine vorzuͤgliche Vorſtellung einer Sache,
mit einem Gefuͤhl des Verhaͤltniſſes dieſer Sache gegen
andere verbunden. So wuͤrde es eine zuſammengeſetzte
Wirkung ſeyn, die in dem Vorſtellungsvermoͤgen und
in dem Gefuͤhl zugleich ihren Grund hat. Dafuͤr muß
man es erklaͤren, wenn man dem genannten Philoſophen
auch da noch folgen will, wo er das Wiedererinnern
zergliedert.

Es giebt ein Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe und Be-
ziehungen,
ohnerachtet dieſe Art von Beſtimmungen
kein unmittelbarer Gegenſtand des Gefuͤhls iſt, wie in
dem vorhergehenden Verſuch (N. III.) gezeiget iſt. Aber
dieſe Gefuͤhle von Verhaͤltniſſen ſind auch eigentlich Ge-
fuͤhle von innern abſoluten Veraͤnderungen, die von den
Verhaͤltniſſen und Beziehungen der Objekte abhangen.
Es iſt außer Zweifel, daß wenn etwas wahrgenommen,
oder unterſchieden wird, auch der Uebergang von dem
gewahrgenommenen Gegenſtande auf andere gefuͤhlet
werde. Daraus koͤnnte das Entſtehen der Verhaͤltniß-
gedanken und des Gewahrnehmens, mit einem großen
Schein auf die folgende Art erklaͤret werden, die mit der
bonnetiſchen Pſychologie uͤbereinſtimmen wuͤrde. Die
Vorſtellung von der Sonne z. B. iſt in uns gegenwaͤr-
tig; die vom Monde auch. Laß nun zuvoͤrderſt die

Eine,
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[291/0351] und Bewußtſeyn. VI. Ob das Gewahrnehmen einerley ſey mit dem Ge- fuͤhl der Verhaͤltniſſe? Noch eine Bemerkung uͤber das Gewahrnehmen. Die Erklaͤrungsarten des Hrn. Bonnets von den Wirkungen der Seelenvermoͤgen, unterſcheiden ſich durch ihre Genauigkeit und den dabey angewandten Scharf- ſinn ſo vorzuͤglich, daß man Urſache hat, uͤberall auf ſie Ruͤckſicht zu nehmen. Jſt das Gewahrnehmen etwas anders, als eine vorzuͤgliche Vorſtellung einer Sache, mit einem Gefuͤhl des Verhaͤltniſſes dieſer Sache gegen andere verbunden. So wuͤrde es eine zuſammengeſetzte Wirkung ſeyn, die in dem Vorſtellungsvermoͤgen und in dem Gefuͤhl zugleich ihren Grund hat. Dafuͤr muß man es erklaͤren, wenn man dem genannten Philoſophen auch da noch folgen will, wo er das Wiedererinnern zergliedert. Es giebt ein Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe und Be- ziehungen, ohnerachtet dieſe Art von Beſtimmungen kein unmittelbarer Gegenſtand des Gefuͤhls iſt, wie in dem vorhergehenden Verſuch (N. III.) gezeiget iſt. Aber dieſe Gefuͤhle von Verhaͤltniſſen ſind auch eigentlich Ge- fuͤhle von innern abſoluten Veraͤnderungen, die von den Verhaͤltniſſen und Beziehungen der Objekte abhangen. Es iſt außer Zweifel, daß wenn etwas wahrgenommen, oder unterſchieden wird, auch der Uebergang von dem gewahrgenommenen Gegenſtande auf andere gefuͤhlet werde. Daraus koͤnnte das Entſtehen der Verhaͤltniß- gedanken und des Gewahrnehmens, mit einem großen Schein auf die folgende Art erklaͤret werden, die mit der bonnetiſchen Pſychologie uͤbereinſtimmen wuͤrde. Die Vorſtellung von der Sonne z. B. iſt in uns gegenwaͤr- tig; die vom Monde auch. Laß nun zuvoͤrderſt die Eine, T 2

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/351>, abgerufen am 19.04.2024.