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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 8. H. von der vernünfftigen
wohl die Grund-Regeln der Natur in diesem
Stück in acht genommen/ durch einen unver-
sehenen und gewaltsamen Tod hinwegreis-
se/
den sie nicht vermögend sind durch allen ihren
angewendeten Fleiß nur auf eine Minute auf-
zuschieben: Es geschehe nun solches entweder/
daß GOtt dadurch uns Menschen lehren wolle/
daß er als ein Herr der Natur nicht sich/ sondern
uns ein gewisses Ziel solches zu beobachten gese-
tzet habe/ er aber solches allezeit verkürtzen könne;
oder daß sodenn unser Lebens-Ziel nicht nach
unserer natürlicher Muthmassung/ sondern nach
GOttes Vorwissenheit gerechnet werden müsse;
oder aber daß ein solcher Mensch die Verkürtzung
seines Lebens durch Unterlassung vernünfftiger
Liebe gegen andere Menschen oder durch unver-
nünfftige Thaten wider die Schuldigkeit gegen
GOtt selbst/ sich über den Hals gezogen habe.

10.

Und damit wir selbst nicht wider die
Schuldigkeit sündigen/ so wollen wir ferner hier
nicht nachgrübeln/ wie doch dieses mit GOt-
tes Vorsehung und Allmacht bestehen kön-
ne/ daß ein Mensch sich sein Lebens-Ziel ver-
kürtzen könne.
Denn diese Nachgrüblung ist
vergebens/ und nutzet uns nichts/ weil alle göttli-
che Eigenschafften unbegreifflich seyn/ und zu Er-
haltung unserer Gemüths-Ruhe genung seyn
kan/ daß wir unstreitig bey uns befinden/ daß sich
der Mensch sein Leben verkürtzen könne.

11. Laß

Das 8. H. von der vernuͤnfftigen
wohl die Grund-Regeln der Natur in dieſem
Stuͤck in acht genommen/ durch einen unver-
ſehenen und gewaltſamen Tod hinwegreiſ-
ſe/
den ſie nicht vermoͤgend ſind durch allen ihren
angewendeten Fleiß nur auf eine Minute auf-
zuſchieben: Es geſchehe nun ſolches entweder/
daß GOtt dadurch uns Menſchen lehren wolle/
daß er als ein Herr der Natur nicht ſich/ ſondern
uns ein gewiſſes Ziel ſolches zu beobachten geſe-
tzet habe/ er aber ſolches allezeit verkuͤrtzen koͤnne;
oder daß ſodenn unſer Lebens-Ziel nicht nach
unſerer natuͤrlicher Muthmaſſung/ ſondern nach
GOttes Vorwiſſenheit gerechnet werden muͤſſe;
oder aber daß ein ſolcher Menſch die Verkuͤrtzung
ſeines Lebens durch Unterlaſſung vernuͤnfftiger
Liebe gegen andere Menſchen oder durch unver-
nuͤnfftige Thaten wider die Schuldigkeit gegen
GOtt ſelbſt/ ſich uͤber den Hals gezogen habe.

10.

Und damit wir ſelbſt nicht wider die
Schuldigkeit ſuͤndigen/ ſo wollen wir ferner hier
nicht nachgruͤbeln/ wie doch dieſes mit GOt-
tes Vorſehung und Allmacht beſtehen koͤn-
ne/ daß ein Menſch ſich ſein Lebens-Ziel ver-
kuͤrtzen koͤnne.
Denn dieſe Nachgruͤblung iſt
vergebens/ und nutzet uns nichts/ weil alle goͤttli-
che Eigenſchafften unbegreifflich ſeyn/ und zu Er-
haltung unſerer Gemuͤths-Ruhe genung ſeyn
kan/ daß wir unſtreitig bey uns befinden/ daß ſich
der Menſch ſein Leben verkuͤrtzen koͤnne.

11. Laß
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[342[338]/0370] Das 8. H. von der vernuͤnfftigen wohl die Grund-Regeln der Natur in dieſem Stuͤck in acht genommen/ durch einen unver- ſehenen und gewaltſamen Tod hinwegreiſ- ſe/ den ſie nicht vermoͤgend ſind durch allen ihren angewendeten Fleiß nur auf eine Minute auf- zuſchieben: Es geſchehe nun ſolches entweder/ daß GOtt dadurch uns Menſchen lehren wolle/ daß er als ein Herr der Natur nicht ſich/ ſondern uns ein gewiſſes Ziel ſolches zu beobachten geſe- tzet habe/ er aber ſolches allezeit verkuͤrtzen koͤnne; oder daß ſodenn unſer Lebens-Ziel nicht nach unſerer natuͤrlicher Muthmaſſung/ ſondern nach GOttes Vorwiſſenheit gerechnet werden muͤſſe; oder aber daß ein ſolcher Menſch die Verkuͤrtzung ſeines Lebens durch Unterlaſſung vernuͤnfftiger Liebe gegen andere Menſchen oder durch unver- nuͤnfftige Thaten wider die Schuldigkeit gegen GOtt ſelbſt/ ſich uͤber den Hals gezogen habe. 10. Und damit wir ſelbſt nicht wider die Schuldigkeit ſuͤndigen/ ſo wollen wir ferner hier nicht nachgruͤbeln/ wie doch dieſes mit GOt- tes Vorſehung und Allmacht beſtehen koͤn- ne/ daß ein Menſch ſich ſein Lebens-Ziel ver- kuͤrtzen koͤnne. Denn dieſe Nachgruͤblung iſt vergebens/ und nutzet uns nichts/ weil alle goͤttli- che Eigenſchafften unbegreifflich ſeyn/ und zu Er- haltung unſerer Gemuͤths-Ruhe genung ſeyn kan/ daß wir unſtreitig bey uns befinden/ daß ſich der Menſch ſein Leben verkuͤrtzen koͤnne. 11. Laß

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 342[338]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/370>, abgerufen am 19.04.2024.