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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Liebe aller Menschen.
76.

Laß es seyn der Beleidigte sieget; Der
Sieg ist noch lange kein Friede/ so lange der U-
berwinder und der Uberwundene noch Feinde
seyn. Ja sprichstu/ der Uberwundene muß wohl
Friede machen. Aber was neues. Gezwunge-
ner Friede ist kein Friede/ so wenig als die Liebe
Zwang leiden kan. Mein was hastu für Ver-
sicherung/
daß der Uberwundene werde Friede
halten? Vielleicht sein Versprechen? Und du
hast deswegen den Krieg wider ihn angefangen/
weil er dir sein Versprechen nicht gehaltem/ oder
sonst etwas dergleichen das aus dem Gebot allge-
meiner Liebe herrührete/ nicht geleistet/ da du ihn
doch an deinem Orte alles Liebes erwiesen/ und
bildest dir ein/ das von ihm gewaltsamer Weise
erpreßte Versprechen/ werde ihn abhalten/ daß
er dich nicht ferner beleidige.

79.

Aber vielleicht wird ihm die Furcht dessen
was er allbereit erfahren/ von fernerer Beleidi-
gung abhalten? Wo eine solche Furcht ist/ kan
keine Liebe seyn/ und wer sich für dir fürchtet/
für dem mustu dich auch fürchten. Es sind ih-
rer mehr durch die heimlichen Nachstellungen ih-
rer Leibeigenen/ als durch die Tyranney der Kö-
nige umbgebracht worden. Die Zeiten änder
sich/
und es kan leichte geschehen/ daß diese Aen-
derung ihm die Furcht benimmt; Zudem so ist
der Ausgang des Krieges ungewiß und diese
Ungewißheit kan so leichte bey dem andern eine
Hoffnung als Furcht erw wen; Zumahlen da

die-
Liebe aller Menſchen.
76.

Laß es ſeyn der Beleidigte ſieget; Der
Sieg iſt noch lange kein Friede/ ſo lange der U-
berwinder und der Uberwundene noch Feinde
ſeyn. Ja ſprichſtu/ der Uberwundene muß wohl
Friede machen. Aber was neues. Gezwunge-
ner Friede iſt kein Friede/ ſo wenig als die Liebe
Zwang leiden kan. Mein was haſtu fuͤr Ver-
ſicherung/
daß der Uberwundene werde Friede
halten? Vielleicht ſein Verſprechen? Und du
haſt deswegen den Krieg wider ihn angefangen/
weil er dir ſein Verſprechen nicht gehaltem/ oder
ſonſt etwas dergleichen das aus dem Gebot allge-
meiner Liebe herruͤhrete/ nicht geleiſtet/ da du ihn
doch an deinem Orte alles Liebes erwieſen/ und
bildeſt dir ein/ das von ihm gewaltſamer Weiſe
erpreßte Verſprechen/ werde ihn abhalten/ daß
er dich nicht ferner beleidige.

79.

Aber vielleicht wird ihm die Furcht deſſen
was er allbereit erfahren/ von fernerer Beleidi-
gung abhalten? Wo eine ſolche Furcht iſt/ kan
keine Liebe ſeyn/ und wer ſich fuͤr dir fuͤrchtet/
fuͤr dem muſtu dich auch fuͤrchten. Es ſind ih-
rer mehr durch die heimlichen Nachſtellungen ih-
rer Leibeigenen/ als durch die Tyranney der Koͤ-
nige umbgebracht worden. Die Zeiten aͤnder
ſich/
und es kan leichte geſchehen/ daß dieſe Aen-
derung ihm die Furcht benimmt; Zudem ſo iſt
der Ausgang des Krieges ungewiß und dieſe
Ungewißheit kan ſo leichte bey dem andern eine
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[239[235]/0267] Liebe aller Menſchen. 76. Laß es ſeyn der Beleidigte ſieget; Der Sieg iſt noch lange kein Friede/ ſo lange der U- berwinder und der Uberwundene noch Feinde ſeyn. Ja ſprichſtu/ der Uberwundene muß wohl Friede machen. Aber was neues. Gezwunge- ner Friede iſt kein Friede/ ſo wenig als die Liebe Zwang leiden kan. Mein was haſtu fuͤr Ver- ſicherung/ daß der Uberwundene werde Friede halten? Vielleicht ſein Verſprechen? Und du haſt deswegen den Krieg wider ihn angefangen/ weil er dir ſein Verſprechen nicht gehaltem/ oder ſonſt etwas dergleichen das aus dem Gebot allge- meiner Liebe herruͤhrete/ nicht geleiſtet/ da du ihn doch an deinem Orte alles Liebes erwieſen/ und bildeſt dir ein/ das von ihm gewaltſamer Weiſe erpreßte Verſprechen/ werde ihn abhalten/ daß er dich nicht ferner beleidige. 79. Aber vielleicht wird ihm die Furcht deſſen was er allbereit erfahren/ von fernerer Beleidi- gung abhalten? Wo eine ſolche Furcht iſt/ kan keine Liebe ſeyn/ und wer ſich fuͤr dir fuͤrchtet/ fuͤr dem muſtu dich auch fuͤrchten. Es ſind ih- rer mehr durch die heimlichen Nachſtellungen ih- rer Leibeigenen/ als durch die Tyranney der Koͤ- nige umbgebracht worden. Die Zeiten aͤnder ſich/ und es kan leichte geſchehen/ daß dieſe Aen- derung ihm die Furcht benimmt; Zudem ſo iſt der Ausgang des Krieges ungewiß und dieſe Ungewißheit kan ſo leichte bey dem andern eine Hoffnung als Furcht erw wen; Zumahlen da die-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 239[235]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/267>, abgerufen am 28.03.2024.