Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite
Liebe gegen uns selbst.
20.

Diese von vielen weitläufftig auch ziem-
lich uneinig und confus beantwortete Frage kürtz-
lich und gegründet zu beantworten/ wollen wir
nur aus dem/ was wir bißhero demonsttiret/ et-
liche Sätze und Gründe hieher
wiederhoh-
len. (1) Daß ein jedweder einen jedweden Men-
schen zwar nicht absonderlich lieben könne/ aber
doch auch nicht hassen solle. (2) Daß derjenige/
so uns Feindschafft erweiset/ nicht praetendiren
könne/ daß wir ihm mit absonderlicher Liebe
zugethan seyn müsten/ weil er durch seine Be-
leydigungen gnugsam darthut/ daß er nicht tu-
gendhafft sey. (3) Daß wir einen solchen Men-
schen doch nicht hassen dürffen/
sondern ihm
die allgemeine Liebe erweisen müssen. (4) Daß
hassen nichts anders sey/ als darnach trachten/
wie man einen andern Menschen für das uns er-
wiesene eingebildete böse Leydes zufügen möge.
(5) Daß die Verthäydigung seines Lebens
und seiner andern Güter nicht unter den Haß
gerechnet werden könne/ weil dieselbe nur dahin
trachtet/ den andern abzuhalten/ daß er uns nichts
zu leyde thue. (6) Daß wir diese Verthäydi-
gung
der absonderlichen und allgemeinen Liebe
schuldig seyn. (7) Daß wir zwar wegen be-
gangener Boßheit oder Versehen uns nicht rä-
chen
sollen/ weil wir dergleichen Gedult täglich
von andern Menschen insgemein benöthiget sind/
aber wegen offenbahrer gegenwärtigen Ge-
walt/
wenn wir nur ein wenig vernünfftig seyn/

von
Y 4
Liebe gegen uns ſelbſt.
20.

Dieſe von vielen weitlaͤufftig auch ziem-
lich uneinig und confus beantwortete Frage kuͤrtz-
lich und gegruͤndet zu beantworten/ wollen wir
nur aus dem/ was wir bißhero demonſttiret/ et-
liche Saͤtze und Gruͤnde hieher
wiederhoh-
len. (1) Daß ein jedweder einen jedweden Men-
ſchen zwar nicht abſonderlich lieben koͤnne/ aber
doch auch nicht haſſen ſolle. (2) Daß derjenige/
ſo uns Feindſchafft erweiſet/ nicht prætendiren
koͤnne/ daß wir ihm mit abſonderlicher Liebe
zugethan ſeyn muͤſten/ weil er durch ſeine Be-
leydigungen gnugſam darthut/ daß er nicht tu-
gendhafft ſey. (3) Daß wir einen ſolchen Men-
ſchen doch nicht haſſen duͤrffen/
ſondern ihm
die allgemeine Liebe erweiſen muͤſſen. (4) Daß
haſſen nichts anders ſey/ als darnach trachten/
wie man einen andern Menſchen fuͤr das uns er-
wieſene eingebildete boͤſe Leydes zufuͤgen moͤge.
(5) Daß die Verthaͤydigung ſeines Lebens
und ſeiner andern Guͤter nicht unter den Haß
gerechnet werden koͤnne/ weil dieſelbe nur dahin
trachtet/ den andern abzuhalten/ daß er uns nichts
zu leyde thue. (6) Daß wir dieſe Verthaͤydi-
gung
der abſonderlichen und allgemeinen Liebe
ſchuldig ſeyn. (7) Daß wir zwar wegen be-
gangener Boßheit oder Verſehen uns nicht raͤ-
chen
ſollen/ weil wir dergleichen Gedult taͤglich
von andern Menſchen insgemein benoͤthiget ſind/
aber wegen offenbahrer gegenwaͤrtigen Ge-
walt/
wenn wir nur ein wenig vernuͤnfftig ſeyn/

