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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Liebe anderer Menschen.
derer Mittheilung ihm nicht sauer ankömmt
beyzustehen/ und einen Gefallen zu erwei-
sen.
Z. e. wenn ich vergönne/ daß man bey mei-
nem Liecht ein ander Liecht anzünde/ aus meinen
Brunnen Wasser schöpffe/ in meinen Garten
spatzieren gehe/ daß ich mein Buch einem andern
leihe/ einem Jrrenden den rechten Weg zeige/
daß ich von meinen Uberftuß kleine Allmosen ge-
be/ u. s. w.

22.

Alle diese Dinge sind so beschaffeu/ daß
ein jeder Mensch/ er sey so mächtig/ tugendhafft/
weise/ vermögend als er wolle/ dieselben oder de-
rer etliche von nöthen habe; und ob es schon ge-
wiß ist/ daß er derselbigen in der That von allen
Menschen nicht erfordern werde/ oder daß alle
Menschen in der That dieselbigen nicht von ihm
fordern werden/ so weiß er doch nicht wer dieje-
nigen künfftig seyn möchten/ derer Hülffe er/ oder
sie der seinigen in diesen Stück von nöthen haben
möchten; massen denn der allerelendeste Bet-
ler oder ein Kerl der jetzo in
Japan ist/ in et-
lichen Jahren heraus kommen und mir einen der-
gleichen gefallen erweisen kan. Und dannen-
hero erfordert die Gleichheit der menschlichen
Dürfftigkeit/ daß ein jeder einem jeden derglei-
chen Dienste erweise.

23.

Es sind aber dieselbigen an sich selbsten
so beschaffen/ daß weil sie in denen Dingen be-
stehen/ die man nicht hoch achtet/ oder die einem
nicht sauer ankommen/ man auch die Leistung

der-

Liebe anderer Menſchen.
derer Mittheilung ihm nicht ſauer ankoͤmmt
beyzuſtehen/ und einen Gefallen zu erwei-
ſen.
Z. e. wenn ich vergoͤnne/ daß man bey mei-
nem Liecht ein ander Liecht anzuͤnde/ aus meinen
Brunnen Waſſer ſchoͤpffe/ in meinen Garten
ſpatzieren gehe/ daß ich mein Buch einem andern
leihe/ einem Jrrenden den rechten Weg zeige/
daß ich von meinen Uberftuß kleine Allmoſen ge-
be/ u. ſ. w.

22.

Alle dieſe Dinge ſind ſo beſchaffeu/ daß
ein jeder Menſch/ er ſey ſo maͤchtig/ tugendhafft/
weiſe/ vermoͤgend als er wolle/ dieſelben oder de-
rer etliche von noͤthen habe; und ob es ſchon ge-
wiß iſt/ daß er derſelbigen in der That von allen
Menſchen nicht erfordern werde/ oder daß alle
Menſchen in der That dieſelbigen nicht von ihm
fordern werden/ ſo weiß er doch nicht wer dieje-
nigen kuͤnfftig ſeyn moͤchten/ derer Huͤlffe er/ oder
ſie der ſeinigen in dieſen Stuͤck von noͤthen haben
moͤchten; maſſen denn der allerelendeſte Bet-
ler oder ein Kerl der jetzo in
Japan iſt/ in et-
lichen Jahren heraus kommen und mir einen der-
gleichen gefallen erweiſen kan. Und dannen-
hero erfordert die Gleichheit der menſchlichen
Duͤrfftigkeit/ daß ein jeder einem jeden derglei-
chen Dienſte erweiſe.

23.

Es ſind aber dieſelbigen an ſich ſelbſten
ſo beſchaffen/ daß weil ſie in denen Dingen be-
ſtehen/ die man nicht hoch achtet/ oder die einem
nicht ſauer ankommen/ man auch die Leiſtung

der-
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[209[207]/0239] Liebe anderer Menſchen. derer Mittheilung ihm nicht ſauer ankoͤmmt beyzuſtehen/ und einen Gefallen zu erwei- ſen. Z. e. wenn ich vergoͤnne/ daß man bey mei- nem Liecht ein ander Liecht anzuͤnde/ aus meinen Brunnen Waſſer ſchoͤpffe/ in meinen Garten ſpatzieren gehe/ daß ich mein Buch einem andern leihe/ einem Jrrenden den rechten Weg zeige/ daß ich von meinen Uberftuß kleine Allmoſen ge- be/ u. ſ. w. 22. Alle dieſe Dinge ſind ſo beſchaffeu/ daß ein jeder Menſch/ er ſey ſo maͤchtig/ tugendhafft/ weiſe/ vermoͤgend als er wolle/ dieſelben oder de- rer etliche von noͤthen habe; und ob es ſchon ge- wiß iſt/ daß er derſelbigen in der That von allen Menſchen nicht erfordern werde/ oder daß alle Menſchen in der That dieſelbigen nicht von ihm fordern werden/ ſo weiß er doch nicht wer dieje- nigen kuͤnfftig ſeyn moͤchten/ derer Huͤlffe er/ oder ſie der ſeinigen in dieſen Stuͤck von noͤthen haben moͤchten; maſſen denn der allerelendeſte Bet- ler oder ein Kerl der jetzo in Japan iſt/ in et- lichen Jahren heraus kommen und mir einen der- gleichen gefallen erweiſen kan. Und dannen- hero erfordert die Gleichheit der menſchlichen Duͤrfftigkeit/ daß ein jeder einem jeden derglei- chen Dienſte erweiſe. 23. Es ſind aber dieſelbigen an ſich ſelbſten ſo beſchaffen/ daß weil ſie in denen Dingen be- ſtehen/ die man nicht hoch achtet/ oder die einem nicht ſauer ankommen/ man auch die Leiſtung der-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 209[207]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/239>, abgerufen am 28.03.2024.