Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 4. Hauptst. von der vernünfftigen
trachtest nur nach der Vermischung des Lei-
bes/
umb durch eine Mittheilung dieses Geheim-
nisses destomehr Proben von der Zuneigung dei-
ner Geliebten zu haben/ und sie mehr als dich
zu vergnügen.

53.

Aber/ mein Freund/ frolocke nicht zu zeit-
lich/ und betriege dich selbst nicht. Diese Be-
trachtungen/ unter welchen wir die Begierde der
Leibes-Vermischung vor unvernünfftig und ver-
nünfftig ausgegeben haben/ sind nicht eitele Gril-
len einer Scholastischen Methaphysic, die du
nach deinen Gefallen in denen Gemüths-Neigun-
gen ordnen oder setzen köntest wie du woltest;
sondern sie sind von der Sache selbst und von
dem Unterscheid einer Bestialischen oder mensch-
lichen Begierde hergenommen; und derowe-
gen prüffe dich wohl/ ob deine Passion so be-
schaffen sey/
als du von ihr aus giebest/ oder ob
nicht darunter eine unvernunfftige Liebe sich
heimlich zu verbergen
suche.

54.

Findet sich diese deine Begierde allzu-
zeitig/
eher du noch das Gemuthe der Person
die du liebest/ recht genau untersuchet/ und ge-
prüffet/ ob man dich von Hertzen oder aus inter-
esse,
aus Hochachtang oder aus einen geilen
Absehen liebe/ zumahlen wenn die geliebte Per-
son mit äusserlicher Schönheit begabet ist/ so
betriegest du dich/ wenn du dafür hältest/ daß du
hauptsächlich deine Seele mit einer andern See-
le zuvereinigen suchest. Es ist die Schönheit o-

der

Das 4. Hauptſt. von der vernuͤnfftigen
trachteſt nur nach der Vermiſchung des Lei-
bes/
umb durch eine Mittheilung dieſes Geheim-
niſſes deſtomehr Proben von der Zuneigung dei-
ner Geliebten zu haben/ und ſie mehr als dich
zu vergnuͤgen.

53.

Aber/ mein Freund/ frolocke nicht zu zeit-
lich/ und betriege dich ſelbſt nicht. Dieſe Be-
trachtungen/ unter welchen wir die Begierde der
Leibes-Vermiſchung vor unvernuͤnfftig und ver-
nuͤnfftig ausgegeben haben/ ſind nicht eitele Gril-
len einer Scholaſtiſchen Methaphyſic, die du
nach deinen Gefallen in denen Gemuͤths-Neigun-
gen ordnen oder ſetzen koͤnteſt wie du wolteſt;
ſondern ſie ſind von der Sache ſelbſt und von
dem Unterſcheid einer Beſtialiſchen oder menſch-
lichen Begierde hergenommen; und derowe-
gen pruͤffe dich wohl/ ob deine Paſſion ſo be-
ſchaffen ſey/
als du von ihr aus giebeſt/ oder ob
nicht darunter eine unvernůnfftige Liebe ſich
heimlich zu verbergen
ſuche.

54.

Findet ſich dieſe deine Begierde allzu-
zeitig/
eher du noch das Gemůthe der Perſon
die du liebeſt/ recht genau unterſuchet/ und ge-
pruͤffet/ ob man dich von Hertzen oder aus inter-
eſſe,
aus Hochachtang oder aus einen geilen
Abſehen liebe/ zumahlen wenn die geliebte Per-
ſon mit aͤuſſerlicher Schoͤnheit begabet iſt/ ſo
betriegeſt du dich/ wenn du dafuͤr haͤlteſt/ daß du
hauptſaͤchlich deine Seele mit einer andern See-
le zuvereinigen ſucheſt. Es iſt die Schoͤnheit o-

