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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 6. Hauptst. von der absonderlichen
die Gutthätigkeit auffgehoben/ so wird gleich-
sam die Seele der Liebe erstickt/
und das
Band zerrissen/ das zwey Hertzen/ verbinden sol.
Und solchergestalt/ siehest du ja augenscheinlich/
daß die Gemeinschafft der Güter der Gemüths-
Ruhe mehr hindere als befördere.

96.

Dieser Einwurff ist noch viel leichter zu
heben/ als der erste/ weil seine Sophistereyen viel
handgreifflicher seyn. Denn anfänglich hebet
die Gemeinschafft aller Güter die Gut-
thätigkeit nicht gantz auf/
weil/ wie oben ge-
dacht/ auch der ärmste Mensch durch sein Thun
und Lassen seinem Freunde die grösten Dienste
erweisen kan. Hernach so weiset gegenwärtiges
Hauptstück/ daß die Gutthätigkeit zwar das Mit-
tel sey/ den Menschen aus dem Stande des Miß-
trauens in die vertrauliche Liebe zu setzen; aber des-
wegen ist sie nicht die Seele/ sondern nur das letz-
te Vorgemach der Liebe/ und wäre ja augen-
scheinlich besser/ wenn die Menschen in einem so
glücklichen Zustande lebeten/ daß sie nicht erst
durch diese Vorgemächer in das Cabinet der Lie-
be eingehen müsten. Ja ich frage dich endlich sel-
ber mein Freund/ welche Gutthätigkeit würdest
du für grösser achten/ wenn dir dein Freund die
Wahl gäbe/ ob du lieber woltest/ daß er dir von
seinem Vermögen dann und wann etliche portio-
nes
schenckete/ oder daß er dir dasselbige auf ein-
mahl mittheilete? Jch glaube ja wohl/ daß sich
Leute von so verderbten Geschmack finden solten/

die

Das 6. Hauptſt. von der abſonderlichen
die Gutthaͤtigkeit auffgehoben/ ſo wird gleich-
ſam die Seele der Liebe erſtickt/
und das
Band zerriſſen/ das zwey Hertzen/ verbinden ſol.
Und ſolchergeſtalt/ ſieheſt du ja augenſcheinlich/
daß die Gemeinſchafft der Guͤter der Gemuͤths-
Ruhe mehr hindere als befoͤrdere.

96.

Dieſer Einwurff iſt noch viel leichter zu
heben/ als der erſte/ weil ſeine Sophiſtereyen viel
handgreifflicher ſeyn. Denn anfaͤnglich hebet
die Gemeinſchafft aller Guͤter die Gut-
thaͤtigkeit nicht gantz auf/
weil/ wie oben ge-
dacht/ auch der aͤrmſte Menſch durch ſein Thun
und Laſſen ſeinem Freunde die groͤſten Dienſte
erweiſen kan. Hernach ſo weiſet gegenwaͤrtiges
Hauptſtuͤck/ daß die Gutthaͤtigkeit zwar das Mit-
tel ſey/ den Menſchen aus dem Stande des Miß-
trauens in die vertꝛauliche Liebe zu ſetzen; aber des-
wegen iſt ſie nicht die Seele/ ſondern nur das letz-
te Vorgemach der Liebe/ und waͤre ja augen-
ſcheinlich beſſer/ wenn die Menſchen in einem ſo
gluͤcklichen Zuſtande lebeten/ daß ſie nicht erſt
durch dieſe Vorgemaͤcher in das Cabinet der Lie-
be eingehen muͤſten. Ja ich frage dich endlich ſel-
ber mein Freund/ welche Gutthaͤtigkeit wuͤrdeſt
du fuͤr groͤſſer achten/ wenn dir dein Freund die
Wahl gaͤbe/ ob du lieber wolteſt/ daß er dir von
ſeinem Veꝛmoͤgen dann und wann etliche portio-
nes
ſchenckete/ oder daß er dir daſſelbige auf ein-
mahl mittheilete? Jch glaube ja wohl/ daß ſich
Leute von ſo verderbten Geſchmack finden ſolten/

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[308[304]/0336] Das 6. Hauptſt. von der abſonderlichen die Gutthaͤtigkeit auffgehoben/ ſo wird gleich- ſam die Seele der Liebe erſtickt/ und das Band zerriſſen/ das zwey Hertzen/ verbinden ſol. Und ſolchergeſtalt/ ſieheſt du ja augenſcheinlich/ daß die Gemeinſchafft der Guͤter der Gemuͤths- Ruhe mehr hindere als befoͤrdere. 96. Dieſer Einwurff iſt noch viel leichter zu heben/ als der erſte/ weil ſeine Sophiſtereyen viel handgreifflicher ſeyn. Denn anfaͤnglich hebet die Gemeinſchafft aller Guͤter die Gut- thaͤtigkeit nicht gantz auf/ weil/ wie oben ge- dacht/ auch der aͤrmſte Menſch durch ſein Thun und Laſſen ſeinem Freunde die groͤſten Dienſte erweiſen kan. Hernach ſo weiſet gegenwaͤrtiges Hauptſtuͤck/ daß die Gutthaͤtigkeit zwar das Mit- tel ſey/ den Menſchen aus dem Stande des Miß- trauens in die vertꝛauliche Liebe zu ſetzen; aber des- wegen iſt ſie nicht die Seele/ ſondern nur das letz- te Vorgemach der Liebe/ und waͤre ja augen- ſcheinlich beſſer/ wenn die Menſchen in einem ſo gluͤcklichen Zuſtande lebeten/ daß ſie nicht erſt durch dieſe Vorgemaͤcher in das Cabinet der Lie- be eingehen muͤſten. Ja ich frage dich endlich ſel- ber mein Freund/ welche Gutthaͤtigkeit wuͤrdeſt du fuͤr groͤſſer achten/ wenn dir dein Freund die Wahl gaͤbe/ ob du lieber wolteſt/ daß er dir von ſeinem Veꝛmoͤgen dann und wann etliche portio- nes ſchenckete/ oder daß er dir daſſelbige auf ein- mahl mittheilete? Jch glaube ja wohl/ daß ſich Leute von ſo verderbten Geſchmack finden ſolten/ die

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 308[304]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/336>, abgerufen am 24.04.2024.