Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite
vernünfftigen Liebe überhaupt.
70.

Jedoch weil die vernünfftige Liebe allezeit
auf ein wahres Vergnügen zielet/ dieses aber
ausser der Tugend und der darauf folgenden Ge-
müths-Ruhe nicht zu finden ist; so erweiset auch
die vertrauliche Gutthätigkeit nur solcher Liebes-
Dienste/ die der Vernunfft und Gemüths-
Ruhe nicht schädlich sind.
Denn wenn die
geliebte person mit Vorsatz andere verlangen
solte/ würde sie zu verstehen geben/ daß sie nicht
Tugendliebend wäre/ und folglich würde sie sich
der Liebe und Gutthätigkeit unwürdig machen.
Geschähe aber dieses Begehren von der gelieb-
ten Person mehr aus Unverstand als Boßheit/
oder aus Schwachheit/ wird zwar ein Weiser
deswegen seinen Freunde oder Freundin nicht
seine Liebe entziehen/ gleichwohl aber auch nicht
sein Begehren/ sondern vielmehr das Gegentheil
erfüllen. Und kan man in diesem Fall sagen/ daß
die Gutthat darinnen bestehe/ wenn man das
nicht thut/ was der Freund verlanget/ weil man
gewiß versichert lebet/ daß diese Versagung des
begehrten Schein-Guten/ dem Freunde ein wah-
res Vergnügen erwecken/ und er es uns dermahl-
eins dancken werde/ daß wir ihm sein Begehren
versaget.

71.

Mit denen Schein-Gutthaten ist es
gantz umbgekehret; Man läst den/ der unserer
Hülffe vonnöthen hat lange verzappeln/ und
bitten/ umb dadurch die begehrte Gutthat desto
höher auszubringen. Man bittet ihn nicht lange

drumb
T
vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt.
70.

Jedoch weil die vernuͤnfftige Liebe allezeit
auf ein wahres Vergnuͤgen zielet/ dieſes aber
auſſer der Tugend und der darauf folgenden Ge-
muͤths-Ruhe nicht zu finden iſt; ſo erweiſet auch
die vertrauliche Gutthaͤtigkeit nur ſolcher Liebes-
Dienſte/ die der Vernunfft und Gemuͤths-
Ruhe nicht ſchaͤdlich ſind.
Denn wenn die
geliebte perſon mit Vorſatz andere verlangen
ſolte/ wuͤrde ſie zu verſtehen geben/ daß ſie nicht
Tugendliebend waͤre/ und folglich wuͤrde ſie ſich
der Liebe und Gutthaͤtigkeit unwuͤrdig machen.
Geſchaͤhe aber dieſes Begehren von der gelieb-
ten Perſon mehr aus Unverſtand als Boßheit/
oder aus Schwachheit/ wird zwar ein Weiſer
deswegen ſeinen Freunde oder Freundin nicht
ſeine Liebe entziehen/ gleichwohl aber auch nicht
ſein Begehren/ ſondern vielmehr das Gegentheil
erfuͤllen. Und kan man in dieſem Fall ſagen/ daß
die Gutthat darinnen beſtehe/ wenn man das
nicht thut/ was der Freund verlanget/ weil man
gewiß verſichert lebet/ daß dieſe Verſagung des
begehrten Schein-Guten/ dem Freunde ein wah-
res Vergnuͤgen erwecken/ und er es uns dermahl-
eins dancken werde/ daß wir ihm ſein Begehren
verſaget.

71.

Mit denen Schein-Gutthaten iſt es
gantz umbgekehret; Man laͤſt den/ der unſerer
Huͤlffe vonnoͤthen hat lange verzappeln/ und
bitten/ umb dadurch die begehrte Gutthat deſto
hoͤher auszubringen. Man bittet ihn nicht lange

