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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Ursprung aller menschl. Glückseel.
tet GOTT nicht. Denn wie solte er sich
für dem fürchten oder ihm vertrauen/ den
er dafür hält/ daß er sich umb ihn nicht be-
kümmere. Und wie solte er den lieben/ den er
für nichts hält/ oder an dessen Vereinigung mit
sich er verzweiffelt/ oder den er allzuvortrefflich
zu seyn glaubet/ daß es seiner Vortreffligkeit zu
wieder sey einmahl an ihn zu dencken. Dero-
wegen weil er GOtt als den Ursprung alles Gu-
ten nicht betrachtet/ so sucht er auch sein höch-
stes Gut nicht in einer/ aus einer vernünfftigen
Liebe anderer Menschen herrührenden und die-
selbe wider wirckenden Gemüths-Ruhe/ sondern
seine unzeitige Weißheit treibet seine Vernunfft
dahin/ daß er sich beynahe selbst für einen Gott
achtet/ weil er befindet/ daß er edler sey als die
andern Geschöpffe die um ihn sind/ und ehret/
liebet/ vertrauet und fürchtet niemand als sich
selbsten. Bey dieser Bewandniß aber thut er
zwar mehrentheils alles dasjenige/ was ein tu-
gendhaffter Mann/ der die gröste Glückseeligkeit
suchet/ oder besitzet/ zuthun pfleget; aber weil
er dieses alles nicht aus Liebe zu andern Men-
schen/ sondern zu sich selbst thut/ indem ihm sei-
ne Vernunfft weiset/ daß er sich selbst durch ein
unvernünfftiges Leben unglücklich machen wür-
de; Als macht er sich kein Gewissen/ heimlich
andern Leuten zu schaden/ und wider die allge-
meinen natürlichen Grund-Regeln anzustossen/
entweder seine äusserliche Macht und Ansehen

dadurch
K 3

Urſprung aller menſchl. Gluͤckſeel.
tet GOTT nicht. Denn wie ſolte er ſich
fuͤr dem fuͤrchten oder ihm vertrauen/ den
er dafuͤr haͤlt/ daß er ſich umb ihn nicht be-
kuͤmmere. Und wie ſolte er den lieben/ den er
fuͤr nichts haͤlt/ oder an deſſen Vereinigung mit
ſich er verzweiffelt/ oder den er allzuvortrefflich
zu ſeyn glaubet/ daß es ſeiner Vortreffligkeit zu
wieder ſey einmahl an ihn zu dencken. Dero-
wegen weil er GOtt als den Urſprung alles Gu-
ten nicht betrachtet/ ſo ſucht er auch ſein hoͤch-
ſtes Gut nicht in einer/ aus einer vernuͤnfftigen
Liebe anderer Menſchen herruͤhrenden und die-
ſelbe wider wirckenden Gemuͤths-Ruhe/ ſondern
ſeine unzeitige Weißheit treibet ſeine Vernunfft
dahin/ daß er ſich beynahe ſelbſt fuͤr einen Gott
achtet/ weil er befindet/ daß er edler ſey als die
andern Geſchoͤpffe die um ihn ſind/ und ehret/
liebet/ vertrauet und fuͤrchtet niemand als ſich
ſelbſten. Bey dieſer Bewandniß aber thut er
zwar mehrentheils alles dasjenige/ was ein tu-
gendhaffter Mann/ der die groͤſte Gluͤckſeeligkeit
ſuchet/ oder beſitzet/ zuthun pfleget; aber weil
er dieſes alles nicht aus Liebe zu andern Men-
ſchen/ ſondern zu ſich ſelbſt thut/ indem ihm ſei-
ne Vernunfft weiſet/ daß er ſich ſelbſt durch ein
unvernuͤnfftiges Leben ungluͤcklich machen wuͤr-
de; Als macht er ſich kein Gewiſſen/ heimlich
andern Leuten zu ſchaden/ und wider die allge-
meinen natuͤrlichen Grund-Regeln anzuſtoſſen/
entweder ſeine aͤuſſerliche Macht und Anſehen

dadurch
K 3
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[149/0181] Urſprung aller menſchl. Gluͤckſeel. tet GOTT nicht. Denn wie ſolte er ſich fuͤr dem fuͤrchten oder ihm vertrauen/ den er dafuͤr haͤlt/ daß er ſich umb ihn nicht be- kuͤmmere. Und wie ſolte er den lieben/ den er fuͤr nichts haͤlt/ oder an deſſen Vereinigung mit ſich er verzweiffelt/ oder den er allzuvortrefflich zu ſeyn glaubet/ daß es ſeiner Vortreffligkeit zu wieder ſey einmahl an ihn zu dencken. Dero- wegen weil er GOtt als den Urſprung alles Gu- ten nicht betrachtet/ ſo ſucht er auch ſein hoͤch- ſtes Gut nicht in einer/ aus einer vernuͤnfftigen Liebe anderer Menſchen herruͤhrenden und die- ſelbe wider wirckenden Gemuͤths-Ruhe/ ſondern ſeine unzeitige Weißheit treibet ſeine Vernunfft dahin/ daß er ſich beynahe ſelbſt fuͤr einen Gott achtet/ weil er befindet/ daß er edler ſey als die andern Geſchoͤpffe die um ihn ſind/ und ehret/ liebet/ vertrauet und fuͤrchtet niemand als ſich ſelbſten. Bey dieſer Bewandniß aber thut er zwar mehrentheils alles dasjenige/ was ein tu- gendhaffter Mann/ der die groͤſte Gluͤckſeeligkeit ſuchet/ oder beſitzet/ zuthun pfleget; aber weil er dieſes alles nicht aus Liebe zu andern Men- ſchen/ ſondern zu ſich ſelbſt thut/ indem ihm ſei- ne Vernunfft weiſet/ daß er ſich ſelbſt durch ein unvernuͤnfftiges Leben ungluͤcklich machen wuͤr- de; Als macht er ſich kein Gewiſſen/ heimlich andern Leuten zu ſchaden/ und wider die allge- meinen natuͤrlichen Grund-Regeln anzuſtoſſen/ entweder ſeine aͤuſſerliche Macht und Anſehen dadurch K 3

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/181>, abgerufen am 25.04.2024.