Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

Glückseeligkeit des Menschen.
Ruhe zubefördern und zu erhalten bemühet
ist.

83.

Ja was wollen wir viel lange von ver-
nünfftigen und unvernünfftigen Leuten reden/ lie-
ben doch die unvernünfftigen und lasterhaff-
testen Leute andere Geschöpffe mehr als
sich/
und ist nur darinnen der Unterschied zwi-
schen ihnen und vernünfftigen Menschen/ daß
sie sich einbilden/ sie lieben sich mehr als alle an-
dere Dinge in der Welt/ da hingegentheil ein
vernünfftiger Mensch wohl weiß/ daß er andere
Menschen mehr liebet als sich. Und wenn
dannenhero man gegen solche Leute wieder die
verdammte Selbst-Liebe redet/ muß es nicht
anders verstanden werden/ als daß man hiermit
sich mehr nach ihrer Einbildung und Vorhaben/
als nach der Sache selbst accommodire.

84.

Jch glaube wohl/ daß dir dieser Satz et-
was harte und unförmlich vorkomme; Denn
sprichst du/ wie solte ein Wohllüstiger/ Geld-
und Ehrgeitziger nicht sich selbst mehr als al-
les andere lieben; opffert er doch seiner Wohl-
lust/ Geld- und Ehrgeitze alle andere Menschen
und alles was er hat/ auff?

85.

Aber das ist es eben/ was ich gesagt ha-
be/ daß sich solche Leute einbildeu/ sie lieben sich
selbst am meisten/ weil sie ihre Wohllust/ Geld-
und Ehrgeitz lieben/ da doch diese Laster of-
fenbahrlich in Liebe anderer Dinge bestehen.
Ein Wohllüstiger liebet nicht sich/ sondern

seine

Gluͤckſeeligkeit des Menſchen.
Ruhe zubefoͤrdern und zu erhalten bemuͤhet
iſt.

83.

Ja was wollen wir viel lange von ver-
nuͤnfftigen und unvernuͤnfftigen Leuten reden/ lie-
ben doch die unvernuͤnfftigen und laſterhaff-
teſten Leute andere Geſchoͤpffe mehr als
ſich/
und iſt nur darinnen der Unterſchied zwi-
ſchen ihnen und vernuͤnfftigen Menſchen/ daß
ſie ſich einbilden/ ſie lieben ſich mehr als alle an-
dere Dinge in der Welt/ da hingegentheil ein
vernuͤnfftiger Menſch wohl weiß/ daß er andere
Menſchen mehr liebet als ſich. Und wenn
dannenhero man gegen ſolche Leute wieder die
verdammte Selbſt-Liebe redet/ muß es nicht
anders verſtanden werden/ als daß man hiermit
ſich mehr nach ihrer Einbildung und Vorhaben/
als nach der Sache ſelbſt accommodire.

84.

Jch glaube wohl/ daß dir dieſer Satz et-
was harte und unfoͤrmlich vorkomme; Denn
ſprichſt du/ wie ſolte ein Wohlluͤſtiger/ Geld-
und Ehrgeitziger nicht ſich ſelbſt mehr als al-
les andere lieben; opffert er doch ſeiner Wohl-
luſt/ Geld- und Ehrgeitze alle andere Menſchen
und alles was er hat/ auff?

85.

Aber das iſt es eben/ was ich geſagt ha-
be/ daß ſich ſolche Leute einbildeu/ ſie lieben ſich
ſelbſt am meiſten/ weil ſie ihre Wohlluſt/ Geld-
und Ehrgeitz lieben/ da doch dieſe Laſter of-
fenbahrlich in Liebe anderer Dinge beſtehen.
Ein Wohlluͤſtiger liebet nicht ſich/ ſondern

