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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 2. Hauptst. von der grösten
statt tugendhaffter lieblicher Thaten alles sein
Thun und Lassen nach seinem eigenen Interesse
dieses Schein-Gut zu erlangen einrichtet/ der kan
nicht anders als höchst elende seyn/ in dem er
sein Gemüthe höchst verunruhiget/ auch täglich
in dieser Unruhe als ein Wild im Garne sich mehr
und mehr verwickelt/ ein Abscheu aller Tugend-
haffter Leute/ und seines Geldes oder anderer
armseeligen und ja so elenden Menschen als er
selbst ist/ Sclave wird.

126.

Hierbey aber mustu bey der Weißheit
aus dem vorhergehenden wiederholen/ daß ich
durch selbige weder die Erkäntniß eiteler und Pe-
danti
scher/ noch zierlicher und artiger Wissen-
schafften/ auch nicht einmahl solcher dem mensch-
lichen Geschlecht sonst nicht unnützlichen Discipli-
nen/ die aber zu Erforschung anderer Geschöpffe
ausser dem Menschen zielen/ verstehe. Denn
diese sind entweder der wahren Glückseeligkeit
entgegen gesetzte Thorheiten/ oder doch zum
wenigsten blosse Zierrathen der Gemüths-Nu-
he. Die eintzige Selstberkäntnüß ist das
wesentliche Stücke
des höchsten Guts/ und wer
diese verfehlet/ oder sie anfeindet/ braucht keiner
weitern Bestraffung/ weil er als sein selbst eige-
ner Feind hierdurch sich genung selbst bestraffet.

127.

Gleichergestalt mustu die Tugend nicht
in den äusserlichen Bezeugungen alleine suchen/
sondern zuförderst in der brünstigen Liebe gegen
andere Tugendliebende Menscheu. Diese muß

aus

Das 2. Hauptſt. von der groͤſten
ſtatt tugendhaffter lieblicher Thaten alles ſein
Thun und Laſſen nach ſeinem eigenen Intereſſe
dieſes Schein-Gut zu erlangen einrichtet/ der kan
nicht anders als hoͤchſt elende ſeyn/ in dem er
ſein Gemuͤthe hoͤchſt verunruhiget/ auch taͤglich
in dieſer Unruhe als ein Wild im Garne ſich mehr
und mehr verwickelt/ ein Abſcheu aller Tugend-
haffter Leute/ und ſeines Geldes oder anderer
armſeeligen und ja ſo elenden Menſchen als er
ſelbſt iſt/ Sclave wird.

126.

Hierbey aber muſtu bey der Weißheit
aus dem vorhergehenden wiederholen/ daß ich
durch ſelbige weder die Erkaͤntniß eiteler und Pe-
danti
ſcher/ noch zierlicher und artiger Wiſſen-
ſchafften/ auch nicht einmahl ſolcher dem menſch-
lichen Geſchlecht ſonſt nicht unnuͤtzlichen Diſcipli-
nen/ die aber zu Erforſchung anderer Geſchoͤpffe
auſſer dem Menſchen zielen/ verſtehe. Denn
dieſe ſind entweder der wahren Gluͤckſeeligkeit
entgegen geſetzte Thorheiten/ oder doch zum
wenigſten bloſſe Zierrathen der Gemuͤths-Nu-
he. Die eintzige Selſtberkaͤntnuͤß iſt das
weſentliche Stuͤcke
des hoͤchſten Guts/ und wer
dieſe verfehlet/ oder ſie anfeindet/ braucht keiner
weitern Beſtraffung/ weil er als ſein ſelbſt eige-
ner Feind hierdurch ſich genung ſelbſt beſtraffet.

127.

Gleichergeſtalt muſtu die Tugend nicht
in den aͤuſſerlichen Bezeugungen alleine ſuchen/
ſondern zufoͤrderſt in der bruͤnſtigen Liebe gegen
andere Tugendliebende Menſcheu. Dieſe muß

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[112/0144] Das 2. Hauptſt. von der groͤſten ſtatt tugendhaffter lieblicher Thaten alles ſein Thun und Laſſen nach ſeinem eigenen Intereſſe dieſes Schein-Gut zu erlangen einrichtet/ der kan nicht anders als hoͤchſt elende ſeyn/ in dem er ſein Gemuͤthe hoͤchſt verunruhiget/ auch taͤglich in dieſer Unruhe als ein Wild im Garne ſich mehr und mehr verwickelt/ ein Abſcheu aller Tugend- haffter Leute/ und ſeines Geldes oder anderer armſeeligen und ja ſo elenden Menſchen als er ſelbſt iſt/ Sclave wird. 126. Hierbey aber muſtu bey der Weißheit aus dem vorhergehenden wiederholen/ daß ich durch ſelbige weder die Erkaͤntniß eiteler und Pe- dantiſcher/ noch zierlicher und artiger Wiſſen- ſchafften/ auch nicht einmahl ſolcher dem menſch- lichen Geſchlecht ſonſt nicht unnuͤtzlichen Diſcipli- nen/ die aber zu Erforſchung anderer Geſchoͤpffe auſſer dem Menſchen zielen/ verſtehe. Denn dieſe ſind entweder der wahren Gluͤckſeeligkeit entgegen geſetzte Thorheiten/ oder doch zum wenigſten bloſſe Zierrathen der Gemuͤths-Nu- he. Die eintzige Selſtberkaͤntnuͤß iſt das weſentliche Stuͤcke des hoͤchſten Guts/ und wer dieſe verfehlet/ oder ſie anfeindet/ braucht keiner weitern Beſtraffung/ weil er als ſein ſelbſt eige- ner Feind hierdurch ſich genung ſelbſt beſtraffet. 127. Gleichergeſtalt muſtu die Tugend nicht in den aͤuſſerlichen Bezeugungen alleine ſuchen/ ſondern zufoͤrderſt in der bruͤnſtigen Liebe gegen andere Tugendliebende Menſcheu. Dieſe muß aus

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/144>, abgerufen am 29.03.2024.