Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
und Entwickelung des Menschen.
Vorerinnerung über die Absicht dieses
Versuchs.

Die Natur des Menschen entwickelt sich, wächst
und gedeihet unter den verschiedensten Umständen,
unter jedem Himmelsstrich, bey der unterschiedensten
Nahrungs- und Lebensart; in etwas auch außer der
Gesellschaft; in den verschiedensten Verfassungen der
Gesellschaft, in der Wildheit, der Barbarey, der Ver-
feinerung und der Auf klärung; mit einem Worte, in den
verschiedensten Beziehungen auf die äußeren Gegenstän-
de, auf die Körper, auf die Thiere und auf andre Men-
schen. Aber eben so mannichfaltig ist die innere Form,
welche die Natur unter diesen verschiedenen Umständen
annimmt; verschieden sind die Richtungen, worein die
Grundkräfte und gemeinschaftlichen Vermögen gebracht
werden; mannichfaltig die Grade und Stufen der
Stärke und Schwäche und der Wirksamkeit in den
Kräften, und mannichfaltig die Verhältnisse und Be-
ziehungen der Kräfte auf einander, und die sogenannten
abgeleiteten Kräfte und Fertigkeiten, die von jener Ver-
schiedenheit der innern Verhältnisse abhangen. Von
einem großen Theile dieser Verschiedenheiten ist es offen-
bar, daß sie in äußern Ursachen ihren Grund haben,
wenn solcher gleich bey einigen nicht so sehr einleuchtet.

Es gehört zu der Naturgeschichte des Men-
schen/
diese Verschiedenheiten und zunächst diejenigen,
die sich an seinem Körper zeigen und in die Sinne fal-
len, aufzusuchen, zu vergleichen, und aus ihnen die
Eigenheiten ganzer Haufen, Völker, Geschlechter her-
auszunehmen, und durch diese als Unterscheidungs-
merkmale die Menschen in Gattungen, Arten und Clas-
sen abzutheilen, so weit nämlich, als hier eine Gattungs-
verschiedenheit stattfindet. Denn ich bin sehr über-
zeugt, daß sie alle Eines Geschlechts sind, in dem

Sinne
II Theil. A a
und Entwickelung des Menſchen.
Vorerinnerung uͤber die Abſicht dieſes
Verſuchs.

Die Natur des Menſchen entwickelt ſich, waͤchſt
und gedeihet unter den verſchiedenſten Umſtaͤnden,
unter jedem Himmelsſtrich, bey der unterſchiedenſten
Nahrungs- und Lebensart; in etwas auch außer der
Geſellſchaft; in den verſchiedenſten Verfaſſungen der
Geſellſchaft, in der Wildheit, der Barbarey, der Ver-
feinerung und der Auf klaͤrung; mit einem Worte, in den
verſchiedenſten Beziehungen auf die aͤußeren Gegenſtaͤn-
de, auf die Koͤrper, auf die Thiere und auf andre Men-
ſchen. Aber eben ſo mannichfaltig iſt die innere Form,
welche die Natur unter dieſen verſchiedenen Umſtaͤnden
annimmt; verſchieden ſind die Richtungen, worein die
Grundkraͤfte und gemeinſchaftlichen Vermoͤgen gebracht
werden; mannichfaltig die Grade und Stufen der
Staͤrke und Schwaͤche und der Wirkſamkeit in den
Kraͤften, und mannichfaltig die Verhaͤltniſſe und Be-
ziehungen der Kraͤfte auf einander, und die ſogenannten
abgeleiteten Kraͤfte und Fertigkeiten, die von jener Ver-
ſchiedenheit der innern Verhaͤltniſſe abhangen. Von
einem großen Theile dieſer Verſchiedenheiten iſt es offen-
bar, daß ſie in aͤußern Urſachen ihren Grund haben,
wenn ſolcher gleich bey einigen nicht ſo ſehr einleuchtet.

Es gehoͤrt zu der Naturgeſchichte des Men-
ſchen/
dieſe Verſchiedenheiten und zunaͤchſt diejenigen,
die ſich an ſeinem Koͤrper zeigen und in die Sinne fal-
len, aufzuſuchen, zu vergleichen, und aus ihnen die
Eigenheiten ganzer Haufen, Voͤlker, Geſchlechter her-
auszunehmen, und durch dieſe als Unterſcheidungs-
merkmale die Menſchen in Gattungen, Arten und Claſ-
ſen abzutheilen, ſo weit naͤmlich, als hier eine Gattungs-
verſchiedenheit ſtattfindet. Denn ich bin ſehr uͤber-
zeugt, daß ſie alle Eines Geſchlechts ſind, in dem

