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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 6. Hauptst. von der absonderlichen
betrogen haben/ wenn wir gemeinet/ er wäre so
tugendliebend als wir.

45.

Und gewiß die Leute/ die sich gegen die ihnen
geleisteten kleinen Gefälligkeiten so unbescheiden
erweisen/
handeln noch irraisonabler als die/ die
denen/ derer Freundschafft sie suchen/ dieselbige
nicht bezeigen. Diese
scheuen sich nichts umb
das kostbarste zu hazardiren; aber jene wollen
für das kostbarste so man ihnen anbietet nicht ein-
mahl nichts zur Bezahlung geben. Denn was
ist doch die blosse Erkäntligkeit/ die man von ihnen
fordert/ anders als nichts?

46.

Doch sind diejenigen noch ungeschickter
zur Liebe/ die dergleichen sorgfältige Gefälligkei-
ten entweder gantz und gar nicht annehmen
wollen/ oder dieselbigen alsofort erwiedern.
Jene
achten uns gleichsam entweder zur abson-
derlichen Liebe untüchtig/ oder geben zu verstehen/
ihre Liebe sey viel zu kostbar/ als daß wir sie mit
solchen Dingen solten erhandeln können. Diese
thun fast ein gleiches/ ausser daß jene unser nichts
nicht annehmen wollen/ diese aber suchen unser
nichts mit einem gleichen nichts zu bezahlen/ das
aber noch unzehlich mahl geringer ist/ als das
nichts der Erkäntligkeit. Und gewiß man kan ei-
nem liebreichen Gemüthe keine grössere Be-
schimpffung anthun/ als wenn man seine
Sorgfältigkeit gar nicht annehmen wil/
und
wird er einen solchen Menschen mehr unwürdig
seiner Liebe erkennen als wenn er sein gröster Feind

wäre;

Das 6. Hauptſt. von der abſonderlichen
betrogen haben/ wenn wir gemeinet/ er waͤre ſo
tugendliebend als wir.

45.

Und gewiß die Leute/ die ſich gegen die ihnen
geleiſteten kleinen Gefaͤlligkeiten ſo unbeſcheiden
erweiſen/
handeln noch irraiſonabler als die/ die
denen/ derer Freundſchafft ſie ſuchen/ dieſelbige
nicht bezeigen. Dieſe
ſcheuen ſich nichts umb
das koſtbarſte zu hazardiren; aber jene wollen
fuͤr das koſtbarſte ſo man ihnen anbietet nicht ein-
mahl nichts zur Bezahlung geben. Denn was
iſt doch die bloſſe Erkaͤntligkeit/ die man von ihnen
fordert/ anders als nichts?

46.

Doch ſind diejenigen noch ungeſchickter
zur Liebe/ die dergleichen ſorgfaͤltige Gefaͤlligkei-
ten entweder gantz und gar nicht annehmen
wollen/ oder dieſelbigen alſofort erwiedern.
Jene
achten uns gleichſam entweder zur abſon-
derlichen Liebe untuͤchtig/ oder geben zu verſtehen/
ihre Liebe ſey viel zu koſtbar/ als daß wir ſie mit
ſolchen Dingen ſolten erhandeln koͤnnen. Dieſe
thun faſt ein gleiches/ auſſer daß jene unſer nichts
nicht annehmen wollen/ dieſe aber ſuchen unſer
nichts mit einem gleichen nichts zu bezahlen/ das
aber noch unzehlich mahl geringer iſt/ als das
nichts der Erkaͤntligkeit. Und gewiß man kan ei-
nem liebreichen Gemuͤthe keine groͤſſere Be-
ſchimpffung anthun/ als wenn man ſeine
Sorgfaͤltigkeit gar nicht annehmen wil/
und
wird er einen ſolchen Menſchen mehr unwuͤrdig
ſeiner Liebe erkennen als wenn er ſein groͤſter Feind

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[280[276]/0308] Das 6. Hauptſt. von der abſonderlichen betrogen haben/ wenn wir gemeinet/ er waͤre ſo tugendliebend als wir. 45. Und gewiß die Leute/ die ſich gegen die ihnen geleiſteten kleinen Gefaͤlligkeiten ſo unbeſcheiden erweiſen/ handeln noch irraiſonabler als die/ die denen/ derer Freundſchafft ſie ſuchen/ dieſelbige nicht bezeigen. Dieſe ſcheuen ſich nichts umb das koſtbarſte zu hazardiren; aber jene wollen fuͤr das koſtbarſte ſo man ihnen anbietet nicht ein- mahl nichts zur Bezahlung geben. Denn was iſt doch die bloſſe Erkaͤntligkeit/ die man von ihnen fordert/ anders als nichts? 46. Doch ſind diejenigen noch ungeſchickter zur Liebe/ die dergleichen ſorgfaͤltige Gefaͤlligkei- ten entweder gantz und gar nicht annehmen wollen/ oder dieſelbigen alſofort erwiedern. Jene achten uns gleichſam entweder zur abſon- derlichen Liebe untuͤchtig/ oder geben zu verſtehen/ ihre Liebe ſey viel zu koſtbar/ als daß wir ſie mit ſolchen Dingen ſolten erhandeln koͤnnen. Dieſe thun faſt ein gleiches/ auſſer daß jene unſer nichts nicht annehmen wollen/ dieſe aber ſuchen unſer nichts mit einem gleichen nichts zu bezahlen/ das aber noch unzehlich mahl geringer iſt/ als das nichts der Erkaͤntligkeit. Und gewiß man kan ei- nem liebreichen Gemuͤthe keine groͤſſere Be- ſchimpffung anthun/ als wenn man ſeine Sorgfaͤltigkeit gar nicht annehmen wil/ und wird er einen ſolchen Menſchen mehr unwuͤrdig ſeiner Liebe erkennen als wenn er ſein groͤſter Feind waͤre;

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 280[276]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/308>, abgerufen am 20.04.2024.