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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Glückseeligkeit des Menschen.
noch andere auch die vernünfftige Seele scheinen
gegeben zu haben/ weil die Empfängniß und
Verfertigung der Kinder in Mutter-Leibe wohl
stetswehrend unserer schwachen Vernunfft un-
erkant bleiben wird. Wir wollen nun von de-
nen sagen die in Ohnmacht liegen. Bey
diesen scheinet die Bewegung des Geblütes
verschwunden zu seyn/ und dennoch leben sie
noch/ weil sie nicht unter die Todten können ge-
zehlet werden. Alleine man muß einen Unter-
schied unter einen langsamen und gar keiner Be-
wegung machen. Das Geblüte (wie auch nicht
weniger die Bewegungs-Geister) beweget sich
bey den in Ohnmacht liegenden sehr langsam/
daß man solche von ausseu nicht empfindet; aber
es beweget sich doch.

33.

Gleich ergestalt wenn einer von Schlag
gerühret wird/
wenn der Schlag die Bewe-
gung in denen Senn-Adern gantz auffhebet/ so
ist der Mensch tod/ schwächet er aber dieselbe
nur/ oder verderbet sie in einem oder etlichen
Gliedmassen/ so bleibet der Mensch zwar noch
am leben/ aber man kan so denn dieses nicht
für ein Exempel annehmen/ daß der Mensch
könne leben bleiben/ wenn er gleich keine Bewe-
gung in denen Senn-Adern habe.

34.

Ferner närrische und rasende Leute
haben warhafftig Vernunfft/ sie geden-
cken würcklich
(und wenn sie auch nicht ge-
dächten/ so bewegete sich doch ihre menschliche

Seele
E 3

Gluͤckſeeligkeit des Menſchen.
noch andere auch die vernuͤnfftige Seele ſcheinen
gegeben zu haben/ weil die Empfaͤngniß und
Verfertigung der Kinder in Mutter-Leibe wohl
ſtetswehrend unſerer ſchwachen Vernunfft un-
erkant bleiben wird. Wir wollen nun von de-
nen ſagen die in Ohnmacht liegen. Bey
dieſen ſcheinet die Bewegung des Gebluͤtes
verſchwunden zu ſeyn/ und dennoch leben ſie
noch/ weil ſie nicht unter die Todten koͤnnen ge-
zehlet werden. Alleine man muß einen Unter-
ſchied unter einen langſamen und gar keiner Be-
wegung machen. Das Gebluͤte (wie auch nicht
weniger die Bewegungs-Geiſter) beweget ſich
bey den in Ohnmacht liegenden ſehr langſam/
daß man ſolche von auſſeu nicht empfindet; aber
es beweget ſich doch.

33.

Gleich ergeſtalt wenn einer von Schlag
geruͤhret wird/
wenn der Schlag die Bewe-
gung in denen Senn-Adern gantz auffhebet/ ſo
iſt der Menſch tod/ ſchwaͤchet er aber dieſelbe
nur/ oder verderbet ſie in einem oder etlichen
Gliedmaſſen/ ſo bleibet der Menſch zwar noch
am leben/ aber man kan ſo denn dieſes nicht
fuͤr ein Exempel annehmen/ daß der Menſch
koͤnne leben bleiben/ wenn er gleich keine Bewe-
gung in denen Senn-Adern habe.

34.

Ferner naͤrriſche und raſende Leute
haben warhafftig Vernunfft/ ſie geden-
cken wuͤrcklich
(und wenn ſie auch nicht ge-
daͤchten/ ſo bewegete ſich doch ihre menſchliche

Seele
E 3
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[69/0101] Gluͤckſeeligkeit des Menſchen. noch andere auch die vernuͤnfftige Seele ſcheinen gegeben zu haben/ weil die Empfaͤngniß und Verfertigung der Kinder in Mutter-Leibe wohl ſtetswehrend unſerer ſchwachen Vernunfft un- erkant bleiben wird. Wir wollen nun von de- nen ſagen die in Ohnmacht liegen. Bey dieſen ſcheinet die Bewegung des Gebluͤtes verſchwunden zu ſeyn/ und dennoch leben ſie noch/ weil ſie nicht unter die Todten koͤnnen ge- zehlet werden. Alleine man muß einen Unter- ſchied unter einen langſamen und gar keiner Be- wegung machen. Das Gebluͤte (wie auch nicht weniger die Bewegungs-Geiſter) beweget ſich bey den in Ohnmacht liegenden ſehr langſam/ daß man ſolche von auſſeu nicht empfindet; aber es beweget ſich doch. 33. Gleich ergeſtalt wenn einer von Schlag geruͤhret wird/ wenn der Schlag die Bewe- gung in denen Senn-Adern gantz auffhebet/ ſo iſt der Menſch tod/ ſchwaͤchet er aber dieſelbe nur/ oder verderbet ſie in einem oder etlichen Gliedmaſſen/ ſo bleibet der Menſch zwar noch am leben/ aber man kan ſo denn dieſes nicht fuͤr ein Exempel annehmen/ daß der Menſch koͤnne leben bleiben/ wenn er gleich keine Bewe- gung in denen Senn-Adern habe. 34. Ferner naͤrriſche und raſende Leute haben warhafftig Vernunfft/ ſie geden- cken wuͤrcklich (und wenn ſie auch nicht ge- daͤchten/ ſo bewegete ſich doch ihre menſchliche Seele E 3

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/101>, abgerufen am 29.03.2024.