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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Liebe anderer Menschen überhaupt.
vernünfftigen Liebe mehr unter verheyratheten
und unverheyratheten Personen/ als unter diesen
klaren und deutlichen Regeln suchet/ und solcher
gestalt alle Liebe unverheyratheter Personen
unterschiedenen Geschlechts für unzuläßlich/ alle
Liebe aber Mannes und Weibes für zuläßlich
und vernünfftig ausgiebet/ da doch unverheyra-
thete Personnen/ wenn sie die Gesetze nicht über-
treten/ und die Vrreinigung der Seelen haupt-
sächlich intendiren/ einander gar vernünfftig lie-
ben können/ von denen verheyratheten aber es lei-
der! die allgemeine Erfahrung bezeuget/ daß viel
Bestialische Lieben von ihnen verübet werden/
und ein vernünfftiger Mann/ der die allgemeine
Boßheit ein wenig kennen lernen/ nicht ungegrün-
deten Verdacht/ überkömmet/ daß es zuweilen in
einen allgemeinen Huhrhause nicht so Bestialisch
als in denen Ehe-Betten vernünfftig und tugend-
hafft seyn wollender Menschen herzugehen pflege.

60.

Nachdem wir also bißhero verhoffentlich
deutlich gewiesen/ worinnen die vernünfftige Liebe
des Menschen bestehe/ wird es nunmehro nicht
schwehr seyn/ darzuthun/ das die vernünfftige
Liebe anderer Menschen das eintzige Mittel
sey zu der wahren Gemüths-Ruhe zu gelan-
gen.
Denn dieses weiset nicht alleine dasjeni-
ge/ was wir allbereit oben von der Natur des
Menschen
bewiesen haben/ daß er ohne einer
friedlichen Gesellschafft nicht vergnügt leben kön-
ne/ und daß die Gemüths-Ruhe stetswehrend

neue

Liebe anderer Menſchen uͤberhaupt.
vernuͤnfftigen Liebe mehr unter verheyratheten
und unverheyratheten Perſonen/ als unter dieſen
klaren und deutlichen Regeln ſuchet/ und ſolcher
geſtalt alle Liebe unverheyratheter Perſonen
unterſchiedenen Geſchlechts fuͤr unzulaͤßlich/ alle
Liebe aber Mannes und Weibes fuͤr zulaͤßlich
und vernuͤnfftig ausgiebet/ da doch unverheyra-
thete Perſonnen/ wenn ſie die Geſetze nicht uͤber-
treten/ und die Vrreinigung der Seelen haupt-
ſaͤchlich intendiren/ einander gar vernuͤnfftig lie-
ben koͤnnen/ von denen verheyratheten aber es lei-
der! die allgemeine Erfahrung bezeuget/ daß viel
Beſtialiſche Lieben von ihnen veruͤbet werden/
und ein vernuͤnfftiger Mann/ der die allgemeine
Boßheit ein wenig kennen lernen/ nicht ungegruͤn-
deten Verdacht/ uͤberkoͤmmet/ daß es zuweilen in
einen allgemeinen Huhrhauſe nicht ſo Beſtialiſch
als in denen Ehe-Betten vernuͤnfftig und tugend-
hafft ſeyn wollender Menſchen herzugehen pflege.

60.

Nachdem wir alſo bißhero verhoffentlich
deutlich gewieſen/ worinnen die vernuͤnfftige Liebe
des Menſchen beſtehe/ wird es nunmehro nicht
ſchwehr ſeyn/ darzuthun/ das die vernuͤnfftige
Liebe anderer Menſchen das eintzige Mittel
ſey zu der wahren Gemuͤths-Ruhe zu gelan-
gen.
Denn dieſes weiſet nicht alleine dasjeni-
ge/ was wir allbereit oben von der Natur des
Menſchen
bewieſen haben/ daß er ohne einer
friedlichen Geſellſchafft nicht vergnuͤgt leben koͤn-
ne/ und daß die Gemuͤths-Ruhe ſtetswehrend

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[187/0219] Liebe anderer Menſchen uͤberhaupt. vernuͤnfftigen Liebe mehr unter verheyratheten und unverheyratheten Perſonen/ als unter dieſen klaren und deutlichen Regeln ſuchet/ und ſolcher geſtalt alle Liebe unverheyratheter Perſonen unterſchiedenen Geſchlechts fuͤr unzulaͤßlich/ alle Liebe aber Mannes und Weibes fuͤr zulaͤßlich und vernuͤnfftig ausgiebet/ da doch unverheyra- thete Perſonnen/ wenn ſie die Geſetze nicht uͤber- treten/ und die Vrreinigung der Seelen haupt- ſaͤchlich intendiren/ einander gar vernuͤnfftig lie- ben koͤnnen/ von denen verheyratheten aber es lei- der! die allgemeine Erfahrung bezeuget/ daß viel Beſtialiſche Lieben von ihnen veruͤbet werden/ und ein vernuͤnfftiger Mann/ der die allgemeine Boßheit ein wenig kennen lernen/ nicht ungegruͤn- deten Verdacht/ uͤberkoͤmmet/ daß es zuweilen in einen allgemeinen Huhrhauſe nicht ſo Beſtialiſch als in denen Ehe-Betten vernuͤnfftig und tugend- hafft ſeyn wollender Menſchen herzugehen pflege. 60. Nachdem wir alſo bißhero verhoffentlich deutlich gewieſen/ worinnen die vernuͤnfftige Liebe des Menſchen beſtehe/ wird es nunmehro nicht ſchwehr ſeyn/ darzuthun/ das die vernuͤnfftige Liebe anderer Menſchen das eintzige Mittel ſey zu der wahren Gemuͤths-Ruhe zu gelan- gen. Denn dieſes weiſet nicht alleine dasjeni- ge/ was wir allbereit oben von der Natur des Menſchen bewieſen haben/ daß er ohne einer friedlichen Geſellſchafft nicht vergnuͤgt leben koͤn- ne/ und daß die Gemuͤths-Ruhe ſtetswehrend neue

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/219>, abgerufen am 28.03.2024.