Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Getreidearten.
§. 15.

Ob und wo sie wild wachsen, und wo folglich ihr Vaterland sey, ist nochCharakter
und Natur
der Getreide-
arten.

zweifelhaft. Denn, daß man sie an einigen Orten ohne Kultur angetroffen
habe, beweist nichts. Sie gleichen darin, und daß sie vielleicht eben so sehr
von ihrem natürlichen Zustande abgewichen sind, den Hausthieren, die mit
ihnen, dem Menschen in alle Klimate folgten, und sich an verschiedene Lebens-
weise gewöhnten.

Vor anderen Gräsern unterscheiden sie sich ökonomisch durch ihren grö-
ßeren
oder mehlhaltigeren Saamen, und dieser ist der Grund ihres Anbaues.
Denn nahrhaft und gleichartig in seiner Natur ist der Saame vieler anderen
Gräser auch, und wird wirklich zur Nahrung benutzt, wie der Saame der
Trespe und des Schwadens.

Sie scheinen alle ursprünglich und in wärmern Klimaten einjährig zu seyn,
und es sind nur einige durch die Kultur an Durchwinterung gewöhnt, da die
Sommerzeit bei uns zu ihrer Reifung nicht zureichte.

Sie haben mit den meisten Gräsern die Neigung gemein, sich zu bestau-
den oder zu bestocken, aus ihren untern Knoten Wurzeln, und sodann neue
Sprossen und Halme zu treiben, besonders wenn an diese Knoten frische Erde
gebracht, und ihr Schossen aufgehalten wird. Durch sorgfältige Verhinderung
des letztern kann man sie sogar mehrere Jahre erhalten und zur Bildung eines
dichten Rasens nöthigen.

Durch Beförderung ihres Bestaudens und Abtrennung der Sprossen kann
man ihren Saamenertrag zu einer enormen Vermehrung bringen. So brachte
der Irrländer Miller aus einem Weizenkorn -- welches er im Junius steckte,
indem er im Herbste und im folgenden Frühjahre mehreremal Ableger davon machte
und verpflanzte -- in einem Jahre 21,109 Aehren, und in selbigen 576,840 Kör-
ner hervor, und glaubt daß er dieses noch weiter hätte treiben können. Meh-
rere andere haben bei minderer Sorgfalt doch 40,000 Körner aus einem in
einer Jahresfrist hervorgebracht, weswegen es lächerlich ist, von einer 80 bis
100fältigen Vermehrung gewisser Kornarten, als etwas bewundernswürdigen,
ohne nähere Angabe des Raums, des Bodens und der Kultur, reden zu hören.


Getreidearten.
§. 15.

Ob und wo ſie wild wachſen, und wo folglich ihr Vaterland ſey, iſt nochCharakter
und Natur
der Getreide-
arten.

zweifelhaft. Denn, daß man ſie an einigen Orten ohne Kultur angetroffen
habe, beweiſt nichts. Sie gleichen darin, und daß ſie vielleicht eben ſo ſehr
von ihrem natuͤrlichen Zuſtande abgewichen ſind, den Hausthieren, die mit
ihnen, dem Menſchen in alle Klimate folgten, und ſich an verſchiedene Lebens-
weiſe gewoͤhnten.

Vor anderen Graͤſern unterſcheiden ſie ſich oͤkonomiſch durch ihren groͤ-
ßeren
oder mehlhaltigeren Saamen, und dieſer iſt der Grund ihres Anbaues.
Denn nahrhaft und gleichartig in ſeiner Natur iſt der Saame vieler anderen
Graͤſer auch, und wird wirklich zur Nahrung benutzt, wie der Saame der
Trespe und des Schwadens.

Sie ſcheinen alle urſpruͤnglich und in waͤrmern Klimaten einjaͤhrig zu ſeyn,
und es ſind nur einige durch die Kultur an Durchwinterung gewoͤhnt, da die
Sommerzeit bei uns zu ihrer Reifung nicht zureichte.

Sie haben mit den meiſten Graͤſern die Neigung gemein, ſich zu beſtau-
den oder zu beſtocken, aus ihren untern Knoten Wurzeln, und ſodann neue
Sproſſen und Halme zu treiben, beſonders wenn an dieſe Knoten friſche Erde
gebracht, und ihr Schoſſen aufgehalten wird. Durch ſorgfaͤltige Verhinderung
des letztern kann man ſie ſogar mehrere Jahre erhalten und zur Bildung eines
dichten Raſens noͤthigen.

