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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 5. Hauptst. von der allgemeinen
ticular Gesetze der Menschen zu den Wesen derer
pactorum erfordern. Jedoch gibt es kürtzlich die
gesunde Vernunfft/ daß dasjenige eigentlich für
ein zu der Tugend der Warhafftigkeit-gehöriges
Versprechen zu halten sey/ wenn ein Mensch
mit Wissen und Willen dem andern das jeni-
ge was in seinem Vermögen ist zu geben oder
zu thun zugesaget hat.

39.

Solchergestalt aber ist gantz offenbahr/
daß man dasjenige für keine Treubrüchigkeit
halten könne/ wenn man demjenigen/ der durch
eine offenbahrlich unrechte Gewalt uns zur
Zusage gezwungen hat/
die Leistung dessen
was man ihm auff diese Weise versprochen hat/
versaget/ wiewohl die Gelehrten in diesem Stück
sehr unterschiedener und wiederwärtiger Mey-
nung zu seyn pflegen.

40.

Der berümte Grotius ist zwar der
Meinung/ als ob aus einer dergleichen Zusage
der versprechende Theil gehalten sey/ sein Ver-
sprechen zu erfüllen/ weil die ihm eingeprägte
Furcht nicht verhindere/ daß man nicht von ihm
sagen könne/ er habe sein Versprechen nicht mit
Wissen und Willen gethan/ hingegentheil sey
aber auch der Gewaltthätiger verbunden/ dem
jenigen/ so Gewalt gelitten/ die dißfalls ausgepre-
ste Sache wiederum zuzustellen/ weil er freylich
durch die zugefügte Gewalt ihn gröblich beleidi-
get habe/ und dannenhero ihm billig dieserwe-
gen satisfaction zu geben schuldig sey. Von

wel-

Das 5. Hauptſt. von der allgemeinen
ticular Geſetze der Menſchen zu den Weſen derer
pactorum erfordern. Jedoch gibt es kuͤrtzlich die
geſunde Vernunfft/ daß dasjenige eigentlich fuͤr
ein zu der Tugend der Warhafftigkeit-gehoͤriges
Verſprechen zu halten ſey/ wenn ein Menſch
mit Wiſſen und Willen dem andern das jeni-
ge was in ſeinem Vermoͤgen iſt zu geben oder
zu thun zugeſaget hat.

39.

Solchergeſtalt aber iſt gantz offenbahr/
daß man dasjenige fuͤr keine Treubruͤchigkeit
halten koͤnne/ wenn man demjenigen/ der durch
eine offenbahrlich unrechte Gewalt uns zur
Zuſage gezwungen hat/
die Leiſtung deſſen
was man ihm auff dieſe Weiſe verſprochen hat/
verſaget/ wiewohl die Gelehrten in dieſem Stuͤck
ſehr unterſchiedener und wiederwaͤrtiger Mey-
nung zu ſeyn pflegen.

40.

Der beruͤmte Grotius iſt zwar der
Meinung/ als ob aus einer dergleichen Zuſage
der verſprechende Theil gehalten ſey/ ſein Ver-
ſprechen zu erfuͤllen/ weil die ihm eingepraͤgte
Furcht nicht verhindere/ daß man nicht von ihm
ſagen koͤnne/ er habe ſein Verſprechen nicht mit
Wiſſen und Willen gethan/ hingegentheil ſey
aber auch der Gewaltthaͤtiger verbunden/ dem
jenigen/ ſo Gewalt gelitten/ die dißfalls ausgepre-
ſte Sache wiederum zuzuſtellen/ weil er freylich
durch die zugefuͤgte Gewalt ihn groͤblich beleidi-
get habe/ und dannenhero ihm billig dieſerwe-
gen ſatisfaction zu geben ſchuldig ſey. Von

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[218[216]/0248] Das 5. Hauptſt. von der allgemeinen ticular Geſetze der Menſchen zu den Weſen derer pactorum erfordern. Jedoch gibt es kuͤrtzlich die geſunde Vernunfft/ daß dasjenige eigentlich fuͤr ein zu der Tugend der Warhafftigkeit-gehoͤriges Verſprechen zu halten ſey/ wenn ein Menſch mit Wiſſen und Willen dem andern das jeni- ge was in ſeinem Vermoͤgen iſt zu geben oder zu thun zugeſaget hat. 39. Solchergeſtalt aber iſt gantz offenbahr/ daß man dasjenige fuͤr keine Treubruͤchigkeit halten koͤnne/ wenn man demjenigen/ der durch eine offenbahrlich unrechte Gewalt uns zur Zuſage gezwungen hat/ die Leiſtung deſſen was man ihm auff dieſe Weiſe verſprochen hat/ verſaget/ wiewohl die Gelehrten in dieſem Stuͤck ſehr unterſchiedener und wiederwaͤrtiger Mey- nung zu ſeyn pflegen. 40. Der beruͤmte Grotius iſt zwar der Meinung/ als ob aus einer dergleichen Zuſage der verſprechende Theil gehalten ſey/ ſein Ver- ſprechen zu erfuͤllen/ weil die ihm eingepraͤgte Furcht nicht verhindere/ daß man nicht von ihm ſagen koͤnne/ er habe ſein Verſprechen nicht mit Wiſſen und Willen gethan/ hingegentheil ſey aber auch der Gewaltthaͤtiger verbunden/ dem jenigen/ ſo Gewalt gelitten/ die dißfalls ausgepre- ſte Sache wiederum zuzuſtellen/ weil er freylich durch die zugefuͤgte Gewalt ihn groͤblich beleidi- get habe/ und dannenhero ihm billig dieſerwe- gen ſatisfaction zu geben ſchuldig ſey. Von wel-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 218[216]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/248>, abgerufen am 28.03.2024.