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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 3. Hauptst. von Gott als dem
Nahmen Gottes die blossen Geschöpffe verstehen/
und also in der That Gott verläugnen.

4.

Ob ein GOtt sey? wird kein vernünffti-
ger Mensch die geringste Ursache in Zweiffel
zu ziehen finden/ daß er diese Frage verläug-
nen
solte/ weil ihm sonst die Betrachtung aller
irrdischen Geschöpffe/ und das geringste Gräß-
lein seine Raserey ja so sehr überzeugen würde/
als wenn er diese Geschöpffe selbst läugnen sol-
te; Sondern er nimmet vielmehr durch Be-
trachtung dieser Dinge die umb ihn sind/ ja sein
selbst/ Gelegenheit durch einen vernünfftigen
Zweiffel zu suchen/ was denn Gott sey und
heisse/ und wie weit seine natürliche Erkäntniß
hierinnen sich erstrecken könne.

5.

Er siehet das alle Geschöpffe auff dieser
Erden ihren Ursprung
und Untergang un-
terworffen sind/ auch bald beweget werden/
bald ruhen. Und also erkennet er zugleich/ daß
nichts unter denenselben weder sein sebstän-
diges Wesen/ noch seine Bewegung von sich
selbsten habe/
sondern alles von einem andern
herkomme und beweget werde. Und weil dem
allgemeinen mensch lichen Verstand zuwider ist/
daß er in Erkäntniß derer causarum bis in infini-
tum
sich versteigen solte/ gleichwohl aber nach
unserer Vernunfft-Lehre alles das jenige vor
falsch zu halten/ was dem allgemeinen menschli-
chen Verstand zu wider ist; als ist er gewiß
versichert/ daß eine erste Ursache seyn müsse/

von

Das 3. Hauptſt. von Gott als dem
Nahmen Gottes die bloſſen Geſchoͤpffe verſtehen/
und alſo in der That Gott verlaͤugnen.

4.

Ob ein GOtt ſey? wird kein vernuͤnffti-
ger Menſch die geringſte Urſache in Zweiffel
zu ziehen finden/ daß er dieſe Frage verlaͤug-
nen
ſolte/ weil ihm ſonſt die Betrachtung aller
irrdiſchen Geſchoͤpffe/ und das geringſte Graͤß-
lein ſeine Raſerey ja ſo ſehr uͤberzeugen wuͤrde/
als wenn er dieſe Geſchoͤpffe ſelbſt laͤugnen ſol-
te; Sondern er nimmet vielmehr durch Be-
trachtung dieſer Dinge die umb ihn ſind/ ja ſein
ſelbſt/ Gelegenheit durch einen vernuͤnfftigen
Zweiffel zu ſuchen/ was denn Gott ſey und
heiſſe/ und wie weit ſeine natuͤrliche Erkaͤntniß
hierinnen ſich erſtrecken koͤnne.

5.

Er ſiehet das alle Geſchoͤpffe auff dieſer
Erden ihren Urſprung
und Untergang un-
terworffen ſind/ auch bald beweget werden/
bald ruhen. Und alſo erkennet er zugleich/ daß
nichts unter denenſelben weder ſein ſebſtaͤn-
diges Weſen/ noch ſeine Bewegung von ſich
ſelbſten habe/
ſondern alles von einem andern
herkomme und beweget werde. Und weil dem
allgemeinen menſch lichen Verſtand zuwider iſt/
daß er in Erkaͤntniß derer cauſarum bis in infini-
tum
ſich verſteigen ſolte/ gleichwohl aber nach
unſerer Vernunfft-Lehre alles das jenige vor
falſch zu halten/ was dem allgemeinen menſchli-
chen Verſtand zu wider iſt; als iſt er gewiß
verſichert/ daß eine erſte Urſache ſeyn muͤſſe/

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[120/0152] Das 3. Hauptſt. von Gott als dem Nahmen Gottes die bloſſen Geſchoͤpffe verſtehen/ und alſo in der That Gott verlaͤugnen. 4. Ob ein GOtt ſey? wird kein vernuͤnffti- ger Menſch die geringſte Urſache in Zweiffel zu ziehen finden/ daß er dieſe Frage verlaͤug- nen ſolte/ weil ihm ſonſt die Betrachtung aller irrdiſchen Geſchoͤpffe/ und das geringſte Graͤß- lein ſeine Raſerey ja ſo ſehr uͤberzeugen wuͤrde/ als wenn er dieſe Geſchoͤpffe ſelbſt laͤugnen ſol- te; Sondern er nimmet vielmehr durch Be- trachtung dieſer Dinge die umb ihn ſind/ ja ſein ſelbſt/ Gelegenheit durch einen vernuͤnfftigen Zweiffel zu ſuchen/ was denn Gott ſey und heiſſe/ und wie weit ſeine natuͤrliche Erkaͤntniß hierinnen ſich erſtrecken koͤnne. 5. Er ſiehet das alle Geſchoͤpffe auff dieſer Erden ihren Urſprung und Untergang un- terworffen ſind/ auch bald beweget werden/ bald ruhen. Und alſo erkennet er zugleich/ daß nichts unter denenſelben weder ſein ſebſtaͤn- diges Weſen/ noch ſeine Bewegung von ſich ſelbſten habe/ ſondern alles von einem andern herkomme und beweget werde. Und weil dem allgemeinen menſch lichen Verſtand zuwider iſt/ daß er in Erkaͤntniß derer cauſarum bis in infini- tum ſich verſteigen ſolte/ gleichwohl aber nach unſerer Vernunfft-Lehre alles das jenige vor falſch zu halten/ was dem allgemeinen menſchli- chen Verſtand zu wider iſt; als iſt er gewiß verſichert/ daß eine erſte Urſache ſeyn muͤſſe/ von

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/152>, abgerufen am 24.04.2024.