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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 6. Hauptst. von der absonderlichen
35.

Und ist solchergestalt nichts mehr übrig/
als daß wir etliche wenige Einwürffe die man aus
denen Regeln der allgemeinen menschlichen Ver-
nunfft hierwieder anführen konte/ abhelffen. Jns-
gemein hält man dafür/ daß die Gemeinschafft
aller Güter den Unterscheid der Stände in
gemeinen Leben und der Bürgerlichen Ge-
sellschafft gäntzlich auffheben/ und durchge-
hends einen schändlichen Müßiggang/
oder
doch zum wenigsten diese Ungerechtigkeit einfüh-
ren würde/ daß die faulen Leute/ die nicht arbeiten
wollen/ besser dran seyn würden als die Arbeitsa-
men/ in dem sie der Frucht der andern ihrer Arbeit
reichlich mit geniessen/ die Arbeitsamen aber von
ihnen nicht das geringste wiederumb zu geniessen
haben würden/ wodurch denn eine grosse Un-
gleichheit
unter denen Menschen würde einge-
führet/ und also wider die Regeln der allgemeinen
menschlichen Liebe gröblich angestossen werden.

86.

Nun laugnen wir zwar nicht/ daß dieser
Einwurff im ersten Anblick von ziemlichen Nach-
druck zu seyn scheine/ und haben die meisten unter
denen Gelehrten bishero nichts gefunden/ densel-
ben aus dem Wege zu räumen/ sondern sich diesen
Einwurff verleiten lassen/ deswegen die Gemein-
schafft der Güter hefftig anzufeinden/ und das Ei-
genthumb mehr als es verdienet/ heraus zu strei-
chen. Aber worzu verleitet uns Menschen doch
nicht ein von andern langwierig eingeführter
Wahn/ den wir von den grösten Hauffen verthey-

diget
Das 6. Hauptſt. von der abſonderlichen
35.

Und iſt ſolchergeſtalt nichts mehr uͤbrig/
als daß wir etliche wenige Einwuͤrffe die man aus
denen Regeln der allgemeinen menſchlichen Ver-
nunfft hierwieder anfuͤhren konte/ abhelffen. Jns-
gemein haͤlt man dafuͤr/ daß die Gemeinſchafft
aller Guͤter den Unterſcheid der Staͤnde in
gemeinen Leben und der Buͤrgerlichen Ge-
ſellſchafft gaͤntzlich auffheben/ und durchge-
hends einen ſchaͤndlichen Muͤßiggang/
oder
doch zum wenigſten dieſe Ungerechtigkeit einfuͤh-
ren wuͤrde/ daß die faulen Leute/ die nicht arbeiten
wollen/ beſſer dran ſeyn wuͤrden als die Arbeitſa-
men/ in dem ſie der Frucht der andern ihrer Arbeit
reichlich mit genieſſen/ die Arbeitſamen aber von
ihnen nicht das geringſte wiederumb zu genieſſen
haben wuͤrden/ wodurch denn eine groſſe Un-
gleichheit
unter denen Menſchen wuͤrde einge-
fuͤhret/ und alſo wider die Regeln der allgemeinen
menſchlichen Liebe groͤblich angeſtoſſen werden.

86.

Nun laugnen wir zwar nicht/ daß dieſer
Einwurff im erſten Anblick von ziemlichen Nach-
druck zu ſeyn ſcheine/ und haben die meiſten unter
denen Gelehrten bishero nichts gefunden/ denſel-
ben aus dem Wege zu raͤumen/ ſondern ſich dieſen
Einwurff verleiten laſſen/ deswegen die Gemein-
ſchafft der Guͤter hefftig anzufeinden/ und das Ei-
genthumb mehr als es verdienet/ heraus zu ſtrei-
chen. Aber worzu verleitet uns Menſchen doch
nicht ein von andern langwierig eingefuͤhrter
Wahn/ den wir von den groͤſten Hauffen verthey-

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[302[298]/0330] Das 6. Hauptſt. von der abſonderlichen 35. Und iſt ſolchergeſtalt nichts mehr uͤbrig/ als daß wir etliche wenige Einwuͤrffe die man aus denen Regeln der allgemeinen menſchlichen Ver- nunfft hierwieder anfuͤhren konte/ abhelffen. Jns- gemein haͤlt man dafuͤr/ daß die Gemeinſchafft aller Guͤter den Unterſcheid der Staͤnde in gemeinen Leben und der Buͤrgerlichen Ge- ſellſchafft gaͤntzlich auffheben/ und durchge- hends einen ſchaͤndlichen Muͤßiggang/ oder doch zum wenigſten dieſe Ungerechtigkeit einfuͤh- ren wuͤrde/ daß die faulen Leute/ die nicht arbeiten wollen/ beſſer dran ſeyn wuͤrden als die Arbeitſa- men/ in dem ſie der Frucht der andern ihrer Arbeit reichlich mit genieſſen/ die Arbeitſamen aber von ihnen nicht das geringſte wiederumb zu genieſſen haben wuͤrden/ wodurch denn eine groſſe Un- gleichheit unter denen Menſchen wuͤrde einge- fuͤhret/ und alſo wider die Regeln der allgemeinen menſchlichen Liebe groͤblich angeſtoſſen werden. 86. Nun laugnen wir zwar nicht/ daß dieſer Einwurff im erſten Anblick von ziemlichen Nach- druck zu ſeyn ſcheine/ und haben die meiſten unter denen Gelehrten bishero nichts gefunden/ denſel- ben aus dem Wege zu raͤumen/ ſondern ſich dieſen Einwurff verleiten laſſen/ deswegen die Gemein- ſchafft der Guͤter hefftig anzufeinden/ und das Ei- genthumb mehr als es verdienet/ heraus zu ſtrei- chen. Aber worzu verleitet uns Menſchen doch nicht ein von andern langwierig eingefuͤhrter Wahn/ den wir von den groͤſten Hauffen verthey- diget

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 302[298]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/330>, abgerufen am 28.03.2024.