Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

des Empfindens, des Vorstellens etc.
kann sie auch der gemeine Menschenverstand sehen; aber
die subtilern Jdeen der Spekulation in dem Kopf ge-
gen einander zu halten, sie gleichsam in der Phantasie
gegen einander abzuwägen, und ihre kleinsten Verschie-
denheiten, eigentlich, die kleinsten Veränderungen bey
dem Uebergang von einer zur andern zu empfinden, und
solche lebhaft zu empfinden, dazu gehöret etwas mehr.
Ein feines und schärferes Selbstgefühl bey den Vorstel-
lungen, ist ein wesentliches Erforderniß zur Scharfsin-
nigkeit des Verstandes.

V.
Erfahrungen, aus denen zu folgen scheint,
daß die Aktus der Denkkraft wesentlich
von den Aeußerungen des Gefühls und
der vorstellenden Kraft unterschieden sind.

1) Empfinden, Vorstellen und Denken schei-
net sich einander auszuschließen.

2) Das Gefühl der Verhältnisse ist oft leb-
haft, ohne daß die Gewahrnehmung der
Verhältnisse es auch sey.

3) Die Aeußerungen der vorstellenden Kraft
bey dem Beziehen der Vorstellungen auf
einander, scheinet nicht allemal den zwee-
ten Aktus des Denkens, nemlich das Ge-
wahrnehmen des Verhältnisses, in glei-
cher Maaße mit sich verbunden zu haben.

1.

Von jener Seite scheinet es allerdings so, als wenn
das Denken dasselbige Princip habe mit dem Em-
pfinden und Vorstellen. Aber ehe man entscheidet, werfe

man
P p 4

des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c.
kann ſie auch der gemeine Menſchenverſtand ſehen; aber
die ſubtilern Jdeen der Spekulation in dem Kopf ge-
gen einander zu halten, ſie gleichſam in der Phantaſie
gegen einander abzuwaͤgen, und ihre kleinſten Verſchie-
denheiten, eigentlich, die kleinſten Veraͤnderungen bey
dem Uebergang von einer zur andern zu empfinden, und
ſolche lebhaft zu empfinden, dazu gehoͤret etwas mehr.
Ein feines und ſchaͤrferes Selbſtgefuͤhl bey den Vorſtel-
lungen, iſt ein weſentliches Erforderniß zur Scharfſin-
nigkeit des Verſtandes.

V.
Erfahrungen, aus denen zu folgen ſcheint,
daß die Aktus der Denkkraft weſentlich
von den Aeußerungen des Gefuͤhls und
der vorſtellenden Kraft unterſchieden ſind.

1) Empfinden, Vorſtellen und Denken ſchei-
net ſich einander auszuſchließen.

2) Das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe iſt oft leb-
haft, ohne daß die Gewahrnehmung der
Verhaͤltniſſe es auch ſey.

3) Die Aeußerungen der vorſtellenden Kraft
bey dem Beziehen der Vorſtellungen auf
einander, ſcheinet nicht allemal den zwee-
ten Aktus des Denkens, nemlich das Ge-
wahrnehmen des Verhaͤltniſſes, in glei-
cher Maaße mit ſich verbunden zu haben.

1.

Von jener Seite ſcheinet es allerdings ſo, als wenn
das Denken daſſelbige Princip habe mit dem Em-
pfinden und Vorſtellen. Aber ehe man entſcheidet, werfe

