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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809.

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Werthschätzung eines Landguts.
möglich, einen Angriff darauf vermeiden, wenn er sie anders besetzt, und von einer
im Schießen geübten Landmiliz gut vertheidigt glaubt. Eine solche Provinz würde
besonders bei einer etwas hügeligen Lage vielleicht die stärkste aller Festungen seyn.

§. 114.

Sitten.Auch die Sitten, die Lebensweise, die Moralität, der Charakter und die Ge-
bräuche, welche unter den verschiedenen Klassen der Einwohner in einer Gegend die
herrschenden sind, kommen bei der Wahl eines Landguts in Betracht. Es giebt hier
individuelle Rücksichten, die ein jeder nach seiner Denkungsart und nach seinen Um-
ständen zu nehmen hat. Nur Einiges im Allgemeinen:

Ob der Luxus vortheilhaft oder nachtheilig sey, ist eine so häufig aufgeworfene
Frage, die aber im Ganzen noch nicht genugthuend beantwortet ist, und es auch,
ohne sie zu zergliedern, nicht werden kann. In sofern er den bei Einzelnen angehäuf-
ten Reichthum in Umlauf bringt, die Zirkulation überhaupt befördert, den Arbeits-
fleiß erweckt, wirkt er gewiß wohlthätig. Indessen ist der Aufwand einiger Reichen
oder Verschwender bei weitem nicht von der Wirksamkeit, wie ein unter allen Klassen
der Einwohner verbreitetes und ihnen angemessenes Wohlleben. Was jene ausgeben,
kommt schnell wieder aus dem Umlaufe, geht zum großen Theile außer Landes, und
es sind mehrentheils nur einzelne wenige Zwischenhändler, die dabei gewinnen, ohne
daß es auf die eigentlichen Erwerbungen beträchtlichen Einfluß hat. Uebrigens aber
hat eine sparsamere Lebensart, wobei ein jeder von seinem Verdienste etwas erübriget,
und mehr oder weniger zurücklegt, nicht nur auf die innere Glückseligkeit der Familien
einen bessern Einfluß, sondern indem dadurch das Betriebskapital der Gewerbe ver-
mehrt wird, auch auf das allgemeine Beste, zumal in einem nicht sehr reichen Lande.

Gegenden, wo man sich einem übertriebenen Aufwande, seinem Stande und
Verhältnisse nach, nicht wohl entziehen kann, ohne allen gesellschaftlichen Verbin-
dungen und Vergnügungen zu entsagen, wird der auf das Wohl seiner Familie und
den energievollen Betrieb seines Gewerbes bedachte Hausvater lieber vermeiden.
Weit entfernt, den Lebensgenuß zu vermehren, trübt ihn dieser nur, und man kann
in Ungarn eben so vergnügt leben, wenn man keinen Rhein- und Bourdeaux-Wein
tränke, wie am Rheine, wenn man keinen Ungar-Wein hätte.

Rechtlichkeit, Zuverlässigkeit und eine liberale Denkungsart sind den Einwoh-
nern einer Gegend und den verschiedenen Klassen derselben -- freilich immer mit

Werthſchaͤtzung eines Landguts.
moͤglich, einen Angriff darauf vermeiden, wenn er ſie anders beſetzt, und von einer
im Schießen geuͤbten Landmiliz gut vertheidigt glaubt. Eine ſolche Provinz wuͤrde
beſonders bei einer etwas huͤgeligen Lage vielleicht die ſtaͤrkſte aller Feſtungen ſeyn.

§. 114.

Sitten.Auch die Sitten, die Lebensweiſe, die Moralitaͤt, der Charakter und die Ge-
braͤuche, welche unter den verſchiedenen Klaſſen der Einwohner in einer Gegend die
herrſchenden ſind, kommen bei der Wahl eines Landguts in Betracht. Es giebt hier
individuelle Ruͤckſichten, die ein jeder nach ſeiner Denkungsart und nach ſeinen Um-
ſtaͤnden zu nehmen hat. Nur Einiges im Allgemeinen:

Ob der Luxus vortheilhaft oder nachtheilig ſey, iſt eine ſo haͤufig aufgeworfene
Frage, die aber im Ganzen noch nicht genugthuend beantwortet iſt, und es auch,
ohne ſie zu zergliedern, nicht werden kann. In ſofern er den bei Einzelnen angehaͤuf-
ten Reichthum in Umlauf bringt, die Zirkulation uͤberhaupt befoͤrdert, den Arbeits-
fleiß erweckt, wirkt er gewiß wohlthaͤtig. Indeſſen iſt der Aufwand einiger Reichen
oder Verſchwender bei weitem nicht von der Wirkſamkeit, wie ein unter allen Klaſſen
der Einwohner verbreitetes und ihnen angemeſſenes Wohlleben. Was jene ausgeben,
kommt ſchnell wieder aus dem Umlaufe, geht zum großen Theile außer Landes, und
es ſind mehrentheils nur einzelne wenige Zwiſchenhaͤndler, die dabei gewinnen, ohne
daß es auf die eigentlichen Erwerbungen betraͤchtlichen Einfluß hat. Uebrigens aber
hat eine ſparſamere Lebensart, wobei ein jeder von ſeinem Verdienſte etwas eruͤbriget,
und mehr oder weniger zuruͤcklegt, nicht nur auf die innere Gluͤckſeligkeit der Familien
einen beſſern Einfluß, ſondern indem dadurch das Betriebskapital der Gewerbe ver-
mehrt wird, auch auf das allgemeine Beſte, zumal in einem nicht ſehr reichen Lande.

