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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 6. Hauptst. von der absonderlichen
wenn sie vollkommen worden/ kan nicht weiter
unter ihnen zunehmen/ sonst wäre sie nicht voll-
kommen. Aber sie nimmet deswegen nicht ab/
sondern sie breitet sich weiter aus/ und weil
sie unter diesen beyden nicht mehr zunehmen kan/
suchet sie ihren Wachsthum darinnen/ daß sie
mehr Hertzen an sich zu ziehen/ und sich also im-
mer weiter und weiter unter andern Menschen
auszubreiten bemühet ist. Das ist es/ was wir
oben gesaget/ daß die Gemüths-Ruhe allezeit
trachte sich mit andern Menschen die nach der-
selben streben/ zu vereinigen.

102.

Denn gleichwie der Haß zweyer Per-
sonen bald um sich frist/ und noch mehrere in dem-
selben verwickelt; Also ist kein Zweiffel/ daß das
Exempel zweyer tugendliebender Gemüther/ die
einander vollkommen lieben/ nicht auch gleich-
falls von beyden Theilen noch mehrere derglei-
chen Personen mit ihnen sich zu vereinigen/ an-
locken solte. Aller Anfang ist schwehr. Aber wo
man nur einmahl ein Exempel einer guten Sa-
che vor Augen siehet/ bauet dasselbe mehr/ als
hundert deutliche Lehr-Sätze. Bey dieser Be-
wandniß darffst du dich nicht befahren/ daß die
Gemüths-Ruhe aus Mangel des Wachsthums
werde von nöthen haben/ abzunehmen/ weil sie
so lange wachsen kan/ so lange das gantze
menschliche Geschlecht nicht einig ist/ oder

wenn es auch gleich einander gäntzllch liebte/ so
lange noch täglich durch Kinder zeugen dasselbi-

ge

Das 6. Hauptſt. von der abſonderlichen
wenn ſie vollkommen worden/ kan nicht weiter
unter ihnen zunehmen/ ſonſt waͤre ſie nicht voll-
kommen. Aber ſie nimmet deswegen nicht ab/
ſondern ſie breitet ſich weiter aus/ und weil
ſie unter dieſen beyden nicht mehr zunehmen kan/
ſuchet ſie ihren Wachsthum darinnen/ daß ſie
mehr Hertzen an ſich zu ziehen/ und ſich alſo im-
mer weiter und weiter unter andern Menſchen
auszubreiten bemuͤhet iſt. Das iſt es/ was wir
oben geſaget/ daß die Gemuͤths-Ruhe allezeit
trachte ſich mit andern Menſchen die nach der-
ſelben ſtreben/ zu vereinigen.

102.

Denn gleichwie der Haß zweyer Per-
ſonen bald um ſich friſt/ und noch mehrere in dem-
ſelben verwickelt; Alſo iſt kein Zweiffel/ daß das
Exempel zweyer tugendliebender Gemuͤther/ die
einander vollkommen lieben/ nicht auch gleich-
falls von beyden Theilen noch mehrere derglei-
chen Perſonen mit ihnen ſich zu vereinigen/ an-
locken ſolte. Aller Anfang iſt ſchwehr. Aber wo
man nur einmahl ein Exempel einer guten Sa-
che vor Augen ſiehet/ bauet daſſelbe mehr/ als
hundert deutliche Lehr-Saͤtze. Bey dieſer Be-
wandniß darffſt du dich nicht befahren/ daß die
Gemuͤths-Ruhe aus Mangel des Wachsthums
werde von noͤthen haben/ abzunehmen/ weil ſie
ſo lange wachſen kan/ ſo lange das gantze
menſchliche Geſchlecht nicht einig iſt/ oder

wenn es auch gleich einander gaͤntzllch liebte/ ſo
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[312[308]/0340] Das 6. Hauptſt. von der abſonderlichen wenn ſie vollkommen worden/ kan nicht weiter unter ihnen zunehmen/ ſonſt waͤre ſie nicht voll- kommen. Aber ſie nimmet deswegen nicht ab/ ſondern ſie breitet ſich weiter aus/ und weil ſie unter dieſen beyden nicht mehr zunehmen kan/ ſuchet ſie ihren Wachsthum darinnen/ daß ſie mehr Hertzen an ſich zu ziehen/ und ſich alſo im- mer weiter und weiter unter andern Menſchen auszubreiten bemuͤhet iſt. Das iſt es/ was wir oben geſaget/ daß die Gemuͤths-Ruhe allezeit trachte ſich mit andern Menſchen die nach der- ſelben ſtreben/ zu vereinigen. 102. Denn gleichwie der Haß zweyer Per- ſonen bald um ſich friſt/ und noch mehrere in dem- ſelben verwickelt; Alſo iſt kein Zweiffel/ daß das Exempel zweyer tugendliebender Gemuͤther/ die einander vollkommen lieben/ nicht auch gleich- falls von beyden Theilen noch mehrere derglei- chen Perſonen mit ihnen ſich zu vereinigen/ an- locken ſolte. Aller Anfang iſt ſchwehr. Aber wo man nur einmahl ein Exempel einer guten Sa- che vor Augen ſiehet/ bauet daſſelbe mehr/ als hundert deutliche Lehr-Saͤtze. Bey dieſer Be- wandniß darffſt du dich nicht befahren/ daß die Gemuͤths-Ruhe aus Mangel des Wachsthums werde von noͤthen haben/ abzunehmen/ weil ſie ſo lange wachſen kan/ ſo lange das gantze menſchliche Geſchlecht nicht einig iſt/ oder wenn es auch gleich einander gaͤntzllch liebte/ ſo lange noch taͤglich durch Kinder zeugen daſſelbi- ge

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 312[308]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/340>, abgerufen am 29.03.2024.