man
P p 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0659" n="599"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">des Empfindens, des Vor&#x017F;tellens &#x204A;c.</hi></fw><lb/>
kann &#x017F;ie auch der gemeine Men&#x017F;chenver&#x017F;tand &#x017F;ehen; aber<lb/>
die &#x017F;ubtilern Jdeen der Spekulation in dem Kopf ge-<lb/>
gen einander zu halten, &#x017F;ie gleich&#x017F;am in der Phanta&#x017F;ie<lb/>
gegen einander abzuwa&#x0364;gen, und ihre klein&#x017F;ten Ver&#x017F;chie-<lb/>
denheiten, eigentlich, die klein&#x017F;ten Vera&#x0364;nderungen bey<lb/>
dem Uebergang von einer zur andern zu empfinden, und<lb/>
&#x017F;olche lebhaft zu empfinden, dazu geho&#x0364;ret etwas mehr.<lb/>
Ein feines und &#x017F;cha&#x0364;rferes Selb&#x017F;tgefu&#x0364;hl bey den Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen, i&#x017F;t ein we&#x017F;entliches Erforderniß zur Scharf&#x017F;in-<lb/>
nigkeit des Ver&#x017F;tandes.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq">V.</hi><lb/>
Erfahrungen, aus denen zu folgen &#x017F;cheint,<lb/>
daß die Aktus der Denkkraft we&#x017F;entlich<lb/>
von den Aeußerungen des Gefu&#x0364;hls und<lb/>
der vor&#x017F;tellenden Kraft unter&#x017F;chieden &#x017F;ind.</head><lb/>
          <argument>
            <p>
              <list>
                <item>1) <hi rendition="#fr">Empfinden, Vor&#x017F;tellen und Denken &#x017F;chei-<lb/>
net &#x017F;ich einander auszu&#x017F;chließen.</hi></item><lb/>
                <item>2) <hi rendition="#fr">Das Gefu&#x0364;hl der Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t oft leb-<lb/>
haft, ohne daß die Gewahrnehmung der<lb/>
Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e es auch &#x017F;ey.</hi></item><lb/>
                <item>3) <hi rendition="#fr">Die Aeußerungen der vor&#x017F;tellenden Kraft<lb/>
bey dem Beziehen der Vor&#x017F;tellungen auf<lb/>
einander, &#x017F;cheinet nicht allemal den zwee-<lb/>
ten Aktus des Denkens, nemlich das Ge-<lb/>
wahrnehmen des Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;es, in glei-<lb/>
cher Maaße mit &#x017F;ich verbunden zu haben.</hi></item>
              </list>
            </p>
          </argument><lb/>
          <div n="3">
            <head>1.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">V</hi>on jener Seite &#x017F;cheinet es allerdings &#x017F;o, als wenn<lb/>
das <hi rendition="#fr">Denken</hi> da&#x017F;&#x017F;elbige Princip habe mit dem Em-<lb/>
pfinden und Vor&#x017F;tellen. Aber ehe man ent&#x017F;cheidet, werfe<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P p 4</fw><fw place="bottom" type="catch">man</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[599/0659] des Empfindens, des Vorſtellens ⁊c. kann ſie auch der gemeine Menſchenverſtand ſehen; aber die ſubtilern Jdeen der Spekulation in dem Kopf ge- gen einander zu halten, ſie gleichſam in der Phantaſie gegen einander abzuwaͤgen, und ihre kleinſten Verſchie- denheiten, eigentlich, die kleinſten Veraͤnderungen bey dem Uebergang von einer zur andern zu empfinden, und ſolche lebhaft zu empfinden, dazu gehoͤret etwas mehr. Ein feines und ſchaͤrferes Selbſtgefuͤhl bey den Vorſtel- lungen, iſt ein weſentliches Erforderniß zur Scharfſin- nigkeit des Verſtandes. V. Erfahrungen, aus denen zu folgen ſcheint, daß die Aktus der Denkkraft weſentlich von den Aeußerungen des Gefuͤhls und der vorſtellenden Kraft unterſchieden ſind. 1) Empfinden, Vorſtellen und Denken ſchei- net ſich einander auszuſchließen. 2) Das Gefuͤhl der Verhaͤltniſſe iſt oft leb- haft, ohne daß die Gewahrnehmung der Verhaͤltniſſe es auch ſey. 3) Die Aeußerungen der vorſtellenden Kraft bey dem Beziehen der Vorſtellungen auf einander, ſcheinet nicht allemal den zwee- ten Aktus des Denkens, nemlich das Ge- wahrnehmen des Verhaͤltniſſes, in glei- cher Maaße mit ſich verbunden zu haben. 1. Von jener Seite ſcheinet es allerdings ſo, als wenn das Denken daſſelbige Princip habe mit dem Em- pfinden und Vorſtellen. Aber ehe man entſcheidet, werfe man P p 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/659
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/659>, abgerufen am 28.03.2024.