Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Versuch. Ueber die Denkkraft
hervorbringen könnte. Dieses letztern Umstandes wegen
sind wir am öftersten zweifelhaft; denn wer kann sicher
seyn, daß da nichts im Verborgenen vorhanden sey, und
wirke, wo unsre Empfindung uns nichts anzeigt? Des-
wegen geben wir Acht, ob das, was auf die Aktion der
Ursache folget, nicht zurückbleibe, so oft die Aktion selbst
gehindert wird, oder aufhöret.

2.

Soviel dem Hrn. Hume eingeräumet, so sind wir
noch nicht über alles weg, was bey seiner Erklärung be-
denklich ist. Er schöpfet die Vorstellung von einer be-
ständigen Folge
des Einen auf das Andere, unsern
ganzen Begrif von der Verursachung des Einen durch
das Andere? Wir stellen es uns doch so vor, als wenn
die Wirkung von der Ursache abhänge, von ihr
hervorgebracht, und durch sie wirklich gemacht wer-
de. Enthält diese letztere Vorstellung nicht andere Ne-
benideen außer der beständigen Folge? Wir sehen die
Wirkung als etwas an, welches aus seiner Ursache be-
gre flich ist!
Jst das Begreiflich seyn aus einem
Andern nichts mehr, als so viel, daß die Jdee des Ei-
nen in uns hervorkomme, wenn die Jdee des Andern
gegenwärtig ist, ohne Rücksicht auf die Art und Weise,
wie jene diese in uns nach sich ziehet? und ist wohl die
Begreiflichkeit lediglich eine Folge von einer vorherge-
gangenen Association der Jdeen?

Jch mache erstlich diese vorläufige Erinnerung. Jn
solchen Fällen, wo die Verbindung zwischen den Jdeen
von der Ursache und von der Wirkung allein in der Asso-
ciation der Einbildungskraft
ihren Grund hat, wo-
hin die mehresten Urtheile dieser Art, die in den einfa-
chen Grundsätzen der Naturlehre liegen, gerechnet wer-
den können; da ist es doch gewiß, daß wir in unserm
Urtheil über ihre Dependenz von einander uns noch et-

was

IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
hervorbringen koͤnnte. Dieſes letztern Umſtandes wegen
ſind wir am oͤfterſten zweifelhaft; denn wer kann ſicher
ſeyn, daß da nichts im Verborgenen vorhanden ſey, und
wirke, wo unſre Empfindung uns nichts anzeigt? Des-
wegen geben wir Acht, ob das, was auf die Aktion der
Urſache folget, nicht zuruͤckbleibe, ſo oft die Aktion ſelbſt
gehindert wird, oder aufhoͤret.

2.

Soviel dem Hrn. Hume eingeraͤumet, ſo ſind wir
noch nicht uͤber alles weg, was bey ſeiner Erklaͤrung be-
denklich iſt. Er ſchoͤpfet die Vorſtellung von einer be-
ſtaͤndigen Folge
des Einen auf das Andere, unſern
ganzen Begrif von der Verurſachung des Einen durch
das Andere? Wir ſtellen es uns doch ſo vor, als wenn
die Wirkung von der Urſache abhaͤnge, von ihr
hervorgebracht, und durch ſie wirklich gemacht wer-
de. Enthaͤlt dieſe letztere Vorſtellung nicht andere Ne-
benideen außer der beſtaͤndigen Folge? Wir ſehen die
Wirkung als etwas an, welches aus ſeiner Urſache be-
gre flich iſt!
Jſt das Begreiflich ſeyn aus einem
Andern nichts mehr, als ſo viel, daß die Jdee des Ei-
nen in uns hervorkomme, wenn die Jdee des Andern
gegenwaͤrtig iſt, ohne Ruͤckſicht auf die Art und Weiſe,
wie jene dieſe in uns nach ſich ziehet? und iſt wohl die
Begreiflichkeit lediglich eine Folge von einer vorherge-
gangenen Aſſociation der Jdeen?

Jch mache erſtlich dieſe vorlaͤufige Erinnerung. Jn
ſolchen Faͤllen, wo die Verbindung zwiſchen den Jdeen
von der Urſache und von der Wirkung allein in der Aſſo-
ciation der Einbildungskraft
ihren Grund hat, wo-
hin die mehreſten Urtheile dieſer Art, die in den einfa-
chen Grundſaͤtzen der Naturlehre liegen, gerechnet wer-
den koͤnnen; da iſt es doch gewiß, daß wir in unſerm
Urtheil uͤber ihre Dependenz von einander uns noch et-

