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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 5. Hauptst. von der allgemeinen
Christen macht/ und wenn ein Philosophus noch
so viel von der Demuth schwatzt/ so erstrecket
sich doch die ses alles nicht weiter/ als daß er der
natürlichen Bescheidenheit den Nahmen der
Demuth giebet.

57.

Die Verträgligkeit ist eine Tugend/
die den Menschen antreibet/ daß er allen
anderen Menschen das ihrige in Fried und
Ruhe geniessen lasse/ und ihnen an ihren
Gütern so wohl des Leibes als des Glücks
keinen Schaden thue/ oder sie derselben auf
einige Weise beraube; oder wenn ja allen
Falls hierwieder etwas aus Vorsatz oder
aus versehen geschehen/ die Sache nebst
allen verursachten Schaden erstatte/ oder
sonsten annehmliche
Satisfaction leiste.

58.

Diese Tugend ist höchst nothwendig/
weil die Verletzung derselben den allgemeinen
Friede und Ruhe am meisten verstöret/ indem
die wenigsten Menschen vertragen können/ daß
man ihnen das ihrige entziehet/ ob sie schon son-
sten nicht ungedultig würden/ wenn man ihnen
die allgemeinen Dienste der Leutseligkeit ver-
sagte/ oder sein Versprechen nicht hielte/ oder sich
viel einbildete; Sie gehet alle Menschen an
weil niemand ist/ an den ich mit einiger gegrün-
deten Ursache praetendiren könte/ daß ich ihn sei-
ne Güter nehmen oder verderben dürffte/ es mü-
sten denn dieselbe auch auff gewisse Maaße
mein seyn. Endlich ist auch leichte/ und

kömmt

Das 5. Hauptſt. von der allgemeinen
Chriſten macht/ und wenn ein Philoſophus noch
ſo viel von der Demuth ſchwatzt/ ſo erſtrecket
ſich doch die ſes alles nicht weiter/ als daß er der
natuͤrlichen Beſcheidenheit den Nahmen der
Demuth giebet.

57.

Die Vertraͤgligkeit iſt eine Tugend/
die den Menſchen antreibet/ daß er allen
anderen Menſchen das ihrige in Fried und
Ruhe genieſſen laſſe/ und ihnen an ihren
Guͤtern ſo wohl des Leibes als des Gluͤcks
keinen Schaden thue/ oder ſie derſelben auf
einige Weiſe beraube; oder wenn ja allen
Falls hierwieder etwas aus Vorſatz oder
aus verſehen geſchehen/ die Sache nebſt
allen verurſachten Schaden erſtatte/ oder
ſonſten annehmliche
Satisfaction leiſte.

58.

Dieſe Tugend iſt hoͤchſt nothwendig/
weil die Verletzung derſelben den allgemeinen
Friede und Ruhe am meiſten verſtoͤret/ indem
die wenigſten Menſchen vertragen koͤnnen/ daß
man ihnen das ihrige entziehet/ ob ſie ſchon ſon-
ſten nicht ungedultig wuͤrden/ wenn man ihnen
die allgemeinen Dienſte der Leutſeligkeit ver-
ſagte/ oder ſein Verſprechen nicht hielte/ oder ſich
viel einbildete; Sie gehet alle Menſchen an
weil niemand iſt/ an den ich mit einiger gegruͤn-
deten Urſache prætendiren koͤnte/ daß ich ihn ſei-
ne Guͤter nehmen oder verderben duͤrffte/ es muͤ-
ſten denn dieſelbe auch auff gewiſſe Maaße
mein ſeyn. Endlich iſt auch leichte/ und

koͤmmt
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[230[226]/0258] Das 5. Hauptſt. von der allgemeinen Chriſten macht/ und wenn ein Philoſophus noch ſo viel von der Demuth ſchwatzt/ ſo erſtrecket ſich doch die ſes alles nicht weiter/ als daß er der natuͤrlichen Beſcheidenheit den Nahmen der Demuth giebet. 57. Die Vertraͤgligkeit iſt eine Tugend/ die den Menſchen antreibet/ daß er allen anderen Menſchen das ihrige in Fried und Ruhe genieſſen laſſe/ und ihnen an ihren Guͤtern ſo wohl des Leibes als des Gluͤcks keinen Schaden thue/ oder ſie derſelben auf einige Weiſe beraube; oder wenn ja allen Falls hierwieder etwas aus Vorſatz oder aus verſehen geſchehen/ die Sache nebſt allen verurſachten Schaden erſtatte/ oder ſonſten annehmliche Satisfaction leiſte. 58. Dieſe Tugend iſt hoͤchſt nothwendig/ weil die Verletzung derſelben den allgemeinen Friede und Ruhe am meiſten verſtoͤret/ indem die wenigſten Menſchen vertragen koͤnnen/ daß man ihnen das ihrige entziehet/ ob ſie ſchon ſon- ſten nicht ungedultig wuͤrden/ wenn man ihnen die allgemeinen Dienſte der Leutſeligkeit ver- ſagte/ oder ſein Verſprechen nicht hielte/ oder ſich viel einbildete; Sie gehet alle Menſchen an weil niemand iſt/ an den ich mit einiger gegruͤn- deten Urſache prætendiren koͤnte/ daß ich ihn ſei- ne Guͤter nehmen oder verderben duͤrffte/ es muͤ- ſten denn dieſelbe auch auff gewiſſe Maaße mein ſeyn. Endlich iſt auch leichte/ und koͤmmt

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 230[226]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/258>, abgerufen am 29.03.2024.