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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Arten der absonderlichen Liebe.
beydes nicht raisonabel, weil es eine Anzeigung
ist/ daß die Gemüther einander nicht gleich sind/
und folglich kan auch bey keinen ein wahres Ver-
gnügen seyn. Auch in der vernünfftigen Liebe/
so lange als wir durch die Gefälligkeit unsere Lie-
be dem andern zu verstehen geben/ und seine Ge-
gen-Liebe suchen/ ist mehr ein Verlangen als ein
Vergnügen in unsern Hertzen.

21.

Jst aber Liebe und Gegen-Liebe wie
es seyn soll/ mit einander verknüpfft/ so ver-
gnügt uns wohl eines so sehr als das andere;

Denn wenn man gleich sagen wolte/ daß die Lie-
be uns mehr vergnügte als die Gegen-Liebe/ in
dem durch jene wir bey unserm geliebten ein Ver-
gnügen erweckten/ durch diese aber die uns lie-
bende Person uns hinwiederum ein Vergnügen
zu geben trachtete; und gleichwohl ein jeder
Mensch/ der vernünfftig liebet/ mehr Vergnügen
in dem Vergnügen der Person/ die er liebet/ als
in seinem eigenen zu finden gewohnet sey/ so wei-
set doch eben diese Betrachtung/ daß bey der
Gegen-Liebe uns dieses ja so sehr als bey der Lie-
be vergnügen müsse/ wenn wir erwegen/ daß die
geliebte Person sich fast sehrer vergnüge/ wenn
sie uns diese Gegen-Liebe erweiset/ als wenn sie
selbige empfähet. Zudem so bestehet die Liebe
nicht allein in Thun/ und die Gegen-Liebe im
Leiden/ sondern beyde vereinigen sich darinne/
daß eines dem andern seine Liebe erweiset/ und

über
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Arten der abſonderlichen Liebe.
beydes nicht raiſonabel, weil es eine Anzeigung
iſt/ daß die Gemuͤther einander nicht gleich ſind/
und folglich kan auch bey keinen ein wahres Ver-
gnuͤgen ſeyn. Auch in der vernuͤnfftigen Liebe/
ſo lange als wir durch die Gefaͤlligkeit unſere Lie-
be dem andern zu verſtehen geben/ und ſeine Ge-
gen-Liebe ſuchen/ iſt mehr ein Verlangen als ein
Vergnuͤgen in unſern Hertzen.

21.

Jſt aber Liebe und Gegen-Liebe wie
es ſeyn ſoll/ mit einander verknuͤpfft/ ſo ver-
gnuͤgt uns wohl eines ſo ſehr als das andere;

Denn wenn man gleich ſagen wolte/ daß die Lie-
be uns mehr vergnuͤgte als die Gegen-Liebe/ in
dem durch jene wir bey unſerm geliebten ein Ver-
gnuͤgen erweckten/ durch dieſe aber die uns lie-
bende Perſon uns hinwiederum ein Vergnuͤgen
zu geben trachtete; und gleichwohl ein jeder
Menſch/ der vernuͤnfftig liebet/ mehr Vergnuͤgen
in dem Vergnuͤgen der Perſon/ die er liebet/ als
in ſeinem eigenen zu finden gewohnet ſey/ ſo wei-
ſet doch eben dieſe Betrachtung/ daß bey der
Gegen-Liebe uns dieſes ja ſo ſehr als bey der Lie-
be vergnuͤgen muͤſſe/ wenn wir erwegen/ daß die
geliebte Perſon ſich faſt ſehrer vergnuͤge/ wenn
ſie uns dieſe Gegen-Liebe erweiſet/ als wenn ſie
ſelbige empfaͤhet. Zudem ſo beſtehet die Liebe
nicht allein in Thun/ und die Gegen-Liebe im
Leiden/ ſondern beyde vereinigen ſich darinne/
daß eines dem andern ſeine Liebe erweiſet/ und

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[327[323]/0355] Arten der abſonderlichen Liebe. beydes nicht raiſonabel, weil es eine Anzeigung iſt/ daß die Gemuͤther einander nicht gleich ſind/ und folglich kan auch bey keinen ein wahres Ver- gnuͤgen ſeyn. Auch in der vernuͤnfftigen Liebe/ ſo lange als wir durch die Gefaͤlligkeit unſere Lie- be dem andern zu verſtehen geben/ und ſeine Ge- gen-Liebe ſuchen/ iſt mehr ein Verlangen als ein Vergnuͤgen in unſern Hertzen. 21. Jſt aber Liebe und Gegen-Liebe wie es ſeyn ſoll/ mit einander verknuͤpfft/ ſo ver- gnuͤgt uns wohl eines ſo ſehr als das andere; Denn wenn man gleich ſagen wolte/ daß die Lie- be uns mehr vergnuͤgte als die Gegen-Liebe/ in dem durch jene wir bey unſerm geliebten ein Ver- gnuͤgen erweckten/ durch dieſe aber die uns lie- bende Perſon uns hinwiederum ein Vergnuͤgen zu geben trachtete; und gleichwohl ein jeder Menſch/ der vernuͤnfftig liebet/ mehr Vergnuͤgen in dem Vergnuͤgen der Perſon/ die er liebet/ als in ſeinem eigenen zu finden gewohnet ſey/ ſo wei- ſet doch eben dieſe Betrachtung/ daß bey der Gegen-Liebe uns dieſes ja ſo ſehr als bey der Lie- be vergnuͤgen muͤſſe/ wenn wir erwegen/ daß die geliebte Perſon ſich faſt ſehrer vergnuͤge/ wenn ſie uns dieſe Gegen-Liebe erweiſet/ als wenn ſie ſelbige empfaͤhet. Zudem ſo beſtehet die Liebe nicht allein in Thun/ und die Gegen-Liebe im Leiden/ ſondern beyde vereinigen ſich darinne/ daß eines dem andern ſeine Liebe erweiſet/ und uͤber X 2

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 327[323]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/355>, abgerufen am 24.04.2024.