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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 8. H. von der vernünfftigen
deutliche Ursache findet/ dasselbe zu demonstriren/
sondern das gleich sam der erste Schritt ist/ wenn
die Vernunfft ihre höchste Staffel erreichet hat/
zu der übernatürlichen Erleuchtung zu gelangen/
und die Erleuchtung mit der Vernunfft durch
dieses Band zu verknüpffen.

19.

Wir haben aber gesagt/ daß die abson-
derliche Liebe uns verbinde/ unser Leben aus Lie-
be zu unsern Freund zu lassen. Denn was die
allgemeine betrifft/ haben wir schon oben/ als
wir von derselben gehandelt/ gnugsam gewiesen/
daß weder die Tugend der Leutseligkeit/ noch eine
andere zur allgemeinen Liebe gehörige Tugend
sich biß dahin erstrecke/ für alle Menschen das Le-
ben zu lassen. Ja wir haben daselbst/ als von der
Gedult gehandelt/ gesagt/ daß wir nur von der
Gedult/ die man gegen die empfangenen Beley-
digungen ausüben müsse/ redeten/ und zu seiner
Zeit von der Gedult gegen die instehenden und
künfftigen Beleydigungen schon unsere Meinung
entdecken wolten. Derowegen fraget es sich nun-
mehro nicht unbillig/ ob denn die vernünfftige
Liebe uns nicht auch verbinde/ die von unsern
Feinden uns zu besorgende gewaltsame Ge-
fahr und Schmach mit Gedult zu erwarten/
und auch für dieselben unser Leben zu lassen;

oder ob wir nicht vielmehr dieselbe mit Gegen-
Gewalt und auch wohl mit Ertödtung unsers
Gegeners/ der Liebe unbeschadet abtreiben
können?

20. Die-

Das 8. H. von der vernuͤnfftigen
deutliche Urſache findet/ daſſelbe zu demonſtriren/
ſondern das gleich ſam der erſte Schritt iſt/ wenn
die Vernunfft ihre hoͤchſte Staffel erreichet hat/
zu der uͤbernatuͤrlichen Erleuchtung zu gelangen/
und die Erleuchtung mit der Vernunfft durch
dieſes Band zu verknuͤpffen.

19.

Wir haben aber geſagt/ daß die abſon-
derliche Liebe uns verbinde/ unſer Leben aus Lie-
be zu unſern Freund zu laſſen. Denn was die
allgemeine betrifft/ haben wir ſchon oben/ als
wir von derſelben gehandelt/ gnugſam gewieſen/
daß weder die Tugend der Leutſeligkeit/ noch eine
andere zur allgemeinen Liebe gehoͤrige Tugend
ſich biß dahin erſtrecke/ fuͤr alle Menſchen das Le-
ben zu laſſen. Ja wir haben daſelbſt/ als von der
Gedult gehandelt/ geſagt/ daß wir nur von der
Gedult/ die man gegen die empfangenen Beley-
digungen ausuͤben muͤſſe/ redeten/ und zu ſeiner
Zeit von der Gedult gegen die inſtehenden und
kuͤnfftigen Beleydigungen ſchon unſere Meinung
entdecken wolten. Derowegen fraget es ſich nun-
mehro nicht unbillig/ ob denn die vernuͤnfftige
Liebe uns nicht auch verbinde/ die von unſern
Feinden uns zu beſorgende gewaltſame Ge-
fahr und Schmach mit Gedult zu erwarten/
und auch fuͤr dieſelben unſer Leben zu laſſen;

oder ob wir nicht vielmehr dieſelbe mit Gegen-
Gewalt und auch wohl mit Ertoͤdtung unſers
Gegeners/ der Liebe unbeſchadet abtreiben
koͤnnen?

20. Die-
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[346[342]/0374] Das 8. H. von der vernuͤnfftigen deutliche Urſache findet/ daſſelbe zu demonſtriren/ ſondern das gleich ſam der erſte Schritt iſt/ wenn die Vernunfft ihre hoͤchſte Staffel erreichet hat/ zu der uͤbernatuͤrlichen Erleuchtung zu gelangen/ und die Erleuchtung mit der Vernunfft durch dieſes Band zu verknuͤpffen. 19. Wir haben aber geſagt/ daß die abſon- derliche Liebe uns verbinde/ unſer Leben aus Lie- be zu unſern Freund zu laſſen. Denn was die allgemeine betrifft/ haben wir ſchon oben/ als wir von derſelben gehandelt/ gnugſam gewieſen/ daß weder die Tugend der Leutſeligkeit/ noch eine andere zur allgemeinen Liebe gehoͤrige Tugend ſich biß dahin erſtrecke/ fuͤr alle Menſchen das Le- ben zu laſſen. Ja wir haben daſelbſt/ als von der Gedult gehandelt/ geſagt/ daß wir nur von der Gedult/ die man gegen die empfangenen Beley- digungen ausuͤben muͤſſe/ redeten/ und zu ſeiner Zeit von der Gedult gegen die inſtehenden und kuͤnfftigen Beleydigungen ſchon unſere Meinung entdecken wolten. Derowegen fraget es ſich nun- mehro nicht unbillig/ ob denn die vernuͤnfftige Liebe uns nicht auch verbinde/ die von unſern Feinden uns zu beſorgende gewaltſame Ge- fahr und Schmach mit Gedult zu erwarten/ und auch fuͤr dieſelben unſer Leben zu laſſen; oder ob wir nicht vielmehr dieſelbe mit Gegen- Gewalt und auch wohl mit Ertoͤdtung unſers Gegeners/ der Liebe unbeſchadet abtreiben koͤnnen? 20. Die-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 346[342]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/374>, abgerufen am 29.03.2024.