Durch Befoͤrderung ihres Beſtaudens und Abtrennung der Sproſſen kann
man ihren Saamenertrag zu einer enormen Vermehrung bringen. So brachte
der Irrlaͤnder Miller aus einem Weizenkorn — welches er im Junius ſteckte,
indem er im Herbſte und im folgenden Fruͤhjahre mehreremal Ableger davon machte
und verpflanzte — in einem Jahre 21,109 Aehren, und in ſelbigen 576,840 Koͤr-
ner hervor, und glaubt daß er dieſes noch weiter haͤtte treiben koͤnnen. Meh-
rere andere haben bei minderer Sorgfalt doch 40,000 Koͤrner aus einem in
einer Jahresfriſt hervorgebracht, weswegen es laͤcherlich iſt, von einer 80 bis
100faͤltigen Vermehrung gewiſſer Kornarten, als etwas bewundernswuͤrdigen,
ohne naͤhere Angabe des Raums, des Bodens und der Kultur, reden zu hoͤren.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0047" n="23"/>
          <fw place="top" type="header">Getreidearten.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 15.</head><lb/>
            <p>Ob und wo &#x017F;ie wild wach&#x017F;en, und wo folglich ihr Vaterland &#x017F;ey, i&#x017F;t noch<note place="right">Charakter<lb/>
und Natur<lb/>
der Getreide-<lb/>
arten.</note><lb/>
zweifelhaft. Denn, daß man &#x017F;ie an einigen Orten ohne Kultur angetroffen<lb/>
habe, bewei&#x017F;t nichts. Sie gleichen darin, und daß &#x017F;ie vielleicht eben &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
von ihrem natu&#x0364;rlichen Zu&#x017F;tande abgewichen &#x017F;ind, den Hausthieren, die mit<lb/>
ihnen, dem Men&#x017F;chen in alle Klimate folgten, und &#x017F;ich an ver&#x017F;chiedene Lebens-<lb/>
wei&#x017F;e gewo&#x0364;hnten.</p><lb/>
            <p>Vor anderen Gra&#x0364;&#x017F;ern unter&#x017F;cheiden &#x017F;ie &#x017F;ich o&#x0364;konomi&#x017F;ch durch ihren <hi rendition="#g">gro&#x0364;-<lb/>
ßeren</hi> oder mehlhaltigeren Saamen, und die&#x017F;er i&#x017F;t der Grund ihres Anbaues.<lb/>
Denn nahrhaft und gleichartig in &#x017F;einer Natur i&#x017F;t der Saame vieler anderen<lb/>
Gra&#x0364;&#x017F;er auch, und wird wirklich zur Nahrung benutzt, wie der Saame der<lb/>
Trespe und des Schwadens.</p><lb/>
            <p>Sie &#x017F;cheinen alle ur&#x017F;pru&#x0364;nglich und in wa&#x0364;rmern Klimaten einja&#x0364;hrig zu &#x017F;eyn,<lb/>
und es &#x017F;ind nur einige durch die Kultur an Durchwinterung gewo&#x0364;hnt, da die<lb/>
Sommerzeit bei uns zu ihrer Reifung nicht zureichte.</p><lb/>
            <p>Sie haben mit den mei&#x017F;ten Gra&#x0364;&#x017F;ern die Neigung gemein, &#x017F;ich zu be&#x017F;tau-<lb/>
den oder zu be&#x017F;tocken, aus ihren untern Knoten Wurzeln, und &#x017F;odann neue<lb/>
Spro&#x017F;&#x017F;en und Halme zu treiben, be&#x017F;onders wenn an die&#x017F;e Knoten fri&#x017F;che Erde<lb/>
gebracht, und ihr Scho&#x017F;&#x017F;en aufgehalten wird. Durch &#x017F;orgfa&#x0364;ltige Verhinderung<lb/>
des letztern kann man &#x017F;ie &#x017F;ogar mehrere Jahre erhalten und zur Bildung eines<lb/>
dichten Ra&#x017F;ens no&#x0364;thigen.</p><lb/>
            <p>Durch Befo&#x0364;rderung ihres Be&#x017F;taudens und Abtrennung der Spro&#x017F;&#x017F;en kann<lb/>
man ihren Saamenertrag zu einer enormen Vermehrung bringen. So brachte<lb/>