von
Y 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0375" n="347[343]"/>
          <fw place="top" type="header">Liebe gegen uns &#x017F;elb&#x017F;t.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>20.</head>
            <p>Die&#x017F;e von vielen weitla&#x0364;ufftig auch ziem-<lb/>
lich uneinig und <hi rendition="#aq">confus</hi> beantwortete Frage ku&#x0364;rtz-<lb/>
lich und gegru&#x0364;ndet zu beantworten/ wollen wir<lb/>
nur aus dem/ was wir bißhero <hi rendition="#aq">demon&#x017F;ttir</hi>et/ <hi rendition="#fr">et-<lb/>
liche Sa&#x0364;tze und Gru&#x0364;nde hieher</hi> wiederhoh-<lb/>
len. (1) Daß ein jedweder einen jedweden Men-<lb/>
&#x017F;chen zwar nicht ab&#x017F;onderlich lieben ko&#x0364;nne/ aber<lb/>
doch auch <hi rendition="#fr">nicht ha&#x017F;&#x017F;en</hi> &#x017F;olle. (2) Daß derjenige/<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;o uns Feind&#x017F;chafft</hi> erwei&#x017F;et/ nicht <hi rendition="#aq">prætendir</hi>en<lb/>
ko&#x0364;nne/ daß wir ihm mit <hi rendition="#fr">ab&#x017F;onderlicher Liebe</hi><lb/>
zugethan &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;ten/ weil er durch &#x017F;eine Be-<lb/>
leydigungen gnug&#x017F;am darthut/ daß er nicht tu-<lb/>
gendhafft &#x017F;ey. (3) Daß wir <hi rendition="#fr">einen &#x017F;olchen Men-<lb/>
&#x017F;chen doch nicht ha&#x017F;&#x017F;en du&#x0364;rffen/</hi> &#x017F;ondern ihm<lb/>
die allgemeine Liebe erwei&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. (4) Daß<lb/><hi rendition="#fr">ha&#x017F;&#x017F;en</hi> nichts anders &#x017F;ey/ als darnach trachten/<lb/>
wie man einen andern Men&#x017F;chen fu&#x0364;r das uns er-<lb/>
wie&#x017F;ene eingebildete bo&#x0364;&#x017F;e Leydes zufu&#x0364;gen mo&#x0364;ge.<lb/>
(5) Daß die <hi rendition="#fr">Vertha&#x0364;ydigung &#x017F;eines Lebens</hi><lb/>
und &#x017F;einer andern Gu&#x0364;ter nicht unter den Haß<lb/>
gerechnet werden ko&#x0364;nne/ weil die&#x017F;elbe nur dahin<lb/>
trachtet/ den andern abzuhalten/ daß er uns nichts<lb/>
zu leyde thue. (6) Daß wir <hi rendition="#fr">die&#x017F;e Vertha&#x0364;ydi-<lb/>
gung</hi> der ab&#x017F;onderlichen und allgemeinen Liebe<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;chuldig &#x017F;eyn.</hi> (7) Daß wir zwar wegen be-<lb/>
gangener Boßheit oder Ver&#x017F;ehen uns nicht <hi rendition="#fr">ra&#x0364;-<lb/>
chen</hi> &#x017F;ollen/ weil wir dergleichen Gedult ta&#x0364;glich<lb/>
von andern Men&#x017F;chen insgemein beno&#x0364;thiget &#x017F;ind/<lb/>
aber wegen <hi rendition="#fr">offenbahrer gegenwa&#x0364;rtigen Ge-<lb/>
walt/</hi> wenn wir nur ein wenig vernu&#x0364;nfftig &#x017F;eyn/<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y 4</fw><fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347[343]/0375] Liebe gegen uns ſelbſt. 20. Dieſe von vielen weitlaͤufftig auch ziem- lich uneinig und confus beantwortete Frage kuͤrtz- lich und gegruͤndet zu beantworten/ wollen wir nur aus dem/ was wir bißhero demonſttiret/ et- liche Saͤtze und Gruͤnde hieher wiederhoh- len. (1) Daß ein jedweder einen jedweden Men- ſchen zwar nicht abſonderlich lieben koͤnne/ aber doch auch nicht haſſen ſolle. (2) Daß derjenige/ ſo uns Feindſchafft erweiſet/ nicht prætendiren koͤnne/ daß wir ihm mit abſonderlicher Liebe zugethan ſeyn muͤſten/ weil er durch ſeine Be- leydigungen gnugſam darthut/ daß er nicht tu- gendhafft ſey. (3) Daß wir einen ſolchen Men- ſchen doch nicht haſſen duͤrffen/ ſondern ihm die allgemeine Liebe erweiſen muͤſſen. (4) Daß haſſen nichts anders ſey/ als darnach trachten/ wie man einen andern Menſchen fuͤr das uns er- wieſene eingebildete boͤſe Leydes zufuͤgen moͤge. (5) Daß die Verthaͤydigung ſeines Lebens und ſeiner andern Guͤter nicht unter den Haß gerechnet werden koͤnne/ weil dieſelbe nur dahin trachtet/ den andern abzuhalten/ daß er uns nichts zu leyde thue. (6) Daß wir dieſe Verthaͤydi- gung der abſonderlichen und allgemeinen Liebe ſchuldig ſeyn. (7) Daß wir zwar wegen be- gangener Boßheit oder Verſehen uns nicht raͤ- chen ſollen/ weil wir dergleichen Gedult taͤglich von andern Menſchen insgemein benoͤthiget ſind/ aber wegen offenbahrer gegenwaͤrtigen Ge- walt/ wenn wir nur ein wenig vernuͤnfftig ſeyn/ von Y 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/375
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 347[343]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/375>, abgerufen am 28.03.2024.