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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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das Gute und Böse zu erkennen überh.
89.

Also siehest du/ daß wir alles bißhero ein-
zeln erzehletes Gute unter die gewöhnlichen
Classen gebracht haben/ biß auff GOtt und das
Decorum, die sich nach der gemeinen Beschrei-
bung nicht füglich zu einer von derselben setzen
lassen. Was das Decorum betrifft/ daran hat
bißhero niemand gedacht/ was es für ein Gut sey/
obgleich alle Philosophi darinnen wider die Cy-
nicos
einig gewesen/ daß über die Tugend noch
etwas anders sey/ das man in gemeinen Leben
und Wandel als eine Richtschnur in acht neh-
men müsse.

90.

Was GOtt betrifft/ ist es zwar denen
Heydnischen Philosophen endlich zu übersehen/
daß sie die Eintheilung der Güter des Menschen
so eingeschrenckt/ daß sie das nöthigste darinnen
versehen/ weil sie insgesamt wegen der Ver-
mischung der Welt-Weisheit und der falschen
Offenbahrung irrige Meinungen von GOtt ge-
heget; daß man aber in Christlichen Schulen
diesen Mangel so gelassen/ wie man ihn gefun-
den/ ist billig zu bewundern. Wir wollen uns
aber nicht eben bekümmern diese Eintheilung
nach diesen Anmerckungen auszubessern/ sondern
lieber dieselbe gar fahren lassen/ weil wir nicht
sehen/ was dieselbe für einen grossen Nutzen
habe.

91.

Ferner lehret man durchgehends in de-
nen Schulen/ qvod bonum sit honestum, utile &
jucundum,
daß ein ehrbares/ nützliches und be-

lusti-
C
das Gute und Boͤſe zu erkennen uͤberh.
89.

Alſo ſieheſt du/ daß wir alles bißhero ein-
zeln erzehletes Gute unter die gewoͤhnlichen
Claſſen gebracht haben/ biß auff GOtt und das
Decorum, die ſich nach der gemeinen Beſchrei-
bung nicht fuͤglich zu einer von derſelben ſetzen
laſſen. Was das Decorum betrifft/ daran hat
bißhero niemand gedacht/ was es fuͤr ein Gut ſey/
obgleich alle Philoſophi darinnen wider die Cy-
nicos
einig geweſen/ daß uͤber die Tugend noch
etwas anders ſey/ das man in gemeinen Leben
und Wandel als eine Richtſchnur in acht neh-
men muͤſſe.

90.

Was GOtt betrifft/ iſt es zwar denen
Heydniſchen Philoſophen endlich zu uͤberſehen/
daß ſie die Eintheilung der Guͤter des Menſchen
ſo eingeſchrenckt/ daß ſie das noͤthigſte darinnen
verſehen/ weil ſie insgeſamt wegen der Ver-
miſchung der Welt-Weisheit und der falſchen
Offenbahrung irrige Meinungen von GOtt ge-
heget; daß man aber in Chriſtlichen Schulen
dieſen Mangel ſo gelaſſen/ wie man ihn gefun-
den/ iſt billig zu bewundern. Wir wollen uns
aber nicht eben bekuͤmmern dieſe Eintheilung
nach dieſen Anmerckungen auszubeſſern/ ſondern
lieber dieſelbe gar fahren laſſen/ weil wir nicht
ſehen/ was dieſelbe fuͤr einen groſſen Nutzen
habe.

91.

Ferner lehret man durchgehends in de-
nen Schulen/ qvod bonum ſit honeſtum, utile &
jucundum,
daß ein ehrbares/ nuͤtzliches und be-

luſti-
C
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[33/0065] das Gute und Boͤſe zu erkennen uͤberh. 89. Alſo ſieheſt du/ daß wir alles bißhero ein- zeln erzehletes Gute unter die gewoͤhnlichen Claſſen gebracht haben/ biß auff GOtt und das Decorum, die ſich nach der gemeinen Beſchrei- bung nicht fuͤglich zu einer von derſelben ſetzen laſſen. Was das Decorum betrifft/ daran hat bißhero niemand gedacht/ was es fuͤr ein Gut ſey/ obgleich alle Philoſophi darinnen wider die Cy- nicos einig geweſen/ daß uͤber die Tugend noch etwas anders ſey/ das man in gemeinen Leben und Wandel als eine Richtſchnur in acht neh- men muͤſſe. 90. Was GOtt betrifft/ iſt es zwar denen Heydniſchen Philoſophen endlich zu uͤberſehen/ daß ſie die Eintheilung der Guͤter des Menſchen ſo eingeſchrenckt/ daß ſie das noͤthigſte darinnen verſehen/ weil ſie insgeſamt wegen der Ver- miſchung der Welt-Weisheit und der falſchen Offenbahrung irrige Meinungen von GOtt ge- heget; daß man aber in Chriſtlichen Schulen dieſen Mangel ſo gelaſſen/ wie man ihn gefun- den/ iſt billig zu bewundern. Wir wollen uns aber nicht eben bekuͤmmern dieſe Eintheilung nach dieſen Anmerckungen auszubeſſern/ ſondern lieber dieſelbe gar fahren laſſen/ weil wir nicht ſehen/ was dieſelbe fuͤr einen groſſen Nutzen habe. 91. Ferner lehret man durchgehends in de- nen Schulen/ qvod bonum ſit honeſtum, utile & jucundum, daß ein ehrbares/ nuͤtzliches und be- luſti- C

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/65>, abgerufen am 23.04.2024.