Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

und Entwickelung des Menschen.
bey andern Gattungen durch eine merkbare Zeitfolge ge-
trennet sind.

Zuerst wird ein Keim, oder eine Anlage, bereitet,
die aber unvollständig ist. Dieß ist der unbefruchte-
te Keim oder Saame, von dem die Naturforscher es aus-
machen mögen, ob er in dem Weibchen oder in dem
Männchen vorhanden sey? Jenes haben sie durch eine
große Jnduktion wahrscheinlich gemacht.

Die erste Anlage entstehet durch die Vereinigung
der sich entwickelnden und dazu vorher gebildeten Fibern,
Theile, Gefäße, in einem entwickelten organischen Kör-
per. Wenn es Eyer in Eyern wie Zwiebeln in Zwie-
beln giebt, so sieht man, daß eine völlige Entwicke-
lung eines Körpers nicht nöthig sey, um in sich eine
Anlage zu einem neuen Keim zu bilden. Es braucht
keines besondern Keims zu dieser ersten Anlage des
neuen Keims. Was in der Reproduktion, als wel-
che eine neue Erzeugung ist, vorgeht, kann uns zum
Beyspiel für die übrigen dienen. Da nämlich, wo ein
Theil abgeschnitten ist, vereinigen sich die Gefäße, es
entstehet ein Wulst, ein Hübelchen, ein Knöpfchen, wie
Hr. Bonnet es deutlich und genau gesehen und beschrie-
ben hat. *) Dieser Wulst, dieß Hübelchen ist mehr als
eine bloße Ausdehnung und Entwickelung vorherda-
seyender Fibern. Es enthält schon eine neue Verbindung
derselben, und ist in so fern eine neue Form. Der
ganze Grund zur Bildung dieses Anfangs ist vertheilt
durch alle Fibern, Saftdrüsen, Gefäße, welche diese
Vereinigung bewirken. Aber einige von den sich verei-
nigenden Gefäßen haben ohne Zweifel mehr als andere
Antheil an dem ganzen formenden Grunde. Hr. Bon-
net
hat richtig bemerkt, daß die neuen Anwüchse keine
Verlängerungen des abgeschnittenen Strunks sind, son-

dern
*) a. a. O. zweet. Th. Art. 245. 246.
L l 4

und Entwickelung des Menſchen.
bey andern Gattungen durch eine merkbare Zeitfolge ge-
trennet ſind.

Zuerſt wird ein Keim, oder eine Anlage, bereitet,
die aber unvollſtaͤndig iſt. Dieß iſt der unbefruchte-
te Keim oder Saame, von dem die Naturforſcher es aus-
machen moͤgen, ob er in dem Weibchen oder in dem
Maͤnnchen vorhanden ſey? Jenes haben ſie durch eine
große Jnduktion wahrſcheinlich gemacht.

Die erſte Anlage entſtehet durch die Vereinigung
der ſich entwickelnden und dazu vorher gebildeten Fibern,
Theile, Gefaͤße, in einem entwickelten organiſchen Koͤr-
per. Wenn es Eyer in Eyern wie Zwiebeln in Zwie-
beln giebt, ſo ſieht man, daß eine voͤllige Entwicke-
lung eines Koͤrpers nicht noͤthig ſey, um in ſich eine
Anlage zu einem neuen Keim zu bilden. Es braucht
keines beſondern Keims zu dieſer erſten Anlage des
neuen Keims. Was in der Reproduktion, als wel-
che eine neue Erzeugung iſt, vorgeht, kann uns zum
Beyſpiel fuͤr die uͤbrigen dienen. Da naͤmlich, wo ein
Theil abgeſchnitten iſt, vereinigen ſich die Gefaͤße, es
entſtehet ein Wulſt, ein Huͤbelchen, ein Knoͤpfchen, wie
Hr. Bonnet es deutlich und genau geſehen und beſchrie-
ben hat. *) Dieſer Wulſt, dieß Huͤbelchen iſt mehr als
eine bloße Ausdehnung und Entwickelung vorherda-
ſeyender Fibern. Es enthaͤlt ſchon eine neue Verbindung
derſelben, und iſt in ſo fern eine neue Form. Der
ganze Grund zur Bildung dieſes Anfangs iſt vertheilt
durch alle Fibern, Saftdruͤſen, Gefaͤße, welche dieſe
Vereinigung bewirken. Aber einige von den ſich verei-
nigenden Gefaͤßen haben ohne Zweifel mehr als andere
Antheil an dem ganzen formenden Grunde. Hr. Bon-
net
hat richtig bemerkt, daß die neuen Anwuͤchſe keine
Verlaͤngerungen des abgeſchnittenen Strunks ſind, ſon-