Sinne
II Theil. A a
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0399" n="369"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">und Entwickelung des Men&#x017F;chen.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Vorerinnerung u&#x0364;ber die Ab&#x017F;icht die&#x017F;es<lb/>
Ver&#x017F;uchs.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Natur des Men&#x017F;chen entwickelt &#x017F;ich, wa&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
und gedeihet unter den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Um&#x017F;ta&#x0364;nden,<lb/>
unter jedem Himmels&#x017F;trich, bey der unter&#x017F;chieden&#x017F;ten<lb/>
Nahrungs- und Lebensart; in etwas auch außer der<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft; in den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Verfa&#x017F;&#x017F;ungen der<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, in der Wildheit, der Barbarey, der Ver-<lb/>
feinerung und der Auf kla&#x0364;rung; mit einem Worte, in den<lb/>
ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Beziehungen auf die a&#x0364;ußeren Gegen&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
de, auf die Ko&#x0364;rper, auf die Thiere und auf andre Men-<lb/>
&#x017F;chen. Aber eben &#x017F;o mannichfaltig i&#x017F;t die innere Form,<lb/>
welche die Natur unter die&#x017F;en ver&#x017F;chiedenen Um&#x017F;ta&#x0364;nden<lb/>
annimmt; ver&#x017F;chieden &#x017F;ind die Richtungen, worein die<lb/>
Grundkra&#x0364;fte und gemein&#x017F;chaftlichen Vermo&#x0364;gen gebracht<lb/>
werden; mannichfaltig die Grade und Stufen der<lb/>
Sta&#x0364;rke und Schwa&#x0364;che und der Wirk&#x017F;amkeit in den<lb/>
Kra&#x0364;ften, und mannichfaltig die Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e und Be-<lb/>
ziehungen der Kra&#x0364;fte auf einander, und die &#x017F;ogenannten<lb/>
abgeleiteten Kra&#x0364;fte und Fertigkeiten, die von jener Ver-<lb/>
&#x017F;chiedenheit der innern Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e abhangen. Von<lb/>
einem großen Theile die&#x017F;er Ver&#x017F;chiedenheiten i&#x017F;t es offen-<lb/>
bar, daß &#x017F;ie in a&#x0364;ußern Ur&#x017F;achen ihren Grund haben,<lb/>
wenn &#x017F;olcher gleich bey einigen nicht &#x017F;o &#x017F;ehr einleuchtet.</p><lb/>
          <p>Es geho&#x0364;rt zu der <hi rendition="#fr">Naturge&#x017F;chichte des Men-<lb/>
&#x017F;chen/</hi> die&#x017F;e Ver&#x017F;chiedenheiten und zuna&#x0364;ch&#x017F;t diejenigen,<lb/>
die &#x017F;ich an &#x017F;einem Ko&#x0364;rper zeigen und in die Sinne fal-<lb/>
len, aufzu&#x017F;uchen, zu vergleichen, und aus ihnen die<lb/>
Eigenheiten ganzer Haufen, Vo&#x0364;lker, Ge&#x017F;chlechter her-<lb/>
auszunehmen, und durch die&#x017F;e als Unter&#x017F;cheidungs-<lb/>
merkmale die Men&#x017F;chen in Gattungen, Arten und Cla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en abzutheilen, &#x017F;o weit na&#x0364;mlich, als hier eine Gattungs-<lb/>
ver&#x017F;chiedenheit &#x017F;tattfindet. Denn ich bin &#x017F;ehr u&#x0364;ber-<lb/>
zeugt, daß &#x017F;ie alle Eines Ge&#x017F;chlechts &#x017F;ind, in dem<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II</hi><hi rendition="#fr">Theil.</hi> A a</fw><fw place="bottom" type="catch">Sinne</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[369/0399] und Entwickelung des Menſchen. Vorerinnerung uͤber die Abſicht dieſes Verſuchs. Die Natur des Menſchen entwickelt ſich, waͤchſt und gedeihet unter den verſchiedenſten Umſtaͤnden, unter jedem Himmelsſtrich, bey der unterſchiedenſten Nahrungs- und Lebensart; in etwas auch außer der Geſellſchaft; in den verſchiedenſten Verfaſſungen der Geſellſchaft, in der Wildheit, der Barbarey, der Ver- feinerung und der Auf klaͤrung; mit einem Worte, in den verſchiedenſten Beziehungen auf die aͤußeren Gegenſtaͤn- de, auf die Koͤrper, auf die Thiere und auf andre Men- ſchen. Aber eben ſo mannichfaltig iſt die innere Form, welche die Natur unter dieſen verſchiedenen Umſtaͤnden annimmt; verſchieden ſind die Richtungen, worein die Grundkraͤfte und gemeinſchaftlichen Vermoͤgen gebracht werden; mannichfaltig die Grade und Stufen der Staͤrke und Schwaͤche und der Wirkſamkeit in den Kraͤften, und mannichfaltig die Verhaͤltniſſe und Be- ziehungen der Kraͤfte auf einander, und die ſogenannten abgeleiteten Kraͤfte und Fertigkeiten, die von jener Ver- ſchiedenheit der innern Verhaͤltniſſe abhangen. Von einem großen Theile dieſer Verſchiedenheiten iſt es offen- bar, daß ſie in aͤußern Urſachen ihren Grund haben, wenn ſolcher gleich bey einigen nicht ſo ſehr einleuchtet. Es gehoͤrt zu der Naturgeſchichte des Men- ſchen/ dieſe Verſchiedenheiten und zunaͤchſt diejenigen, die ſich an ſeinem Koͤrper zeigen und in die Sinne fal- len, aufzuſuchen, zu vergleichen, und aus ihnen die Eigenheiten ganzer Haufen, Voͤlker, Geſchlechter her- auszunehmen, und durch dieſe als Unterſcheidungs- merkmale die Menſchen in Gattungen, Arten und Claſ- ſen abzutheilen, ſo weit naͤmlich, als hier eine Gattungs- verſchiedenheit ſtattfindet. Denn ich bin ſehr uͤber- zeugt, daß ſie alle Eines Geſchlechts ſind, in dem Sinne II Theil. A a

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/399
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/399>, abgerufen am 29.03.2024.