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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 6. H. von der absonderlichen
anzutreffen ist/ wird sie bey einen vernünfftigen
Menschen ohne einiges Wort und andere anrei-
tzende Kenn-Zeichen am allermeisten ausrichten.
Wer viel von seiner Liebe saget/ ist am wenigsten
verliebet/ und derjenige liebet am stärcksten/ der
seine Liebe durch die stumme Sorgfalt in der
That erweiset. Ja dieses ist es eben/ worauff
Hicaton beym Seneca zielet/ wenn er saget: Si
vis amari, ama.

33.

Ja sie ist auch höchst nothwendig/ so
gar daß ohne dieselbe auch die sonsten nachdrück-
lichsten und ungemeinesten Kenn-Zeichen/ der Lie-
be todt sind. Wo unser Schatz ist/ da muß auch
unser Hertz seyn/ und wo unser Hertz ist/ da müs-
sen auch unsere Augen seyn. Wer liebet/ der hat
ein Verlangen durch die Vereinigung eines an-
dern Hertzens seinen Mangel zu ersetzen. Wie
kan man aber etwas verlangen/ ohne an das ver-
langte stets zu gedencken? Wie kan man aber
daran gedencken/ wenn man die Gedancken wo
anders hat/ und nicht auff das geringste Thun
und Lassen der geliebten Person achtung giebt?

34.

Jndem ich von Augen rede/ wil ich zwar
die Augen des Leibes nicht gantz ausschliessen;
(massen nicht zu läugnen ist/ daß gleich wie diesel-
ben in der Erkäntniß der Wahrheit uns den grö-
sten Vortheil schaffen; also auch dieselbigen bey
gegenwärtiger Tugend sehr nothwendig seyn;
und ein Blinder also eines grosses Vortheils be-
raubet ist/ bey andern Liebe zu suchen/ und die sei-

nige

Das 6. H. von der abſonderlichen
anzutreffen iſt/ wird ſie bey einen vernuͤnfftigen
Menſchen ohne einiges Wort und andere anrei-
tzende Kenn-Zeichen am allermeiſten ausrichten.
Wer viel von ſeiner Liebe ſaget/ iſt am wenigſten
verliebet/ und derjenige liebet am ſtaͤrckſten/ der
ſeine Liebe durch die ſtumme Sorgfalt in der
That erweiſet. Ja dieſes iſt es eben/ worauff
Hicaton beym Seneca zielet/ wenn er ſaget: Si
vis amari, ama.

33.

Ja ſie iſt auch hoͤchſt nothwendig/ ſo
gar daß ohne dieſelbe auch die ſonſten nachdruͤck-
lichſten und ungemeineſten Kenn-Zeichen/ der Lie-
be todt ſind. Wo unſer Schatz iſt/ da muß auch
unſer Hertz ſeyn/ und wo unſer Hertz iſt/ da muͤſ-
ſen auch unſere Augen ſeyn. Wer liebet/ der hat
ein Verlangen durch die Vereinigung eines an-
dern Hertzens ſeinen Mangel zu erſetzen. Wie
kan man aber etwas verlangen/ ohne an das ver-
langte ſtets zu gedencken? Wie kan man aber
daran gedencken/ wenn man die Gedancken wo
anders hat/ und nicht auff das geringſte Thun
und Laſſen der geliebten Perſon achtung giebt?

34.

Jndem ich von Augen rede/ wil ich zwar
die Augen des Leibes nicht gantz ausſchlieſſen;
(maſſen nicht zu laͤugnen iſt/ daß gleich wie dieſel-
ben in der Erkaͤntniß der Wahrheit uns den groͤ-
ſten Vortheil ſchaffen; alſo auch dieſelbigen bey
gegenwaͤrtiger Tugend ſehr nothwendig ſeyn;
und ein Blinder alſo eines groſſes Vortheils be-
raubet iſt/ bey andern Liebe zu ſuchen/ und die ſei-

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[274[270]/0302] Das 6. H. von der abſonderlichen anzutreffen iſt/ wird ſie bey einen vernuͤnfftigen Menſchen ohne einiges Wort und andere anrei- tzende Kenn-Zeichen am allermeiſten ausrichten. Wer viel von ſeiner Liebe ſaget/ iſt am wenigſten verliebet/ und derjenige liebet am ſtaͤrckſten/ der ſeine Liebe durch die ſtumme Sorgfalt in der That erweiſet. Ja dieſes iſt es eben/ worauff Hicaton beym Seneca zielet/ wenn er ſaget: Si vis amari, ama. 33. Ja ſie iſt auch hoͤchſt nothwendig/ ſo gar daß ohne dieſelbe auch die ſonſten nachdruͤck- lichſten und ungemeineſten Kenn-Zeichen/ der Lie- be todt ſind. Wo unſer Schatz iſt/ da muß auch unſer Hertz ſeyn/ und wo unſer Hertz iſt/ da muͤſ- ſen auch unſere Augen ſeyn. Wer liebet/ der hat ein Verlangen durch die Vereinigung eines an- dern Hertzens ſeinen Mangel zu erſetzen. Wie kan man aber etwas verlangen/ ohne an das ver- langte ſtets zu gedencken? Wie kan man aber daran gedencken/ wenn man die Gedancken wo anders hat/ und nicht auff das geringſte Thun und Laſſen der geliebten Perſon achtung giebt? 34. Jndem ich von Augen rede/ wil ich zwar die Augen des Leibes nicht gantz ausſchlieſſen; (maſſen nicht zu laͤugnen iſt/ daß gleich wie dieſel- ben in der Erkaͤntniß der Wahrheit uns den groͤ- ſten Vortheil ſchaffen; alſo auch dieſelbigen bey gegenwaͤrtiger Tugend ſehr nothwendig ſeyn; und ein Blinder alſo eines groſſes Vortheils be- raubet iſt/ bey andern Liebe zu ſuchen/ und die ſei- nige

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 274[270]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/302>, abgerufen am 24.04.2024.