der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0214" n="182"/><fw place="top" type="header">Das 4. Haupt&#x017F;t. von der vernu&#x0364;nfftigen</fw><lb/>
trachte&#x017F;t nur nach der <hi rendition="#fr">Vermi&#x017F;chung des Lei-<lb/>
bes/</hi> umb durch eine Mittheilung die&#x017F;es Geheim-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;es de&#x017F;tomehr <hi rendition="#fr">Proben</hi> von der Zuneigung dei-<lb/>
ner Geliebten zu haben/ und &#x017F;ie mehr als dich<lb/><hi rendition="#fr">zu vergnu&#x0364;gen.</hi></p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>53.</head>
            <p>Aber/ mein Freund/ frolocke nicht zu zeit-<lb/>
lich/ und betriege dich &#x017F;elb&#x017F;t nicht. Die&#x017F;e Be-<lb/>
trachtungen/ unter welchen wir die Begierde der<lb/>
Leibes-Vermi&#x017F;chung vor unvernu&#x0364;nfftig und ver-<lb/>
nu&#x0364;nfftig ausgegeben haben/ &#x017F;ind nicht eitele Gril-<lb/>
len einer <hi rendition="#aq">Schola&#x017F;ti</hi>&#x017F;chen <hi rendition="#aq">Methaphy&#x017F;ic,</hi> die du<lb/>
nach deinen Gefallen in denen Gemu&#x0364;ths-Neigun-<lb/>
gen ordnen oder &#x017F;etzen ko&#x0364;nte&#x017F;t wie du wolte&#x017F;t;<lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;ie &#x017F;ind von der Sache &#x017F;elb&#x017F;t und von<lb/>
dem Unter&#x017F;cheid einer Be&#x017F;tiali&#x017F;chen oder men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Begierde hergenommen; und derowe-<lb/>
gen <hi rendition="#fr">pru&#x0364;ffe dich wohl/ ob deine</hi> <hi rendition="#aq">Pa&#x017F;&#x017F;ion</hi> <hi rendition="#fr">&#x017F;o be-<lb/>
&#x017F;chaffen &#x017F;ey/</hi> als du von ihr aus giebe&#x017F;t/ oder ob<lb/>
nicht darunter eine <hi rendition="#fr">unvern&#x016F;nfftige Liebe &#x017F;ich<lb/>
heimlich zu verbergen</hi> &#x017F;uche.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>54.</head>
            <p>Findet &#x017F;ich die&#x017F;e deine Begierde <hi rendition="#fr">allzu-<lb/>
zeitig/</hi> eher du noch <hi rendition="#fr">das Gem&#x016F;the</hi> der Per&#x017F;on<lb/>
die du liebe&#x017F;t/ recht genau unter&#x017F;uchet/ und ge-<lb/>
pru&#x0364;ffet/ ob man dich von Hertzen oder aus <hi rendition="#aq">inter-<lb/>
e&#x017F;&#x017F;e,</hi> aus Hochachtang oder aus einen geilen<lb/>
Ab&#x017F;ehen liebe/ zumahlen wenn die geliebte Per-<lb/>
&#x017F;on mit a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlicher <hi rendition="#fr">Scho&#x0364;nheit</hi> begabet i&#x017F;t/ &#x017F;o<lb/>
betriege&#x017F;t du dich/ wenn du dafu&#x0364;r ha&#x0364;lte&#x017F;t/ daß du<lb/>
haupt&#x017F;a&#x0364;chlich deine Seele mit einer andern See-<lb/>
le zuvereinigen &#x017F;uche&#x017F;t. Es i&#x017F;t die Scho&#x0364;nheit o-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0214] Das 4. Hauptſt. von der vernuͤnfftigen trachteſt nur nach der Vermiſchung des Lei- bes/ umb durch eine Mittheilung dieſes Geheim- niſſes deſtomehr Proben von der Zuneigung dei- ner Geliebten zu haben/ und ſie mehr als dich zu vergnuͤgen. 53. Aber/ mein Freund/ frolocke nicht zu zeit- lich/ und betriege dich ſelbſt nicht. Dieſe Be- trachtungen/ unter welchen wir die Begierde der Leibes-Vermiſchung vor unvernuͤnfftig und ver- nuͤnfftig ausgegeben haben/ ſind nicht eitele Gril- len einer Scholaſtiſchen Methaphyſic, die du nach deinen Gefallen in denen Gemuͤths-Neigun- gen ordnen oder ſetzen koͤnteſt wie du wolteſt; ſondern ſie ſind von der Sache ſelbſt und von dem Unterſcheid einer Beſtialiſchen oder menſch- lichen Begierde hergenommen; und derowe- gen pruͤffe dich wohl/ ob deine Paſſion ſo be- ſchaffen ſey/ als du von ihr aus giebeſt/ oder ob nicht darunter eine unvernůnfftige Liebe ſich heimlich zu verbergen ſuche. 54. Findet ſich dieſe deine Begierde allzu- zeitig/ eher du noch das Gemůthe der Perſon die du liebeſt/ recht genau unterſuchet/ und ge- pruͤffet/ ob man dich von Hertzen oder aus inter- eſſe, aus Hochachtang oder aus einen geilen Abſehen liebe/ zumahlen wenn die geliebte Per- ſon mit aͤuſſerlicher Schoͤnheit begabet iſt/ ſo betriegeſt du dich/ wenn du dafuͤr haͤlteſt/ daß du hauptſaͤchlich deine Seele mit einer andern See- le zuvereinigen ſucheſt. Es iſt die Schoͤnheit o- der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/214
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/214>, abgerufen am 29.03.2024.