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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 7. H. von den unterschiedenen
über dessen Liebe wiederum eine ruhige Freude
bezeigt.

22.

(II) Ob es angenehmer sey/ in der
Liebe zu unterweisen/ oder unterwiesen zu
werden?
Diese Frage so ferne sie die vernünff-
tige Liebe angehet/ hat zweyerley Verstand. Ge-
het sie auff die gleiche Liebe/ so ist sie von der
vorigen nur mit Worten unterschieden/ und be-
deutet so dann unterweisen und unterwiesen wer-
den/ (welches beydes auff beyden Theilen in
gleicher Massen geschiehet) nichts als lieben und
geliebet werden. Sol sie aber von voriger Fra-
ge unterschieden seyn/ so müssen wir sie von der
ungleichen Liebe verstehen/ und heisset sie dem-
nach so dann so viel; Ob es ein grösseres Ver-
gnügen sey/ solche Personen zu lieben/ die in
der Tugend schon weiter
avanciret seyn/ als
wir/
und derer unterweisung oder Anfüh-
rung wir benötiget sind/ oder solche/ die gerin-
ger sind als wir/
und welche wir unterweisen
müssen/ wie sie sich in der vernünfftigen Liebe ver-
halten sollen?

23.

Es scheinet zwar wiederum/ daß ein Ver-
gnügen so empfindlich sey als das andere/

und daß die geringere Person/ wenn sie sich er-
freuet/ daß die vortrefflichere ihr zu Liebe sich er-
niedriget/ gleichsam zurücke gehet/ und sich ihr
gleich machet/ eigendlich zu reden weder ein grös-
seres noch kleineres Vergnügen empfinde/ als
die vortrefflichere/ wenn sie siehet/ daß die gerin-

gere

Das 7. H. von den unterſchiedenen
uͤber deſſen Liebe wiederum eine ruhige Freude
bezeigt.

22.

(II) Ob es angenehmer ſey/ in der
Liebe zu unterweiſen/ oder unterwieſen zu
werden?
Dieſe Frage ſo ferne ſie die vernuͤnff-
tige Liebe angehet/ hat zweyerley Verſtand. Ge-
het ſie auff die gleiche Liebe/ ſo iſt ſie von der
vorigen nur mit Worten unterſchieden/ und be-
deutet ſo dann unterweiſen und unterwieſen wer-
den/ (welches beydes auff beyden Theilen in
gleicher Maſſen geſchiehet) nichts als lieben und
geliebet werden. Sol ſie aber von voriger Fra-
ge unterſchieden ſeyn/ ſo muͤſſen wir ſie von der
ungleichen Liebe verſtehen/ und heiſſet ſie dem-
nach ſo dann ſo viel; Ob es ein groͤſſeres Ver-
gnuͤgen ſey/ ſolche Perſonen zu lieben/ die in
der Tugend ſchon weiter
avanciret ſeyn/ als
wir/
und derer unterweiſung oder Anfuͤh-
rung wir benoͤtiget ſind/ oder ſolche/ die gerin-
ger ſind als wir/
und welche wir unterweiſen
muͤſſen/ wie ſie ſich in der vernuͤnfftigen Liebe ver-
halten ſollen?

23.

Es ſcheinet zwar wiederum/ daß ein Ver-
gnuͤgen ſo empfindlich ſey als das andere/

und daß die geringere Perſon/ wenn ſie ſich er-
freuet/ daß die vortrefflichere ihr zu Liebe ſich er-
niedriget/ gleichſam zuruͤcke gehet/ und ſich ihr
gleich machet/ eigendlich zu reden weder ein groͤſ-
ſeres noch kleineres Vergnuͤgen empfinde/ als
die vortrefflichere/ wenn ſie ſiehet/ daß die gerin-

gere
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[328[324]/0356] Das 7. H. von den unterſchiedenen uͤber deſſen Liebe wiederum eine ruhige Freude bezeigt. 22. (II) Ob es angenehmer ſey/ in der Liebe zu unterweiſen/ oder unterwieſen zu werden? Dieſe Frage ſo ferne ſie die vernuͤnff- tige Liebe angehet/ hat zweyerley Verſtand. Ge- het ſie auff die gleiche Liebe/ ſo iſt ſie von der vorigen nur mit Worten unterſchieden/ und be- deutet ſo dann unterweiſen und unterwieſen wer- den/ (welches beydes auff beyden Theilen in gleicher Maſſen geſchiehet) nichts als lieben und geliebet werden. Sol ſie aber von voriger Fra- ge unterſchieden ſeyn/ ſo muͤſſen wir ſie von der ungleichen Liebe verſtehen/ und heiſſet ſie dem- nach ſo dann ſo viel; Ob es ein groͤſſeres Ver- gnuͤgen ſey/ ſolche Perſonen zu lieben/ die in der Tugend ſchon weiter avanciret ſeyn/ als wir/ und derer unterweiſung oder Anfuͤh- rung wir benoͤtiget ſind/ oder ſolche/ die gerin- ger ſind als wir/ und welche wir unterweiſen muͤſſen/ wie ſie ſich in der vernuͤnfftigen Liebe ver- halten ſollen? 23. Es ſcheinet zwar wiederum/ daß ein Ver- gnuͤgen ſo empfindlich ſey als das andere/ und daß die geringere Perſon/ wenn ſie ſich er- freuet/ daß die vortrefflichere ihr zu Liebe ſich er- niedriget/ gleichſam zuruͤcke gehet/ und ſich ihr gleich machet/ eigendlich zu reden weder ein groͤſ- ſeres noch kleineres Vergnuͤgen empfinde/ als die vortrefflichere/ wenn ſie ſiehet/ daß die gerin- gere

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 328[324]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/356>, abgerufen am 24.04.2024.