der Irrla&#x0364;nder <hi rendition="#g">Miller</hi> aus einem Weizenkorn &#x2014; welches er im Junius &#x017F;teckte,<lb/>
indem er im Herb&#x017F;te und im folgenden Fru&#x0364;hjahre mehreremal Ableger davon machte<lb/>
und verpflanzte &#x2014; in einem Jahre 21,109 Aehren, und in &#x017F;elbigen 576,840 Ko&#x0364;r-<lb/>
ner hervor, und glaubt daß er die&#x017F;es noch weiter ha&#x0364;tte treiben ko&#x0364;nnen. Meh-<lb/>
rere andere haben bei minderer Sorgfalt doch 40,000 Ko&#x0364;rner aus einem in<lb/>
einer Jahresfri&#x017F;t hervorgebracht, weswegen es la&#x0364;cherlich i&#x017F;t, von einer 80 bis<lb/>
100fa&#x0364;ltigen Vermehrung gewi&#x017F;&#x017F;er Kornarten, als etwas bewundernswu&#x0364;rdigen,<lb/>
ohne na&#x0364;here Angabe des Raums, des Bodens und der Kultur, reden zu ho&#x0364;ren.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0047] Getreidearten. §. 15. Ob und wo ſie wild wachſen, und wo folglich ihr Vaterland ſey, iſt noch zweifelhaft. Denn, daß man ſie an einigen Orten ohne Kultur angetroffen habe, beweiſt nichts. Sie gleichen darin, und daß ſie vielleicht eben ſo ſehr von ihrem natuͤrlichen Zuſtande abgewichen ſind, den Hausthieren, die mit ihnen, dem Menſchen in alle Klimate folgten, und ſich an verſchiedene Lebens- weiſe gewoͤhnten. Charakter und Natur der Getreide- arten. Vor anderen Graͤſern unterſcheiden ſie ſich oͤkonomiſch durch ihren groͤ- ßeren oder mehlhaltigeren Saamen, und dieſer iſt der Grund ihres Anbaues. Denn nahrhaft und gleichartig in ſeiner Natur iſt der Saame vieler anderen Graͤſer auch, und wird wirklich zur Nahrung benutzt, wie der Saame der Trespe und des Schwadens. Sie ſcheinen alle urſpruͤnglich und in waͤrmern Klimaten einjaͤhrig zu ſeyn, und es ſind nur einige durch die Kultur an Durchwinterung gewoͤhnt, da die Sommerzeit bei uns zu ihrer Reifung nicht zureichte. Sie haben mit den meiſten Graͤſern die Neigung gemein, ſich zu beſtau- den oder zu beſtocken, aus ihren untern Knoten Wurzeln, und ſodann neue Sproſſen und Halme zu treiben, beſonders wenn an dieſe Knoten friſche Erde gebracht, und ihr Schoſſen aufgehalten wird. Durch ſorgfaͤltige Verhinderung des letztern kann man ſie ſogar mehrere Jahre erhalten und zur Bildung eines dichten Raſens noͤthigen. Durch Befoͤrderung ihres Beſtaudens und Abtrennung der Sproſſen kann man ihren Saamenertrag zu einer enormen Vermehrung bringen. So brachte der Irrlaͤnder Miller aus einem Weizenkorn — welches er im Junius ſteckte, indem er im Herbſte und im folgenden Fruͤhjahre mehreremal Ableger davon machte und verpflanzte — in einem Jahre 21,109 Aehren, und in ſelbigen 576,840 Koͤr- ner hervor, und glaubt daß er dieſes noch weiter haͤtte treiben koͤnnen. Meh- rere andere haben bei minderer Sorgfalt doch 40,000 Koͤrner aus einem in einer Jahresfriſt hervorgebracht, weswegen es laͤcherlich iſt, von einer 80 bis 100faͤltigen Vermehrung gewiſſer Kornarten, als etwas bewundernswuͤrdigen, ohne naͤhere Angabe des Raums, des Bodens und der Kultur, reden zu hoͤren.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812/47
Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812/47>, abgerufen am 29.03.2024.