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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der allgem. Vernunftwahrheiten, etc.
Aktus und sein Erfolg so unzertrennlich, daß beides zu-
sammen zurückgehalten werden muß, wenn der Erfolg,
oder der hervorgebrachte Gedanke nicht entstehen soll.

4.

Wo aus einem Urtheil eine unmittelbare Folge-
rung
gezogen wird, da haben wir eine Fortsetzung des
Reflexionsaktus von einem Verhältnißgedanken zu einem
andern über ebendieselbigen Gegenstände.*) Da sind
also zween unterscheidbare Aktus, die auf einander folgen,
und der zweete kann zurückbleiben, wenn gleich der erstere
vorhanden ist. Es muß die Denkkraft, so zu sagen, noch
einen Schritt weiter gehen, wenn man z. B. den umge-
kehrten Satz aus einem andern folgern will.

Jn einem eigentlichen deutlichen Schluß erwächset
der Gedanke von dem Verhältniß zweyer Dinge aus den
vorhergehenden Gedanken von ihrem Verhältniß gegen
ein drittes. Man weiß es, daß die beiden Vorder-
sätze gedacht werden können ohne den Schlußsatz; und
daß wir diesen auch für sich denken können, ohne ihn als
einen Schlußsatz zu denken. Soll man schließen, so muß
die Denkkraft, welche die Vordersätze gegenwärtig hat,
in ihrer Thätigkeit fortschreiten. Das Verhältniß
der Jdeen in dem Schlußsatz muß eine Wirkung der
durch die vorhergehenden Gedanken modificirten und fort-
arbeitenden Reflexion seyn. Jn dem deutlichen Rai-
sonnement sind also drey Urtheilsthätigkeiten in einer
Folge auf einander. Jn den unvollständigen Schlüssen
kann eine davon fehlen, indem eine Association der Jdeen
in der Phantasie die Stelle eines von diesen Vorder-
urtheilen vertreten kann, in welchem Fall man eigentlich
mehr ein mittelbares Urtheil als ein Kaisonnement
hat.

Es
*) Versuch 4. VII. 7.
I. Band. H h

der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c.
Aktus und ſein Erfolg ſo unzertrennlich, daß beides zu-
ſammen zuruͤckgehalten werden muß, wenn der Erfolg,
oder der hervorgebrachte Gedanke nicht entſtehen ſoll.

4.

Wo aus einem Urtheil eine unmittelbare Folge-
rung
gezogen wird, da haben wir eine Fortſetzung des
Reflexionsaktus von einem Verhaͤltnißgedanken zu einem
andern uͤber ebendieſelbigen Gegenſtaͤnde.*) Da ſind
alſo zween unterſcheidbare Aktus, die auf einander folgen,
und der zweete kann zuruͤckbleiben, wenn gleich der erſtere
vorhanden iſt. Es muß die Denkkraft, ſo zu ſagen, noch
einen Schritt weiter gehen, wenn man z. B. den umge-
kehrten Satz aus einem andern folgern will.

Jn einem eigentlichen deutlichen Schluß erwaͤchſet
der Gedanke von dem Verhaͤltniß zweyer Dinge aus den
vorhergehenden Gedanken von ihrem Verhaͤltniß gegen
ein drittes. Man weiß es, daß die beiden Vorder-
ſaͤtze gedacht werden koͤnnen ohne den Schlußſatz; und
daß wir dieſen auch fuͤr ſich denken koͤnnen, ohne ihn als
einen Schlußſatz zu denken. Soll man ſchließen, ſo muß
die Denkkraft, welche die Vorderſaͤtze gegenwaͤrtig hat,
in ihrer Thaͤtigkeit fortſchreiten. Das Verhaͤltniß
der Jdeen in dem Schlußſatz muß eine Wirkung der
durch die vorhergehenden Gedanken modificirten und fort-
arbeitenden Reflexion ſeyn. Jn dem deutlichen Rai-
ſonnement ſind alſo drey Urtheilsthaͤtigkeiten in einer
Folge auf einander. Jn den unvollſtaͤndigen Schluͤſſen
kann eine davon fehlen, indem eine Aſſociation der Jdeen
in der Phantaſie die Stelle eines von dieſen Vorder-
urtheilen vertreten kann, in welchem Fall man eigentlich
mehr ein mittelbares Urtheil als ein Kaiſonnement
hat.

Es
*) Verſuch 4. VII. 7.
I. Band. H h
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[481/0541] der allgem. Vernunftwahrheiten, ⁊c. Aktus und ſein Erfolg ſo unzertrennlich, daß beides zu- ſammen zuruͤckgehalten werden muß, wenn der Erfolg, oder der hervorgebrachte Gedanke nicht entſtehen ſoll. 4. Wo aus einem Urtheil eine unmittelbare Folge- rung gezogen wird, da haben wir eine Fortſetzung des Reflexionsaktus von einem Verhaͤltnißgedanken zu einem andern uͤber ebendieſelbigen Gegenſtaͤnde. *) Da ſind alſo zween unterſcheidbare Aktus, die auf einander folgen, und der zweete kann zuruͤckbleiben, wenn gleich der erſtere vorhanden iſt. Es muß die Denkkraft, ſo zu ſagen, noch einen Schritt weiter gehen, wenn man z. B. den umge- kehrten Satz aus einem andern folgern will. Jn einem eigentlichen deutlichen Schluß erwaͤchſet der Gedanke von dem Verhaͤltniß zweyer Dinge aus den vorhergehenden Gedanken von ihrem Verhaͤltniß gegen ein drittes. Man weiß es, daß die beiden Vorder- ſaͤtze gedacht werden koͤnnen ohne den Schlußſatz; und daß wir dieſen auch fuͤr ſich denken koͤnnen, ohne ihn als einen Schlußſatz zu denken. Soll man ſchließen, ſo muß die Denkkraft, welche die Vorderſaͤtze gegenwaͤrtig hat, in ihrer Thaͤtigkeit fortſchreiten. Das Verhaͤltniß der Jdeen in dem Schlußſatz muß eine Wirkung der durch die vorhergehenden Gedanken modificirten und fort- arbeitenden Reflexion ſeyn. Jn dem deutlichen Rai- ſonnement ſind alſo drey Urtheilsthaͤtigkeiten in einer Folge auf einander. Jn den unvollſtaͤndigen Schluͤſſen kann eine davon fehlen, indem eine Aſſociation der Jdeen in der Phantaſie die Stelle eines von dieſen Vorder- urtheilen vertreten kann, in welchem Fall man eigentlich mehr ein mittelbares Urtheil als ein Kaiſonnement hat. Es *) Verſuch 4. VII. 7. I. Band. H h

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/541>, abgerufen am 29.03.2024.