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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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IX. Versuch. Ueber das Grundprincip
werde. Wo ein besonderes Gefühl der Verhältnisse vor-
handen ist, sollte da der Gedanke, Siehe! wohl fehlen
können? Der Aktus des Denkens wird dadurch nicht
zu einem fühlenden Aktus gemacht. Jn jenem lieget ei-
ne Aktion mehr, weil eine Wirkung mehr vorhanden ist.
Aber das Princip des Fühlens scheinet mit dem Princip
des Denkens an Einer Seite zusammen zu fallen.

III.
Das Beziehen der Vorstellungen auf einander,
welches zum Denken erfodert wird, ist eine
Aeußerung der vorstellenden Kraft.

An der andern Seite fällt die Denkkraft, in so ferne
sie auch das Beziehungsvermögen in sich begreift,
mit der vorstellenden Kraft zusammen. Es ist eine
offenbare Analogie zwischen den Grundregeln, nach wel-
chen die vorstellende Kraft Bilder verbindet und trennet,
vermischt und auflöset, und die Denkkraft sie als einer-
ley und verschieden, als verbunden und getrennet erken-
net. Diese Aehnlichkeit der Wirkungsgesetze scheinet es
offenbar zu machen, daß die Denkkraft als Beziehungs-
vermögen nichts anders sey, als die vorstellende Kraft,
in so ferne diese die vorräthigen Bilder stellet und ordnet.

Zuerst erfodert jedes Denken Vorstellungen, und
ein Beziehen der Vorstellungen. So lange wir blos
empfinden, das ist, blos fühlend auf den Eindruck von
außen, oder auf die durch innere Kräfte in uns verur-
sachte leidentliche Modifikation zurückwirken, kann auch
nicht einmal das Gewahrnehmen, oder das Siehe! her-
vorkommen. Die Empfindung muß zum mindesten
in eine Empfindungsvorstellung übergegangen seyn.
Das Auskennen erfodert eine Aufstellung einer Vor-
stellung gegen andere, und also mehrere Vorstellungen.

Je

IX. Verſuch. Ueber das Grundprincip
werde. Wo ein beſonderes Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe vor-
handen iſt, ſollte da der Gedanke, Siehe! wohl fehlen
koͤnnen? Der Aktus des Denkens wird dadurch nicht
zu einem fuͤhlenden Aktus gemacht. Jn jenem lieget ei-
ne Aktion mehr, weil eine Wirkung mehr vorhanden iſt.
Aber das Princip des Fuͤhlens ſcheinet mit dem Princip
des Denkens an Einer Seite zuſammen zu fallen.

III.
Das Beziehen der Vorſtellungen auf einander,
welches zum Denken erfodert wird, iſt eine
Aeußerung der vorſtellenden Kraft.

An der andern Seite faͤllt die Denkkraft, in ſo ferne
ſie auch das Beziehungsvermoͤgen in ſich begreift,
mit der vorſtellenden Kraft zuſammen. Es iſt eine
offenbare Analogie zwiſchen den Grundregeln, nach wel-
chen die vorſtellende Kraft Bilder verbindet und trennet,
vermiſcht und aufloͤſet, und die Denkkraft ſie als einer-
ley und verſchieden, als verbunden und getrennet erken-
net. Dieſe Aehnlichkeit der Wirkungsgeſetze ſcheinet es
offenbar zu machen, daß die Denkkraft als Beziehungs-
vermoͤgen nichts anders ſey, als die vorſtellende Kraft,
in ſo ferne dieſe die vorraͤthigen Bilder ſtellet und ordnet.

Zuerſt erfodert jedes Denken Vorſtellungen, und
ein Beziehen der Vorſtellungen. So lange wir blos
empfinden, das iſt, blos fuͤhlend auf den Eindruck von
außen, oder auf die durch innere Kraͤfte in uns verur-
ſachte leidentliche Modifikation zuruͤckwirken, kann auch
nicht einmal das Gewahrnehmen, oder das Siehe! her-
vorkommen. Die Empfindung muß zum mindeſten
in eine Empfindungsvorſtellung uͤbergegangen ſeyn.
Das Auskennen erfodert eine Aufſtellung einer Vor-
ſtellung gegen andere, und alſo mehrere Vorſtellungen.

Je
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[594/0654] IX. Verſuch. Ueber das Grundprincip werde. Wo ein beſonderes Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe vor- handen iſt, ſollte da der Gedanke, Siehe! wohl fehlen koͤnnen? Der Aktus des Denkens wird dadurch nicht zu einem fuͤhlenden Aktus gemacht. Jn jenem lieget ei- ne Aktion mehr, weil eine Wirkung mehr vorhanden iſt. Aber das Princip des Fuͤhlens ſcheinet mit dem Princip des Denkens an Einer Seite zuſammen zu fallen. III. Das Beziehen der Vorſtellungen auf einander, welches zum Denken erfodert wird, iſt eine Aeußerung der vorſtellenden Kraft. An der andern Seite faͤllt die Denkkraft, in ſo ferne ſie auch das Beziehungsvermoͤgen in ſich begreift, mit der vorſtellenden Kraft zuſammen. Es iſt eine offenbare Analogie zwiſchen den Grundregeln, nach wel- chen die vorſtellende Kraft Bilder verbindet und trennet, vermiſcht und aufloͤſet, und die Denkkraft ſie als einer- ley und verſchieden, als verbunden und getrennet erken- net. Dieſe Aehnlichkeit der Wirkungsgeſetze ſcheinet es offenbar zu machen, daß die Denkkraft als Beziehungs- vermoͤgen nichts anders ſey, als die vorſtellende Kraft, in ſo ferne dieſe die vorraͤthigen Bilder ſtellet und ordnet. Zuerſt erfodert jedes Denken Vorſtellungen, und ein Beziehen der Vorſtellungen. So lange wir blos empfinden, das iſt, blos fuͤhlend auf den Eindruck von außen, oder auf die durch innere Kraͤfte in uns verur- ſachte leidentliche Modifikation zuruͤckwirken, kann auch nicht einmal das Gewahrnehmen, oder das Siehe! her- vorkommen. Die Empfindung muß zum mindeſten in eine Empfindungsvorſtellung uͤbergegangen ſeyn. Das Auskennen erfodert eine Aufſtellung einer Vor- ſtellung gegen andere, und alſo mehrere Vorſtellungen. Je

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/654>, abgerufen am 24.04.2024.