dern
*) a. a. O. zweet. Th. Art. 245. 246.
L l 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0565" n="535"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Entwickelung des Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
bey andern Gattungen durch eine merkbare Zeitfolge ge-<lb/>
trennet &#x017F;ind.</p><lb/>
              <p>Zuer&#x017F;t wird ein <hi rendition="#fr">Keim,</hi> oder eine Anlage, <hi rendition="#fr">bereitet,</hi><lb/>
die aber <hi rendition="#fr">unvoll&#x017F;ta&#x0364;ndig</hi> i&#x017F;t. Dieß i&#x017F;t der unbefruchte-<lb/>
te Keim oder Saame, von dem die Naturfor&#x017F;cher es aus-<lb/>
machen mo&#x0364;gen, ob er in dem Weibchen oder in dem<lb/>
Ma&#x0364;nnchen vorhanden &#x017F;ey? Jenes haben &#x017F;ie durch eine<lb/>
große Jnduktion wahr&#x017F;cheinlich gemacht.</p><lb/>
              <p>Die er&#x017F;te Anlage ent&#x017F;tehet durch die Vereinigung<lb/>
der &#x017F;ich entwickelnden und dazu vorher gebildeten Fibern,<lb/>
Theile, Gefa&#x0364;ße, in einem entwickelten organi&#x017F;chen Ko&#x0364;r-<lb/>
per. Wenn es Eyer in Eyern wie Zwiebeln in Zwie-<lb/>
beln giebt, &#x017F;o &#x017F;ieht man, daß eine vo&#x0364;llige Entwicke-<lb/>
lung eines Ko&#x0364;rpers nicht no&#x0364;thig &#x017F;ey, um in &#x017F;ich eine<lb/>
Anlage zu einem neuen Keim zu bilden. Es braucht<lb/>
keines be&#x017F;ondern Keims zu die&#x017F;er er&#x017F;ten Anlage des<lb/>
neuen Keims. Was in der <hi rendition="#fr">Reproduktion,</hi> als wel-<lb/>
che eine neue Erzeugung i&#x017F;t, vorgeht, kann uns zum<lb/>
Bey&#x017F;piel fu&#x0364;r die u&#x0364;brigen dienen. Da na&#x0364;mlich, wo ein<lb/>
Theil abge&#x017F;chnitten i&#x017F;t, vereinigen &#x017F;ich die Gefa&#x0364;ße, es<lb/>
ent&#x017F;tehet ein Wul&#x017F;t, ein Hu&#x0364;belchen, ein Kno&#x0364;pfchen, wie<lb/>
Hr. <hi rendition="#fr">Bonnet</hi> es deutlich und genau ge&#x017F;ehen und be&#x017F;chrie-<lb/>
ben hat. <note place="foot" n="*)">a. a. O. zweet. Th. Art. 245. 246.</note> Die&#x017F;er Wul&#x017F;t, dieß Hu&#x0364;belchen i&#x017F;t mehr als<lb/>
eine bloße <hi rendition="#fr">Ausdehnung</hi> und Entwickelung vorherda-<lb/>
&#x017F;eyender Fibern. Es entha&#x0364;lt &#x017F;chon eine neue Verbindung<lb/>
der&#x017F;elben, und i&#x017F;t in &#x017F;o fern eine <hi rendition="#fr">neue Form.</hi> Der<lb/>
ganze Grund zur Bildung die&#x017F;es Anfangs i&#x017F;t vertheilt<lb/>
durch alle Fibern, Saftdru&#x0364;&#x017F;en, Gefa&#x0364;ße, welche die&#x017F;e<lb/>
Vereinigung bewirken. Aber einige von den &#x017F;ich verei-<lb/>
nigenden Gefa&#x0364;ßen haben ohne Zweifel mehr als andere<lb/>
Antheil an dem ganzen formenden Grunde. Hr. <hi rendition="#fr">Bon-<lb/>
net</hi> hat richtig bemerkt, daß die neuen Anwu&#x0364;ch&#x017F;e keine<lb/>
Verla&#x0364;ngerungen des abge&#x017F;chnittenen Strunks &#x017F;ind, &#x017F;on-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L l 4</fw><fw place="bottom" type="catch">dern</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[535/0565] und Entwickelung des Menſchen. bey andern Gattungen durch eine merkbare Zeitfolge ge- trennet ſind. Zuerſt wird ein Keim, oder eine Anlage, bereitet, die aber unvollſtaͤndig iſt. Dieß iſt der unbefruchte- te Keim oder Saame, von dem die Naturforſcher es aus- machen moͤgen, ob er in dem Weibchen oder in dem Maͤnnchen vorhanden ſey? Jenes haben ſie durch eine große Jnduktion wahrſcheinlich gemacht. Die erſte Anlage entſtehet durch die Vereinigung der ſich entwickelnden und dazu vorher gebildeten Fibern, Theile, Gefaͤße, in einem entwickelten organiſchen Koͤr- per. Wenn es Eyer in Eyern wie Zwiebeln in Zwie- beln giebt, ſo ſieht man, daß eine voͤllige Entwicke- lung eines Koͤrpers nicht noͤthig ſey, um in ſich eine Anlage zu einem neuen Keim zu bilden. Es braucht keines beſondern Keims zu dieſer erſten Anlage des neuen Keims. Was in der Reproduktion, als wel- che eine neue Erzeugung iſt, vorgeht, kann uns zum Beyſpiel fuͤr die uͤbrigen dienen. Da naͤmlich, wo ein Theil abgeſchnitten iſt, vereinigen ſich die Gefaͤße, es entſtehet ein Wulſt, ein Huͤbelchen, ein Knoͤpfchen, wie Hr. Bonnet es deutlich und genau geſehen und beſchrie- ben hat. *) Dieſer Wulſt, dieß Huͤbelchen iſt mehr als eine bloße Ausdehnung und Entwickelung vorherda- ſeyender Fibern. Es enthaͤlt ſchon eine neue Verbindung derſelben, und iſt in ſo fern eine neue Form. Der ganze Grund zur Bildung dieſes Anfangs iſt vertheilt durch alle Fibern, Saftdruͤſen, Gefaͤße, welche dieſe Vereinigung bewirken. Aber einige von den ſich verei- nigenden Gefaͤßen haben ohne Zweifel mehr als andere Antheil an dem ganzen formenden Grunde. Hr. Bon- net hat richtig bemerkt, daß die neuen Anwuͤchſe keine Verlaͤngerungen des abgeſchnittenen Strunks ſind, ſon- dern *) a. a. O. zweet. Th. Art. 245. 246. L l 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/565
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/565>, abgerufen am 25.04.2024.