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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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in denen menschl. Gesellschafften.
heit vorzuziehen/ wiewohl sie alsdenn nichts
Unvernünfftiges begehen/ wenn sie diese Aufer-
ziehung/ andern Personen auftragen/ daferne
sie nur erkennen/ daß hierdurch die Ausbesserung
der Kinder ja so wohl oder besser als durch sie selbst
erhalten werden könne.

21.

Wenn denn dieser Endzweck völlig erhal-
ten ist/ und die Kinder zu einer der Eltern glei-
chen Tugend gebracht worden sind; so ist der
Vernunfft gar nicht zu wider/ daß hernach-
mahls zwischen denen Eltern und Kindern
eine so gleiche Liebe
entstehe/ als sonsten zwi-
schen zweyen Freunden/ die einander familiär
sind/ seyn kan. Denn wir haben schon oben ge-
dacht/ daß alle ungleiche vernünfftige Liebe da-
hin trachteu solle/ daß sie sich in eine gleiche Liebe
verwandele.

22.

Die Gesellschafft zwischen Herr und
Knecht/
muß auf beyden Theilen/ wenn sie ver-
nünfftig seyn sol/ also beschaffen seyn/ daß keines
von beyden das andere verachte/ oder auf einige
Weise dasselbige beleydige/ sondern sich Wech-
sels-Weise bescheiden und verträglich gegen
einander bezeigen/ auch dasjenige/ was sie einan-
der bey Anfang dieser Gesellschafft versprochen/
unverbrüchlich halten/ und hiernächft alle nur
möglichste Dienste der Leutseeligkeit einander
bezeigen/ auch die aus Schwachheit menschlicher
Natur sich dann und wann ereigneten Beleidi-
gungen mit Gedult vertragen; denn sonsten wür-

de

in denen menſchl. Geſellſchafften.
heit vorzuziehen/ wiewohl ſie alsdenn nichts
Unvernuͤnfftiges begehen/ wenn ſie dieſe Aufer-
ziehung/ andern Perſonen auftragen/ daferne
ſie nur erkennen/ daß hierdurch die Ausbeſſerung
der Kinder ja ſo wohl oder beſſer als durch ſie ſelbſt
erhalten werden koͤnne.

21.

Wenn denn dieſer Endzweck voͤllig erhal-
ten iſt/ und die Kinder zu einer der Eltern glei-
chen Tugend gebracht worden ſind; ſo iſt der
Vernunfft gar nicht zu wider/ daß hernach-
mahls zwiſchen denen Eltern und Kindern
eine ſo gleiche Liebe
entſtehe/ als ſonſten zwi-
ſchen zweyen Freunden/ die einander familiaͤr
ſind/ ſeyn kan. Denn wir haben ſchon oben ge-
dacht/ daß alle ungleiche vernuͤnfftige Liebe da-
hin trachteu ſolle/ daß ſie ſich in eine gleiche Liebe
verwandele.

22.

Die Geſellſchafft zwiſchen Herr und
Knecht/
muß auf beyden Theilen/ wenn ſie ver-
nuͤnfftig ſeyn ſol/ alſo beſchaffen ſeyn/ daß keines
von beyden das andere verachte/ oder auf einige
Weiſe daſſelbige beleydige/ ſondern ſich Wech-
ſels-Weiſe beſcheiden und vertraͤglich gegen
einander bezeigen/ auch dasjenige/ was ſie einan-
der bey Anfang dieſer Geſellſchafft verſprochen/
unverbruͤchlich halten/ und hiernaͤchft alle nur
moͤglichſte Dienſte der Leutſeeligkeit einander
bezeigen/ auch die aus Schwachheit menſchlicher
Natur ſich dann und wann ereigneten Beleidi-
gungen mit Gedult vertragen; deñ ſonſten wuͤr-

de
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[367[363]/0395] in denen menſchl. Geſellſchafften. heit vorzuziehen/ wiewohl ſie alsdenn nichts Unvernuͤnfftiges begehen/ wenn ſie dieſe Aufer- ziehung/ andern Perſonen auftragen/ daferne ſie nur erkennen/ daß hierdurch die Ausbeſſerung der Kinder ja ſo wohl oder beſſer als durch ſie ſelbſt erhalten werden koͤnne. 21. Wenn denn dieſer Endzweck voͤllig erhal- ten iſt/ und die Kinder zu einer der Eltern glei- chen Tugend gebracht worden ſind; ſo iſt der Vernunfft gar nicht zu wider/ daß hernach- mahls zwiſchen denen Eltern und Kindern eine ſo gleiche Liebe entſtehe/ als ſonſten zwi- ſchen zweyen Freunden/ die einander familiaͤr ſind/ ſeyn kan. Denn wir haben ſchon oben ge- dacht/ daß alle ungleiche vernuͤnfftige Liebe da- hin trachteu ſolle/ daß ſie ſich in eine gleiche Liebe verwandele. 22. Die Geſellſchafft zwiſchen Herr und Knecht/ muß auf beyden Theilen/ wenn ſie ver- nuͤnfftig ſeyn ſol/ alſo beſchaffen ſeyn/ daß keines von beyden das andere verachte/ oder auf einige Weiſe daſſelbige beleydige/ ſondern ſich Wech- ſels-Weiſe beſcheiden und vertraͤglich gegen einander bezeigen/ auch dasjenige/ was ſie einan- der bey Anfang dieſer Geſellſchafft verſprochen/ unverbruͤchlich halten/ und hiernaͤchft alle nur moͤglichſte Dienſte der Leutſeeligkeit einander bezeigen/ auch die aus Schwachheit menſchlicher Natur ſich dann und wann ereigneten Beleidi- gungen mit Gedult vertragen; deñ ſonſten wuͤr- de

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 367[363]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/395>, abgerufen am 25.04.2024.