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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
auf die dritte und vierte Generation antrift, lehren zwar
eine gewisse Evolution der Theile, die aber eben so
wenig die durchgängige Evolution als ihre Folgen be-
weiset, die man in Hinsicht der Einschließung der Kei-
me aus ihr gezogen hat.

7.

Es hat weniger Schwierigkeiten, die Entstehungs-
art solcher Formen zu begreifen, welche nicht so bestimmt,
wie die wesentlichen Formen, in der Vorherbildung des
Keims gegründet sind. Jch meine nämlich, es lasse sich
solches im Allgemeinen begreifen, und weiß wohl, daß
dieß Metaphysische in der Sache nur unendlich wenig
von dem individuellen Physischen ist, welches letztere
sich nicht erschöpfen läßt. Jst der Grund zu einer Bil-
dung im Keim nicht so stark bestimmend, oder ist gar
in jenem, in Hinsicht auf eine bestimmte Form, nichts
mehr als eine bloße Empfänglichkeit vorhanden: so wird
diese Empfänglichkeit in eine Disposition oder in eine
Anlage, und die Anlage in eine nähere Anlage und
in Tendenz, und die Tendenz in eine Fertigkeit über-
gehen, und die letztere zur zwoten, festen und unverän-
derlichen Natur werden, wenn die hinzukommende Nah-
rung, die den Keim entwickelt, mit seinen Partikeln sich
vereiniget, die Kräfte derselben durch ähnliche Kräfte
vermehret und dadurch die Kraft des Ganzen verstär-
ket und sie in den Richtungen, worinn sie wirken, und
in ihren gleichmäßigen Verhältnissen gegen einander
befestiget. So viel die Nahrungstheile, welche hinzu-
kommen und in die vorhandenen geformten Partikeln wir-
ken, gleichmäßig mit jenen wirken, und in übereinstim-
mender Richtung wirken, in so ferne entstehen keine neue
Formen, sondern nur Evolutionen, Vergrößerungen,
Befestigungen der vorhandenen Formen. Jede Mehr-
heit des Aehnlichen macht Größen aus, in der Körper-

welt
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und Entwickelung des Menſchen.
auf die dritte und vierte Generation antrift, lehren zwar
eine gewiſſe Evolution der Theile, die aber eben ſo
wenig die durchgaͤngige Evolution als ihre Folgen be-
weiſet, die man in Hinſicht der Einſchließung der Kei-
me aus ihr gezogen hat.

7.

Es hat weniger Schwierigkeiten, die Entſtehungs-
art ſolcher Formen zu begreifen, welche nicht ſo beſtimmt,
wie die weſentlichen Formen, in der Vorherbildung des
Keims gegruͤndet ſind. Jch meine naͤmlich, es laſſe ſich
ſolches im Allgemeinen begreifen, und weiß wohl, daß
dieß Metaphyſiſche in der Sache nur unendlich wenig
von dem individuellen Phyſiſchen iſt, welches letztere
ſich nicht erſchoͤpfen laͤßt. Jſt der Grund zu einer Bil-
dung im Keim nicht ſo ſtark beſtimmend, oder iſt gar
in jenem, in Hinſicht auf eine beſtimmte Form, nichts
mehr als eine bloße Empfaͤnglichkeit vorhanden: ſo wird
dieſe Empfaͤnglichkeit in eine Diſpoſition oder in eine
Anlage, und die Anlage in eine naͤhere Anlage und
in Tendenz, und die Tendenz in eine Fertigkeit uͤber-
gehen, und die letztere zur zwoten, feſten und unveraͤn-
derlichen Natur werden, wenn die hinzukommende Nah-
rung, die den Keim entwickelt, mit ſeinen Partikeln ſich
vereiniget, die Kraͤfte derſelben durch aͤhnliche Kraͤfte
vermehret und dadurch die Kraft des Ganzen verſtaͤr-
ket und ſie in den Richtungen, worinn ſie wirken, und
in ihren gleichmaͤßigen Verhaͤltniſſen gegen einander
befeſtiget. So viel die Nahrungstheile, welche hinzu-
kommen und in die vorhandenen geformten Partikeln wir-
ken, gleichmaͤßig mit jenen wirken, und in uͤbereinſtim-
mender Richtung wirken, in ſo ferne entſtehen keine neue
Formen, ſondern nur Evolutionen, Vergroͤßerungen,
Befeſtigungen der vorhandenen Formen. Jede Mehr-
heit des Aehnlichen macht Groͤßen aus, in der Koͤrper-

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[533/0563] und Entwickelung des Menſchen. auf die dritte und vierte Generation antrift, lehren zwar eine gewiſſe Evolution der Theile, die aber eben ſo wenig die durchgaͤngige Evolution als ihre Folgen be- weiſet, die man in Hinſicht der Einſchließung der Kei- me aus ihr gezogen hat. 7. Es hat weniger Schwierigkeiten, die Entſtehungs- art ſolcher Formen zu begreifen, welche nicht ſo beſtimmt, wie die weſentlichen Formen, in der Vorherbildung des Keims gegruͤndet ſind. Jch meine naͤmlich, es laſſe ſich ſolches im Allgemeinen begreifen, und weiß wohl, daß dieß Metaphyſiſche in der Sache nur unendlich wenig von dem individuellen Phyſiſchen iſt, welches letztere ſich nicht erſchoͤpfen laͤßt. Jſt der Grund zu einer Bil- dung im Keim nicht ſo ſtark beſtimmend, oder iſt gar in jenem, in Hinſicht auf eine beſtimmte Form, nichts mehr als eine bloße Empfaͤnglichkeit vorhanden: ſo wird dieſe Empfaͤnglichkeit in eine Diſpoſition oder in eine Anlage, und die Anlage in eine naͤhere Anlage und in Tendenz, und die Tendenz in eine Fertigkeit uͤber- gehen, und die letztere zur zwoten, feſten und unveraͤn- derlichen Natur werden, wenn die hinzukommende Nah- rung, die den Keim entwickelt, mit ſeinen Partikeln ſich vereiniget, die Kraͤfte derſelben durch aͤhnliche Kraͤfte vermehret und dadurch die Kraft des Ganzen verſtaͤr- ket und ſie in den Richtungen, worinn ſie wirken, und in ihren gleichmaͤßigen Verhaͤltniſſen gegen einander befeſtiget. So viel die Nahrungstheile, welche hinzu- kommen und in die vorhandenen geformten Partikeln wir- ken, gleichmaͤßig mit jenen wirken, und in uͤbereinſtim- mender Richtung wirken, in ſo ferne entſtehen keine neue Formen, ſondern nur Evolutionen, Vergroͤßerungen, Befeſtigungen der vorhandenen Formen. Jede Mehr- heit des Aehnlichen macht Groͤßen aus, in der Koͤrper- welt L l 3

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/563>, abgerufen am 18.04.2024.