ſeine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0125" n="93"/><fw place="top" type="header">Glu&#x0364;ck&#x017F;eeligkeit des Men&#x017F;chen.</fw><lb/>
Ruhe zubefo&#x0364;rdern und zu erhalten bemu&#x0364;het<lb/>
i&#x017F;t.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>83.</head>
          <p>Ja was wollen wir viel lange von ver-<lb/>
nu&#x0364;nfftigen und unvernu&#x0364;nfftigen Leuten reden/ lie-<lb/>
ben doch die unvernu&#x0364;nfftigen und <hi rendition="#fr">la&#x017F;terhaff-<lb/>
te&#x017F;ten Leute andere Ge&#x017F;cho&#x0364;pffe mehr als<lb/>
&#x017F;ich/</hi> und i&#x017F;t nur darinnen <hi rendition="#fr">der Unter&#x017F;chied</hi> zwi-<lb/>
&#x017F;chen ihnen und vernu&#x0364;nfftigen Men&#x017F;chen/ daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich einbilden/ &#x017F;ie lieben &#x017F;ich mehr als alle an-<lb/>
dere Dinge in der Welt/ da hingegentheil ein<lb/>
vernu&#x0364;nfftiger Men&#x017F;ch wohl weiß/ daß er andere<lb/>
Men&#x017F;chen mehr liebet als &#x017F;ich. Und wenn<lb/>
dannenhero man gegen &#x017F;olche Leute wieder die<lb/><hi rendition="#fr">verdammte Selb&#x017F;t-Liebe</hi> redet/ muß es nicht<lb/>
anders ver&#x017F;tanden werden/ als daß man hiermit<lb/>
&#x017F;ich mehr nach ihrer Einbildung und Vorhaben/<lb/>
als nach der Sache &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#aq">accommodir</hi>e.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>84.</head>
          <p>Jch glaube wohl/ daß dir die&#x017F;er Satz et-<lb/>
was harte und unfo&#x0364;rmlich vorkomme; Denn<lb/>
&#x017F;prich&#x017F;t du/ wie &#x017F;olte ein <hi rendition="#fr">Wohllu&#x0364;&#x017F;tiger/ Geld-</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">Ehrgeitziger</hi> nicht &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t mehr als al-<lb/>
les andere lieben; opffert er doch &#x017F;einer Wohl-<lb/>
lu&#x017F;t/ Geld- und Ehrgeitze alle andere Men&#x017F;chen<lb/>
und alles was er hat/ auff?</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>85.</head>
          <p>Aber das i&#x017F;t es eben/ was ich ge&#x017F;agt ha-<lb/>
be/ daß &#x017F;ich &#x017F;olche Leute einbildeu/ &#x017F;ie lieben &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t am mei&#x017F;ten/ weil &#x017F;ie ihre Wohllu&#x017F;t/ Geld-<lb/>
und Ehrgeitz lieben/ da doch <hi rendition="#fr">die&#x017F;e La&#x017F;ter</hi> of-<lb/>
fenbahrlich <hi rendition="#fr">in Liebe anderer Dinge</hi> be&#x017F;tehen.<lb/>
Ein <hi rendition="#fr">Wohllu&#x0364;&#x017F;tiger</hi> liebet nicht &#x017F;ich/ &#x017F;ondern<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;eine</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0125] Gluͤckſeeligkeit des Menſchen. Ruhe zubefoͤrdern und zu erhalten bemuͤhet iſt. 83. Ja was wollen wir viel lange von ver- nuͤnfftigen und unvernuͤnfftigen Leuten reden/ lie- ben doch die unvernuͤnfftigen und laſterhaff- teſten Leute andere Geſchoͤpffe mehr als ſich/ und iſt nur darinnen der Unterſchied zwi- ſchen ihnen und vernuͤnfftigen Menſchen/ daß ſie ſich einbilden/ ſie lieben ſich mehr als alle an- dere Dinge in der Welt/ da hingegentheil ein vernuͤnfftiger Menſch wohl weiß/ daß er andere Menſchen mehr liebet als ſich. Und wenn dannenhero man gegen ſolche Leute wieder die verdammte Selbſt-Liebe redet/ muß es nicht anders verſtanden werden/ als daß man hiermit ſich mehr nach ihrer Einbildung und Vorhaben/ als nach der Sache ſelbſt accommodire. 84. Jch glaube wohl/ daß dir dieſer Satz et- was harte und unfoͤrmlich vorkomme; Denn ſprichſt du/ wie ſolte ein Wohlluͤſtiger/ Geld- und Ehrgeitziger nicht ſich ſelbſt mehr als al- les andere lieben; opffert er doch ſeiner Wohl- luſt/ Geld- und Ehrgeitze alle andere Menſchen und alles was er hat/ auff? 85. Aber das iſt es eben/ was ich geſagt ha- be/ daß ſich ſolche Leute einbildeu/ ſie lieben ſich ſelbſt am meiſten/ weil ſie ihre Wohlluſt/ Geld- und Ehrgeitz lieben/ da doch dieſe Laſter of- fenbahrlich in Liebe anderer Dinge beſtehen. Ein Wohlluͤſtiger liebet nicht ſich/ ſondern ſeine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/125
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/125>, abgerufen am 29.03.2024.