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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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oder doch ähnliche. Aber das Gebölke des Stiers machte
der Mensch nach, und ließ es andern so hören, wie er
es selbst gehöret hatte. Jn dem Stimmorgan war der
Kanal zum Hervorgang der Gehörsempfindungen, und
zur Bezeichnung der Dinge, und daher wurden die Töne
so wichtige Merkmale, und darum drängten sich die übri-
gen Empfindungen in die Gesellschaft der Töne; und alle
Hülfsmittel der Phantasie und der Dichtkraft wurden
aufgeboten, um die sinnlichen Eindrücke so einzurichten,
daß sie in Gesellschaft der Töne hervorgehen konnten.

III.
Es ist nicht erwiesen, weder daß der Mensch
von selbst keine Sprache erfinden könne;
noch daß er von selbst nothwendig sie erfin-
den müsse. Es giebt einen Mittelweg zwi-
schen diesen beyden Meinungen.

Süßmilch und Hr. Herder haben sich über die Er-
findung der Sprache aus eigener Naturkraft am
positivsten, aber auf die entgegengesetzte Art erkläret.
Der Mensch kann durchaus die Sprache nicht erfin-
den, und hat sie nicht erfunden. Dieß ist die Behau-
ptung des erstern, der Vorgänger, *) und auch nach der
letztern Erörterung der Sache, Nachfolger gehabt hat.
Der Mensch muß die Sprache erfinden, und hat sie
erfunden. Dieß hat Hr. Herder zu beweisen gesucht.
Eine mittlere Meinung zwischen beiden war die meinige
in der vorhergedachten Schrift. Ein Mensch kann die
Sprache selbst erfinden, aber es gehören vortheilhafte
Umstände dazu, und vor allen andern, eine schon beste-
hende Verbindung mit seines Gleichen. Ferner, es ist
wahrscheinlich, Menschen würden die Sprache erfin-

den,
*) Zobels Gedanken über die verschiedenen Meinun-
gen der Gelehrten von dem Ursprung der Sprache.

Anhang
oder doch aͤhnliche. Aber das Geboͤlke des Stiers machte
der Menſch nach, und ließ es andern ſo hoͤren, wie er
es ſelbſt gehoͤret hatte. Jn dem Stimmorgan war der
Kanal zum Hervorgang der Gehoͤrsempfindungen, und
zur Bezeichnung der Dinge, und daher wurden die Toͤne
ſo wichtige Merkmale, und darum draͤngten ſich die uͤbri-
gen Empfindungen in die Geſellſchaft der Toͤne; und alle
Huͤlfsmittel der Phantaſie und der Dichtkraft wurden
aufgeboten, um die ſinnlichen Eindruͤcke ſo einzurichten,
daß ſie in Geſellſchaft der Toͤne hervorgehen konnten.

III.
Es iſt nicht erwieſen, weder daß der Menſch
von ſelbſt keine Sprache erfinden koͤnne;
noch daß er von ſelbſt nothwendig ſie erfin-
den muͤſſe. Es giebt einen Mittelweg zwi-
ſchen dieſen beyden Meinungen.

Suͤßmilch und Hr. Herder haben ſich uͤber die Er-
findung der Sprache aus eigener Naturkraft am
poſitivſten, aber auf die entgegengeſetzte Art erklaͤret.
Der Menſch kann durchaus die Sprache nicht erfin-
den, und hat ſie nicht erfunden. Dieß iſt die Behau-
ptung des erſtern, der Vorgaͤnger, *) und auch nach der
letztern Eroͤrterung der Sache, Nachfolger gehabt hat.
Der Menſch muß die Sprache erfinden, und hat ſie
erfunden. Dieß hat Hr. Herder zu beweiſen geſucht.
Eine mittlere Meinung zwiſchen beiden war die meinige
in der vorhergedachten Schrift. Ein Menſch kann die
Sprache ſelbſt erfinden, aber es gehoͤren vortheilhafte
Umſtaͤnde dazu, und vor allen andern, eine ſchon beſte-
hende Verbindung mit ſeines Gleichen. Ferner, es iſt
wahrſcheinlich, Menſchen wuͤrden die Sprache erfin-

den,
*) Zobels Gedanken uͤber die verſchiedenen Meinun-
gen der Gelehrten von dem Urſprung der Sprache.
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[772/0832] Anhang oder doch aͤhnliche. Aber das Geboͤlke des Stiers machte der Menſch nach, und ließ es andern ſo hoͤren, wie er es ſelbſt gehoͤret hatte. Jn dem Stimmorgan war der Kanal zum Hervorgang der Gehoͤrsempfindungen, und zur Bezeichnung der Dinge, und daher wurden die Toͤne ſo wichtige Merkmale, und darum draͤngten ſich die uͤbri- gen Empfindungen in die Geſellſchaft der Toͤne; und alle Huͤlfsmittel der Phantaſie und der Dichtkraft wurden aufgeboten, um die ſinnlichen Eindruͤcke ſo einzurichten, daß ſie in Geſellſchaft der Toͤne hervorgehen konnten. III. Es iſt nicht erwieſen, weder daß der Menſch von ſelbſt keine Sprache erfinden koͤnne; noch daß er von ſelbſt nothwendig ſie erfin- den muͤſſe. Es giebt einen Mittelweg zwi- ſchen dieſen beyden Meinungen. Suͤßmilch und Hr. Herder haben ſich uͤber die Er- findung der Sprache aus eigener Naturkraft am poſitivſten, aber auf die entgegengeſetzte Art erklaͤret. Der Menſch kann durchaus die Sprache nicht erfin- den, und hat ſie nicht erfunden. Dieß iſt die Behau- ptung des erſtern, der Vorgaͤnger, *) und auch nach der letztern Eroͤrterung der Sache, Nachfolger gehabt hat. Der Menſch muß die Sprache erfinden, und hat ſie erfunden. Dieß hat Hr. Herder zu beweiſen geſucht. Eine mittlere Meinung zwiſchen beiden war die meinige in der vorhergedachten Schrift. Ein Menſch kann die Sprache ſelbſt erfinden, aber es gehoͤren vortheilhafte Umſtaͤnde dazu, und vor allen andern, eine ſchon beſte- hende Verbindung mit ſeines Gleichen. Ferner, es iſt wahrſcheinlich, Menſchen wuͤrden die Sprache erfin- den, *) Zobels Gedanken uͤber die verſchiedenen Meinun- gen der Gelehrten von dem Urſprung der Sprache.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 772. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/832>, abgerufen am 25.04.2024.