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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Liebe aller Menschen.
44.

Unter denen übrigen beyden aber ist die
mittelste die beste.
Denn es ist offenbahr/
daß alle Verpflichtung und Schuldigkeit ur-
spünglich aus dem Willen des Gesetz-Ge-
bers herrühre/ und daß also auch das Verspre-
chen nur ein Mittel sey/ durch welches das Ge-
setz uns verpflichtet. Wer wolte aber nun wohl
sagen/ daß GOtt/ der so ernstlich verbietet/ daß
man dem andern keine Gewalt und Unrecht an-
thun solle/ dem Gewaltthäter einige Macht wol-
le zulassen/ aus einen solchen gewaltsamen Ver-
sprechen ein Recht zu erhalten/ und daß er den
gewaltleidenden Theil denjenigen zu gut/ der wi-
der das Gesetze gehandelt/ verbinden wolle.

45.

Solchergestalt aber kan man leichte auff
die Ursachen der dritten Meinung antwor-
ren.
Denn wenn der Gewaltthäter unrecht
thut/ indem er den andern zu den Versprechen
zwinget/ so thut er auch unrecht/ wenn er dieses
Versprechen acceptiret/ und daraus ein Recht
erlangen wil. So ist auch gantz nicht davor zu
halten/ daß der Gewaltleidende sich durch das
Versprechen seines Rechts/ allenfalls zu com-
pensi
ren/ begeben habe/ theils weil ohne dem die
Verzeihung seines Rechts nicht leichte praesumi-
ret werden/ und gantz kein Umstand hierbey
ist/ daraus man solches schliessen könte/ theils auch
weil aus obangeführter Ursache der Gewalt-
Thäter eben so wenig diese Verzeihung (wenn

sie
Liebe aller Menſchen.
44.

Unter denen uͤbrigen beyden aber iſt die
mittelſte die beſte.
Denn es iſt offenbahr/
daß alle Verpflichtung und Schuldigkeit ur-
ſpuͤnglich aus dem Willen des Geſetz-Ge-
bers herruͤhre/ und daß alſo auch das Verſpre-
chen nur ein Mittel ſey/ durch welches das Ge-
ſetz uns verpflichtet. Wer wolte aber nun wohl
ſagen/ daß GOtt/ der ſo ernſtlich verbietet/ daß
man dem andern keine Gewalt und Unrecht an-
thun ſolle/ dem Gewaltthaͤter einige Macht wol-
le zulaſſen/ aus einen ſolchen gewaltſamen Ver-
ſprechen ein Recht zu erhalten/ und daß er den
gewaltleidenden Theil denjenigen zu gut/ der wi-
der das Geſetze gehandelt/ verbinden wolle.

45.

Solchergeſtalt aber kan man leichte auff
die Urſachen der dritten Meinung antwor-
ren.
Denn wenn der Gewaltthaͤter unrecht
thut/ indem er den andern zu den Verſprechen
zwinget/ ſo thut er auch unrecht/ wenn er dieſes
Verſprechen acceptiret/ und daraus ein Recht
erlangen wil. So iſt auch gantz nicht davor zu
halten/ daß der Gewaltleidende ſich durch das
Verſprechen ſeines Rechts/ allenfalls zu com-
penſi
ren/ begeben habe/ theils weil ohne dem die
Verzeihung ſeines Rechts nicht leichte præſumi-
ret werden/ und gantz kein Umſtand hierbey
iſt/ daraus man ſolches ſchlieſſen koͤnte/ theils auch
weil aus obangefuͤhrter Urſache der Gewalt-
Thaͤter eben ſo wenig dieſe Verzeihung (wenn

ſie
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[221[219]/0251] Liebe aller Menſchen. 44. Unter denen uͤbrigen beyden aber iſt die mittelſte die beſte. Denn es iſt offenbahr/ daß alle Verpflichtung und Schuldigkeit ur- ſpuͤnglich aus dem Willen des Geſetz-Ge- bers herruͤhre/ und daß alſo auch das Verſpre- chen nur ein Mittel ſey/ durch welches das Ge- ſetz uns verpflichtet. Wer wolte aber nun wohl ſagen/ daß GOtt/ der ſo ernſtlich verbietet/ daß man dem andern keine Gewalt und Unrecht an- thun ſolle/ dem Gewaltthaͤter einige Macht wol- le zulaſſen/ aus einen ſolchen gewaltſamen Ver- ſprechen ein Recht zu erhalten/ und daß er den gewaltleidenden Theil denjenigen zu gut/ der wi- der das Geſetze gehandelt/ verbinden wolle. 45. Solchergeſtalt aber kan man leichte auff die Urſachen der dritten Meinung antwor- ren. Denn wenn der Gewaltthaͤter unrecht thut/ indem er den andern zu den Verſprechen zwinget/ ſo thut er auch unrecht/ wenn er dieſes Verſprechen acceptiret/ und daraus ein Recht erlangen wil. So iſt auch gantz nicht davor zu halten/ daß der Gewaltleidende ſich durch das Verſprechen ſeines Rechts/ allenfalls zu com- penſiren/ begeben habe/ theils weil ohne dem die Verzeihung ſeines Rechts nicht leichte præſumi- ret werden/ und gantz kein Umſtand hierbey iſt/ daraus man ſolches ſchlieſſen koͤnte/ theils auch weil aus obangefuͤhrter Urſache der Gewalt- Thaͤter eben ſo wenig dieſe Verzeihung (wenn ſie

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 221[219]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/251>, abgerufen am 28.03.2024.