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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Arten der absonderlichen Liebe.
würckliche Leistung kostbahrer und mühsamer
Dienste die brünstige Begierde/ die sie beyderseits
haben/ auch für einander das Leben zu lassen/ an
sich erkennen. Die unvollkommene gleiche
Liebe hingegen brauchet wegen oben gedachten
Mißtrauens und Schwachheiten mit denen sie
begabet ist/ die Gutthätigkeit desto länger da-
durch das Mißtrauen desto kräfftiger nach und
nach auszutilgen. Und endlich ist die ungleiche
Liebe
hier wiederumb in mittel/ weil sie wegen
des Mißtrauens und der Schwachheiten des An-
fängers in der Tugend mehr Zeit als die vollkom-
mene/ und wegen des Vertrauens/ Offenher-
tzigkeit und hertzlicher Neigung des vortrefflichen
Theils/ weniger Zeit als die unvollkommene glei-
che Liebe vonnöthen hat.

13.

Hieraus last uns wieder diese Anmer-
ckung überlegen. Die unvernünfftige Liebe/
weil sie ungedultig ist/ als pfleget sie gemeiniglich
wo sie ihres gleichen antrifft/ bald ihren End-
zweck
zu erreichen. Aber du must dich hüten/ daß
du dich deshalben nicht etwan verleiten lässest zu-
schliessen/ daß je vernünfftiger die Liebe sey/
je langsamer komme sie auch zu ihren Zweck.

Denn dasjenige/ was wir nur jetzo gesagt haben/
wird dir weisen/ daß die unvollkommenste ver-
nünfftige Liebe am allerlangsamsten zu der
völligen Verbindung gelange/
und die voll-
kommenste hingegen ja so geschwinde/
wo nicht
geschwinder/ ihren Endzweck erreiche als die un-

ver-

Arten der abſonderlichen Liebe.
wuͤrckliche Leiſtung koſtbahrer und muͤhſamer
Dienſte die bruͤnſtige Begierde/ die ſie beyderſeits
haben/ auch fuͤr einander das Leben zu laſſen/ an
ſich erkennen. Die unvollkommene gleiche
Liebe hingegen brauchet wegen oben gedachten
Mißtrauens und Schwachheiten mit denen ſie
begabet iſt/ die Gutthaͤtigkeit deſto laͤnger da-
durch das Mißtrauen deſto kraͤfftiger nach und
nach auszutilgen. Und endlich iſt die ungleiche
Liebe
hier wiederumb in mittel/ weil ſie wegen
des Mißtrauens und der Schwachheiten des An-
faͤngers in der Tugend mehr Zeit als die vollkom-
mene/ und wegen des Vertrauens/ Offenher-
tzigkeit und hertzlicher Neigung des vortrefflichen
Theils/ weniger Zeit als die unvollkommene glei-
che Liebe vonnoͤthen hat.

13.

Hieraus laſt uns wieder dieſe Anmer-
ckung uͤberlegen. Die unvernuͤnfftige Liebe/
weil ſie ungedultig iſt/ als pfleget ſie gemeiniglich
wo ſie ihres gleichen antrifft/ bald ihren End-
zweck
zu erreichen. Aber du muſt dich huͤten/ daß
du dich deshalben nicht etwan verleiten laͤſſeſt zu-
ſchlieſſen/ daß je vernuͤnfftiger die Liebe ſey/
je langſamer komme ſie auch zu ihren Zweck.

Denn dasjenige/ was wir nur jetzo geſagt haben/
wird dir weiſen/ daß die unvollkommenſte ver-
nuͤnfftige Liebe am allerlangſamſten zu der
voͤlligen Verbindung gelange/
und die voll-
kommenſte hingegen ja ſo geſchwinde/
wo nicht
geſchwinder/ ihren Endzweck erreiche als die un-

ver-
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[321[317]/0349] Arten der abſonderlichen Liebe. wuͤrckliche Leiſtung koſtbahrer und muͤhſamer Dienſte die bruͤnſtige Begierde/ die ſie beyderſeits haben/ auch fuͤr einander das Leben zu laſſen/ an ſich erkennen. Die unvollkommene gleiche Liebe hingegen brauchet wegen oben gedachten Mißtrauens und Schwachheiten mit denen ſie begabet iſt/ die Gutthaͤtigkeit deſto laͤnger da- durch das Mißtrauen deſto kraͤfftiger nach und nach auszutilgen. Und endlich iſt die ungleiche Liebe hier wiederumb in mittel/ weil ſie wegen des Mißtrauens und der Schwachheiten des An- faͤngers in der Tugend mehr Zeit als die vollkom- mene/ und wegen des Vertrauens/ Offenher- tzigkeit und hertzlicher Neigung des vortrefflichen Theils/ weniger Zeit als die unvollkommene glei- che Liebe vonnoͤthen hat. 13. Hieraus laſt uns wieder dieſe Anmer- ckung uͤberlegen. Die unvernuͤnfftige Liebe/ weil ſie ungedultig iſt/ als pfleget ſie gemeiniglich wo ſie ihres gleichen antrifft/ bald ihren End- zweck zu erreichen. Aber du muſt dich huͤten/ daß du dich deshalben nicht etwan verleiten laͤſſeſt zu- ſchlieſſen/ daß je vernuͤnfftiger die Liebe ſey/ je langſamer komme ſie auch zu ihren Zweck. Denn dasjenige/ was wir nur jetzo geſagt haben/ wird dir weiſen/ daß die unvollkommenſte ver- nuͤnfftige Liebe am allerlangſamſten zu der voͤlligen Verbindung gelange/ und die voll- kommenſte hingegen ja ſo geſchwinde/ wo nicht geſchwinder/ ihren Endzweck erreiche als die un- ver-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 321[317]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/349>, abgerufen am 18.04.2024.