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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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und über das Denken.
durch noch ein Gedanke mehr, nemlich die Aehnlichkeit
des gewahrgenommenen Verhältnisses mit andern, be-
hauptet wird.

7.

Endlich wird noch das Folgern und Schließen
unter die allgemeinen Aeußerungen der Denkkraft ge-
bracht, und als besondere von dem Gewahrnehmen
der Sachen
und von dem Urtheilen unterschiedene
Thätigkeiten betrachtet. Beides mit vollem Rechte, wie
ich meine.

Ein Urtheil aus einem andern oder aus mehrern
herleiten, will so viel sagen, als ein neues Verhältniß
zwischen Jdeen, aus andern Verhältnissen gewisser
Jdeen, hervorbringen, machen, bewirken. Es
erfodert also, daß gewisse Urtheile vorhanden sind, und
daß aus diesen eine neue Beziehung entstehe, und ein
neues Gewahrnehmen. Man kann auch Urtheile auf
einander beziehen, und ihre Beziehung gewahrnehmen,
ohne daß man fölgere oder schließe. So etwas gehet
vor, so oft wir ein so genanntes zusammengesetztes
Urtheil in uns haben, welches nichts anders ist, als ein
Gedanke von der Beziehung mehrerer Urtheile auf ein-
ander, davon jede Periode, die aus verbundenen Sätzen
bestehet, ein Beyspiel giebt. Aber alsdenn haben die
einfachen Urtheile, welche man in ihrer Beziehung ge-
denket, die Gestalt der Jdeen; und das Ganze ist ein
neues Urtheil.

Dagegen wenn wir Eins aus dem Andern herlei-
ten,
die Folge aus ihrem Grundsatz, so heißt das nicht
so viel, als die Folge und den Grundsatz auf einander
beziehen, sondern die Folge wird hervorgebracht, ge-
macht, herausgedacht. Es entstehet ein neues Urtheil,
ein neuer Satz, und dieser entstehet aus dem erstern,
wenn die von dem Grundsatz modificirte Denkkraft ihre

Thätig-
I. Band. A a

und uͤber das Denken.
durch noch ein Gedanke mehr, nemlich die Aehnlichkeit
des gewahrgenommenen Verhaͤltniſſes mit andern, be-
hauptet wird.

7.

Endlich wird noch das Folgern und Schließen
unter die allgemeinen Aeußerungen der Denkkraft ge-
bracht, und als beſondere von dem Gewahrnehmen
der Sachen
und von dem Urtheilen unterſchiedene
Thaͤtigkeiten betrachtet. Beides mit vollem Rechte, wie
ich meine.

Ein Urtheil aus einem andern oder aus mehrern
herleiten, will ſo viel ſagen, als ein neues Verhaͤltniß
zwiſchen Jdeen, aus andern Verhaͤltniſſen gewiſſer
Jdeen, hervorbringen, machen, bewirken. Es
erfodert alſo, daß gewiſſe Urtheile vorhanden ſind, und
daß aus dieſen eine neue Beziehung entſtehe, und ein
neues Gewahrnehmen. Man kann auch Urtheile auf
einander beziehen, und ihre Beziehung gewahrnehmen,
ohne daß man foͤlgere oder ſchließe. So etwas gehet
vor, ſo oft wir ein ſo genanntes zuſammengeſetztes
Urtheil in uns haben, welches nichts anders iſt, als ein
Gedanke von der Beziehung mehrerer Urtheile auf ein-
ander, davon jede Periode, die aus verbundenen Saͤtzen
beſtehet, ein Beyſpiel giebt. Aber alsdenn haben die
einfachen Urtheile, welche man in ihrer Beziehung ge-
denket, die Geſtalt der Jdeen; und das Ganze iſt ein
neues Urtheil.

Dagegen wenn wir Eins aus dem Andern herlei-
ten,
die Folge aus ihrem Grundſatz, ſo heißt das nicht
ſo viel, als die Folge und den Grundſatz auf einander
beziehen, ſondern die Folge wird hervorgebracht, ge-
macht, herausgedacht. Es entſtehet ein neues Urtheil,
ein neuer Satz, und dieſer entſtehet aus dem erſtern,
wenn die von dem Grundſatz modificirte Denkkraft ihre

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I. Band. A a
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[369/0429] und uͤber das Denken. durch noch ein Gedanke mehr, nemlich die Aehnlichkeit des gewahrgenommenen Verhaͤltniſſes mit andern, be- hauptet wird. 7. Endlich wird noch das Folgern und Schließen unter die allgemeinen Aeußerungen der Denkkraft ge- bracht, und als beſondere von dem Gewahrnehmen der Sachen und von dem Urtheilen unterſchiedene Thaͤtigkeiten betrachtet. Beides mit vollem Rechte, wie ich meine. Ein Urtheil aus einem andern oder aus mehrern herleiten, will ſo viel ſagen, als ein neues Verhaͤltniß zwiſchen Jdeen, aus andern Verhaͤltniſſen gewiſſer Jdeen, hervorbringen, machen, bewirken. Es erfodert alſo, daß gewiſſe Urtheile vorhanden ſind, und daß aus dieſen eine neue Beziehung entſtehe, und ein neues Gewahrnehmen. Man kann auch Urtheile auf einander beziehen, und ihre Beziehung gewahrnehmen, ohne daß man foͤlgere oder ſchließe. So etwas gehet vor, ſo oft wir ein ſo genanntes zuſammengeſetztes Urtheil in uns haben, welches nichts anders iſt, als ein Gedanke von der Beziehung mehrerer Urtheile auf ein- ander, davon jede Periode, die aus verbundenen Saͤtzen beſtehet, ein Beyſpiel giebt. Aber alsdenn haben die einfachen Urtheile, welche man in ihrer Beziehung ge- denket, die Geſtalt der Jdeen; und das Ganze iſt ein neues Urtheil. Dagegen wenn wir Eins aus dem Andern herlei- ten, die Folge aus ihrem Grundſatz, ſo heißt das nicht ſo viel, als die Folge und den Grundſatz auf einander beziehen, ſondern die Folge wird hervorgebracht, ge- macht, herausgedacht. Es entſtehet ein neues Urtheil, ein neuer Satz, und dieſer entſtehet aus dem erſtern, wenn die von dem Grundſatz modificirte Denkkraft ihre Thaͤtig- I. Band. A a

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/429>, abgerufen am 28.03.2024.