was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0376" n="316"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Denkkraft</hi></fw><lb/>
hervorbringen ko&#x0364;nnte. Die&#x017F;es letztern Um&#x017F;tandes wegen<lb/>
&#x017F;ind wir am o&#x0364;fter&#x017F;ten zweifelhaft; denn wer kann &#x017F;icher<lb/>
&#x017F;eyn, daß da nichts im Verborgenen vorhanden &#x017F;ey, und<lb/>
wirke, wo un&#x017F;re Empfindung uns nichts anzeigt? Des-<lb/>
wegen geben wir Acht, ob das, was auf die Aktion der<lb/>
Ur&#x017F;ache folget, nicht zuru&#x0364;ckbleibe, &#x017F;o oft die Aktion &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
gehindert wird, oder aufho&#x0364;ret.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>2.</head><lb/>
            <p>Soviel dem Hrn. <hi rendition="#fr">Hume</hi> eingera&#x0364;umet, &#x017F;o &#x017F;ind wir<lb/>
noch nicht u&#x0364;ber alles weg, was bey &#x017F;einer Erkla&#x0364;rung be-<lb/>
denklich i&#x017F;t. Er &#x017F;cho&#x0364;pfet die Vor&#x017F;tellung von einer <hi rendition="#fr">be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndigen Folge</hi> des Einen auf das Andere, un&#x017F;ern<lb/>
ganzen Begrif von der Verur&#x017F;achung des Einen <hi rendition="#fr">durch</hi><lb/>
das Andere? Wir &#x017F;tellen es uns doch &#x017F;o vor, als wenn<lb/>
die <hi rendition="#fr">Wirkung von der Ur&#x017F;ache abha&#x0364;nge,</hi> von ihr<lb/><hi rendition="#fr">hervorgebracht,</hi> und <hi rendition="#fr">durch</hi> &#x017F;ie wirklich gemacht wer-<lb/>
de. Entha&#x0364;lt die&#x017F;e letztere Vor&#x017F;tellung nicht andere Ne-<lb/>
benideen außer der be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Folge? Wir &#x017F;ehen die<lb/>
Wirkung als etwas an, welches aus &#x017F;einer <hi rendition="#fr">Ur&#x017F;ache be-<lb/>
gre flich i&#x017F;t!</hi> J&#x017F;t das <hi rendition="#fr">Begreiflich &#x017F;eyn</hi> aus einem<lb/>
Andern nichts mehr, als &#x017F;o viel, daß die Jdee des Ei-<lb/>
nen in uns hervorkomme, wenn die Jdee des Andern<lb/>
gegenwa&#x0364;rtig i&#x017F;t, ohne Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf die Art und Wei&#x017F;e,<lb/>
wie jene die&#x017F;e in uns nach &#x017F;ich ziehet? und i&#x017F;t wohl die<lb/><hi rendition="#fr">Begreiflichkeit</hi> lediglich eine Folge von einer vorherge-<lb/>
gangenen A&#x017F;&#x017F;ociation der Jdeen?</p><lb/>
            <p>Jch mache er&#x017F;tlich die&#x017F;e vorla&#x0364;ufige Erinnerung. Jn<lb/>
&#x017F;olchen Fa&#x0364;llen, wo die Verbindung zwi&#x017F;chen den Jdeen<lb/>
von der Ur&#x017F;ache und von der Wirkung allein in der <hi rendition="#fr">A&#x017F;&#x017F;o-<lb/>
ciation der Einbildungskraft</hi> ihren Grund hat, wo-<lb/>
hin die mehre&#x017F;ten Urtheile die&#x017F;er Art, die in den einfa-<lb/>
chen Grund&#x017F;a&#x0364;tzen der Naturlehre liegen, gerechnet wer-<lb/>
den ko&#x0364;nnen; da i&#x017F;t es doch gewiß, daß wir in un&#x017F;erm<lb/>
Urtheil u&#x0364;ber ihre <hi rendition="#fr">Dependenz</hi> von einander uns noch et-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">was</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0376] IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft hervorbringen koͤnnte. Dieſes letztern Umſtandes wegen ſind wir am oͤfterſten zweifelhaft; denn wer kann ſicher ſeyn, daß da nichts im Verborgenen vorhanden ſey, und wirke, wo unſre Empfindung uns nichts anzeigt? Des- wegen geben wir Acht, ob das, was auf die Aktion der Urſache folget, nicht zuruͤckbleibe, ſo oft die Aktion ſelbſt gehindert wird, oder aufhoͤret. 2. Soviel dem Hrn. Hume eingeraͤumet, ſo ſind wir noch nicht uͤber alles weg, was bey ſeiner Erklaͤrung be- denklich iſt. Er ſchoͤpfet die Vorſtellung von einer be- ſtaͤndigen Folge des Einen auf das Andere, unſern ganzen Begrif von der Verurſachung des Einen durch das Andere? Wir ſtellen es uns doch ſo vor, als wenn die Wirkung von der Urſache abhaͤnge, von ihr hervorgebracht, und durch ſie wirklich gemacht wer- de. Enthaͤlt dieſe letztere Vorſtellung nicht andere Ne- benideen außer der beſtaͤndigen Folge? Wir ſehen die Wirkung als etwas an, welches aus ſeiner Urſache be- gre flich iſt! Jſt das Begreiflich ſeyn aus einem Andern nichts mehr, als ſo viel, daß die Jdee des Ei- nen in uns hervorkomme, wenn die Jdee des Andern gegenwaͤrtig iſt, ohne Ruͤckſicht auf die Art und Weiſe, wie jene dieſe in uns nach ſich ziehet? und iſt wohl die Begreiflichkeit lediglich eine Folge von einer vorherge- gangenen Aſſociation der Jdeen? Jch mache erſtlich dieſe vorlaͤufige Erinnerung. Jn ſolchen Faͤllen, wo die Verbindung zwiſchen den Jdeen von der Urſache und von der Wirkung allein in der Aſſo- ciation der Einbildungskraft ihren Grund hat, wo- hin die mehreſten Urtheile dieſer Art, die in den einfa- chen Grundſaͤtzen der Naturlehre liegen, gerechnet wer- den koͤnnen; da iſt es doch gewiß, daß wir in unſerm Urtheil uͤber ihre Dependenz von einander uns noch et- was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/376
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/376>, abgerufen am 24.04.2024.