drumb
T
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0321" n="293[289]"/>
          <fw place="top" type="header">vernu&#x0364;nfftigen Liebe u&#x0364;berhaupt.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>70.</head>
            <p>Jedoch weil die vernu&#x0364;nfftige Liebe allezeit<lb/>
auf ein <hi rendition="#fr">wahres Vergnu&#x0364;gen</hi> zielet/ die&#x017F;es aber<lb/>
au&#x017F;&#x017F;er der Tugend und der darauf folgenden Ge-<lb/>
mu&#x0364;ths-Ruhe nicht zu finden i&#x017F;t; &#x017F;o erwei&#x017F;et auch<lb/>
die vertrauliche Guttha&#x0364;tigkeit nur &#x017F;olcher Liebes-<lb/>
Dien&#x017F;te/ <hi rendition="#fr">die der Vernunfft und Gemu&#x0364;ths-<lb/>
Ruhe nicht &#x017F;cha&#x0364;dlich &#x017F;ind.</hi> Denn wenn die<lb/>
geliebte per&#x017F;on <hi rendition="#fr">mit Vor&#x017F;atz</hi> andere verlangen<lb/>
&#x017F;olte/ wu&#x0364;rde &#x017F;ie zu ver&#x017F;tehen geben/ daß &#x017F;ie nicht<lb/>
Tugendliebend wa&#x0364;re/ und folglich wu&#x0364;r<hi rendition="#fr">d</hi>e &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
der Liebe und Guttha&#x0364;tigkeit unwu&#x0364;rdig machen.<lb/>
Ge&#x017F;cha&#x0364;he aber die&#x017F;es Begehren von der gelieb-<lb/>
ten Per&#x017F;on mehr aus <hi rendition="#fr">Unver&#x017F;tand</hi> als Boßheit/<lb/>
oder aus <hi rendition="#fr">Schwachheit/</hi> wird zwar ein Wei&#x017F;er<lb/>
deswegen &#x017F;einen Freunde oder Freundin nicht<lb/>
&#x017F;eine Liebe entziehen/ gleichwohl aber auch nicht<lb/>
&#x017F;ein Begehren/ &#x017F;ondern vielmehr das Gegentheil<lb/>
erfu&#x0364;llen. Und kan man in die&#x017F;em Fall &#x017F;agen/ daß<lb/>
die Gutthat darinnen be&#x017F;tehe/ wenn man das<lb/>
nicht thut/ was der Freund verlanget/ weil man<lb/>
gewiß ver&#x017F;ichert lebet/ daß die&#x017F;e Ver&#x017F;agung des<lb/>
begehrten Schein-Guten/ dem Freunde ein wah-<lb/>
res Vergnu&#x0364;gen erwecken/ und er es uns dermahl-<lb/>
eins dancken werde/ daß wir ihm &#x017F;ein Begehren<lb/>
ver&#x017F;aget.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>71.</head>
            <p>Mit denen <hi rendition="#fr">Schein-Gutthaten</hi> i&#x017F;t es<lb/>
gantz umbgekehret; Man la&#x0364;&#x017F;t den/ der un&#x017F;erer<lb/>
Hu&#x0364;lffe vonno&#x0364;then hat <hi rendition="#fr">lange verzappeln/</hi> und<lb/>
bitten/ umb dadurch die begehrte Gutthat de&#x017F;to<lb/>
ho&#x0364;her auszubringen. Man bittet ihn nicht lange<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T</fw><fw place="bottom" type="catch">drumb</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293[289]/0321] vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt. 70. Jedoch weil die vernuͤnfftige Liebe allezeit auf ein wahres Vergnuͤgen zielet/ dieſes aber auſſer der Tugend und der darauf folgenden Ge- muͤths-Ruhe nicht zu finden iſt; ſo erweiſet auch die vertrauliche Gutthaͤtigkeit nur ſolcher Liebes- Dienſte/ die der Vernunfft und Gemuͤths- Ruhe nicht ſchaͤdlich ſind. Denn wenn die geliebte perſon mit Vorſatz andere verlangen ſolte/ wuͤrde ſie zu verſtehen geben/ daß ſie nicht Tugendliebend waͤre/ und folglich wuͤrde ſie ſich der Liebe und Gutthaͤtigkeit unwuͤrdig machen. Geſchaͤhe aber dieſes Begehren von der gelieb- ten Perſon mehr aus Unverſtand als Boßheit/ oder aus Schwachheit/ wird zwar ein Weiſer deswegen ſeinen Freunde oder Freundin nicht ſeine Liebe entziehen/ gleichwohl aber auch nicht ſein Begehren/ ſondern vielmehr das Gegentheil erfuͤllen. Und kan man in dieſem Fall ſagen/ daß die Gutthat darinnen beſtehe/ wenn man das nicht thut/ was der Freund verlanget/ weil man gewiß verſichert lebet/ daß dieſe Verſagung des begehrten Schein-Guten/ dem Freunde ein wah- res Vergnuͤgen erwecken/ und er es uns dermahl- eins dancken werde/ daß wir ihm ſein Begehren verſaget. 71. Mit denen Schein-Gutthaten iſt es gantz umbgekehret; Man laͤſt den/ der unſerer Huͤlffe vonnoͤthen hat lange verzappeln/ und bitten/ umb dadurch die begehrte Gutthat deſto hoͤher auszubringen. Man bittet ihn nicht lange drumb T

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/321
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 293[289]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/321>, abgerufen am 28.03.2024.