Gegenden, wo man ſich einem uͤbertriebenen Aufwande, ſeinem Stande und
Verhaͤltniſſe nach, nicht wohl entziehen kann, ohne allen geſellſchaftlichen Verbin-
dungen und Vergnuͤgungen zu entſagen, wird der auf das Wohl ſeiner Familie und
den energievollen Betrieb ſeines Gewerbes bedachte Hausvater lieber vermeiden.
Weit entfernt, den Lebensgenuß zu vermehren, truͤbt ihn dieſer nur, und man kann
in Ungarn eben ſo vergnuͤgt leben, wenn man keinen Rhein- und Bourdeaux-Wein
traͤnke, wie am Rheine, wenn man keinen Ungar-Wein haͤtte.

Rechtlichkeit, Zuverlaͤſſigkeit und eine liberale Denkungsart ſind den Einwoh-
nern einer Gegend und den verſchiedenen Klaſſen derſelben — freilich immer mit

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[76/0106] Werthſchaͤtzung eines Landguts. moͤglich, einen Angriff darauf vermeiden, wenn er ſie anders beſetzt, und von einer im Schießen geuͤbten Landmiliz gut vertheidigt glaubt. Eine ſolche Provinz wuͤrde beſonders bei einer etwas huͤgeligen Lage vielleicht die ſtaͤrkſte aller Feſtungen ſeyn. §. 114. Auch die Sitten, die Lebensweiſe, die Moralitaͤt, der Charakter und die Ge- braͤuche, welche unter den verſchiedenen Klaſſen der Einwohner in einer Gegend die herrſchenden ſind, kommen bei der Wahl eines Landguts in Betracht. Es giebt hier individuelle Ruͤckſichten, die ein jeder nach ſeiner Denkungsart und nach ſeinen Um- ſtaͤnden zu nehmen hat. Nur Einiges im Allgemeinen: Sitten. Ob der Luxus vortheilhaft oder nachtheilig ſey, iſt eine ſo haͤufig aufgeworfene Frage, die aber im Ganzen noch nicht genugthuend beantwortet iſt, und es auch, ohne ſie zu zergliedern, nicht werden kann. In ſofern er den bei Einzelnen angehaͤuf- ten Reichthum in Umlauf bringt, die Zirkulation uͤberhaupt befoͤrdert, den Arbeits- fleiß erweckt, wirkt er gewiß wohlthaͤtig. Indeſſen iſt der Aufwand einiger Reichen oder Verſchwender bei weitem nicht von der Wirkſamkeit, wie ein unter allen Klaſſen der Einwohner verbreitetes und ihnen angemeſſenes Wohlleben. Was jene ausgeben, kommt ſchnell wieder aus dem Umlaufe, geht zum großen Theile außer Landes, und es ſind mehrentheils nur einzelne wenige Zwiſchenhaͤndler, die dabei gewinnen, ohne daß es auf die eigentlichen Erwerbungen betraͤchtlichen Einfluß hat. Uebrigens aber hat eine ſparſamere Lebensart, wobei ein jeder von ſeinem Verdienſte etwas eruͤbriget, und mehr oder weniger zuruͤcklegt, nicht nur auf die innere Gluͤckſeligkeit der Familien einen beſſern Einfluß, ſondern indem dadurch das Betriebskapital der Gewerbe ver- mehrt wird, auch auf das allgemeine Beſte, zumal in einem nicht ſehr reichen Lande. Gegenden, wo man ſich einem uͤbertriebenen Aufwande, ſeinem Stande und Verhaͤltniſſe nach, nicht wohl entziehen kann, ohne allen geſellſchaftlichen Verbin- dungen und Vergnuͤgungen zu entſagen, wird der auf das Wohl ſeiner Familie und den energievollen Betrieb ſeines Gewerbes bedachte Hausvater lieber vermeiden. Weit entfernt, den Lebensgenuß zu vermehren, truͤbt ihn dieſer nur, und man kann in Ungarn eben ſo vergnuͤgt leben, wenn man keinen Rhein- und Bourdeaux-Wein traͤnke, wie am Rheine, wenn man keinen Ungar-Wein haͤtte. Rechtlichkeit, Zuverlaͤſſigkeit und eine liberale Denkungsart ſind den Einwoh- nern einer Gegend und den verſchiedenen Klaſſen derſelben — freilich immer mit

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Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft01_1809/106>, abgerufen am 29.03.2024.