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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Freyheit.

Man könnte sagen, da es doch die bewegende
Kraft der Jdee
ist, welche das innere Princip zu
der Neigung bestimmet, die wir fassen, so empfange
diese Kraft eben durch die Jdee innerlich eine gewisse
Richtung nach dieser Vorstellung hin, welche sie vor-
her nicht hatte, und also empfange sie eine neue innere
Bestimmung, gesetzt, daß diese auch nur in einer Rich-
tung bestehe?

Jch antworte. So wenig als der Druck des Was-
sers im Gefäß alsdenn erst eine neue Richtung em-
pfängt, nach der Stelle hin sich zu |bewegen, wo man
ihm ein Oeffnung macht, die es vorher nicht hatte; so
wenig giebt die Jdee, welche sich der innern wirksamen
Kraft darstellt, ihr eine neue innere Bestimmung.
Das Wasser besaß schon vorher dieselbige Tendenz, und
bestrebte sich nach allen Seiten hin sich herauszudrengen,
und auch da, wo es wirklich herausgehet, nachdem die
Oeffnung gemacht ist. Die Richtung hieher ist keine
Wirkung davon, daß ein Hinderniß oder der Wider-
stand an dieser Stelle gehoben wird. Wenn das
Wasser aus der Oeffnung durch eine äußere Kraft her-
ausgezogen würde, wie ein Pfahl aus der Erde, oder
fortgestoßen würde, wie eine ruhende Kugel auf der Ta-
fel: alsdenn würde die Aktion keine Selbstthätigkeit
mehr seyn.

Allerdings eräugnet es sich oft, daß die entstehende
Neigung uns hinreißt, wie es in jedem Affekt geschieht,
und auch zwischen durch bey den minder lebhaften Trie-
ben. Jn solchen Fällen hat das Gefallen noch eine
Wirkung mehr, als diese, daß es das Objekt zu der
Kraft, oder die Kraft zu dem Objekt näher bringet.
Aber wir fühlen es alsdenn auch in uns, daß uns nicht
so sey, wie in den übrigen Fällen, wo wir, unserer vor-
züglichen Neigung zu einer Sache ohnerachtet, doch uns
völlig in unserer Gewalt haben, und unmittelbar frey

handeln
G 2
und Freyheit.

Man koͤnnte ſagen, da es doch die bewegende
Kraft der Jdee
iſt, welche das innere Princip zu
der Neigung beſtimmet, die wir faſſen, ſo empfange
dieſe Kraft eben durch die Jdee innerlich eine gewiſſe
Richtung nach dieſer Vorſtellung hin, welche ſie vor-
her nicht hatte, und alſo empfange ſie eine neue innere
Beſtimmung, geſetzt, daß dieſe auch nur in einer Rich-
tung beſtehe?

Jch antworte. So wenig als der Druck des Waſ-
ſers im Gefaͤß alsdenn erſt eine neue Richtung em-
pfaͤngt, nach der Stelle hin ſich zu |bewegen, wo man
ihm ein Oeffnung macht, die es vorher nicht hatte; ſo
wenig giebt die Jdee, welche ſich der innern wirkſamen
Kraft darſtellt, ihr eine neue innere Beſtimmung.
Das Waſſer beſaß ſchon vorher dieſelbige Tendenz, und
beſtrebte ſich nach allen Seiten hin ſich herauszudrengen,
und auch da, wo es wirklich herausgehet, nachdem die
Oeffnung gemacht iſt. Die Richtung hieher iſt keine
Wirkung davon, daß ein Hinderniß oder der Wider-
ſtand an dieſer Stelle gehoben wird. Wenn das
Waſſer aus der Oeffnung durch eine aͤußere Kraft her-
ausgezogen wuͤrde, wie ein Pfahl aus der Erde, oder
fortgeſtoßen wuͤrde, wie eine ruhende Kugel auf der Ta-
fel: alsdenn wuͤrde die Aktion keine Selbſtthaͤtigkeit
mehr ſeyn.

Allerdings eraͤugnet es ſich oft, daß die entſtehende
Neigung uns hinreißt, wie es in jedem Affekt geſchieht,
und auch zwiſchen durch bey den minder lebhaften Trie-
ben. Jn ſolchen Faͤllen hat das Gefallen noch eine
Wirkung mehr, als dieſe, daß es das Objekt zu der
Kraft, oder die Kraft zu dem Objekt naͤher bringet.
Aber wir fuͤhlen es alsdenn auch in uns, daß uns nicht
ſo ſey, wie in den uͤbrigen Faͤllen, wo wir, unſerer vor-
zuͤglichen Neigung zu einer Sache ohnerachtet, doch uns
voͤllig in unſerer Gewalt haben, und unmittelbar frey

handeln
G 2
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[99/0129] und Freyheit. Man koͤnnte ſagen, da es doch die bewegende Kraft der Jdee iſt, welche das innere Princip zu der Neigung beſtimmet, die wir faſſen, ſo empfange dieſe Kraft eben durch die Jdee innerlich eine gewiſſe Richtung nach dieſer Vorſtellung hin, welche ſie vor- her nicht hatte, und alſo empfange ſie eine neue innere Beſtimmung, geſetzt, daß dieſe auch nur in einer Rich- tung beſtehe? Jch antworte. So wenig als der Druck des Waſ- ſers im Gefaͤß alsdenn erſt eine neue Richtung em- pfaͤngt, nach der Stelle hin ſich zu |bewegen, wo man ihm ein Oeffnung macht, die es vorher nicht hatte; ſo wenig giebt die Jdee, welche ſich der innern wirkſamen Kraft darſtellt, ihr eine neue innere Beſtimmung. Das Waſſer beſaß ſchon vorher dieſelbige Tendenz, und beſtrebte ſich nach allen Seiten hin ſich herauszudrengen, und auch da, wo es wirklich herausgehet, nachdem die Oeffnung gemacht iſt. Die Richtung hieher iſt keine Wirkung davon, daß ein Hinderniß oder der Wider- ſtand an dieſer Stelle gehoben wird. Wenn das Waſſer aus der Oeffnung durch eine aͤußere Kraft her- ausgezogen wuͤrde, wie ein Pfahl aus der Erde, oder fortgeſtoßen wuͤrde, wie eine ruhende Kugel auf der Ta- fel: alsdenn wuͤrde die Aktion keine Selbſtthaͤtigkeit mehr ſeyn. Allerdings eraͤugnet es ſich oft, daß die entſtehende Neigung uns hinreißt, wie es in jedem Affekt geſchieht, und auch zwiſchen durch bey den minder lebhaften Trie- ben. Jn ſolchen Faͤllen hat das Gefallen noch eine Wirkung mehr, als dieſe, daß es das Objekt zu der Kraft, oder die Kraft zu dem Objekt naͤher bringet. Aber wir fuͤhlen es alsdenn auch in uns, daß uns nicht ſo ſey, wie in den uͤbrigen Faͤllen, wo wir, unſerer vor- zuͤglichen Neigung zu einer Sache ohnerachtet, doch uns voͤllig in unſerer Gewalt haben, und unmittelbar frey handeln G 2

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/129>, abgerufen am 29.03.2024.