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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 1. Hauptst. von der Gelahrheit
Vernunfft weiset/ daß allein diese letztern für
warhafftig gut zu achten/ jene aber vielmehr
böse
als gut sind.

19.

Denn weil alles/ was an dem gantzen Men-
schen ist/ wie wir jetzo erwehnet/ gut ist/ und weil
kein Wesen bestehen kan/ wo keine Existens
oder Daurung ist; so muß nothwendig alles
dasjenige/ was die Dauerung des gantzen o-
der eines theiles als den Grund alles Guten

ruiniret/ unter böse Dinge gehören/ und kan
man eine augenblickliche ob wohl sehr merckliche
Vermehrung der menschlichen Kräffte so wenig
für etwas gutes halten/ wenn in kurtzen eine Nie-
derreissung oder Beraubung der Kräffte darauff
folget; Als wenn man einen/ der ein mittel-
mäßiges Auskommen hätte/ eine Million vereh-
ren/ und wenn er nach Proportion derselben etli-
che wenige Tage seinen Staat eingerichtet hätte/
dieselbige nebst seinen vorigen Vermögen wie-
dernehmen/ und ihn an den Bettelstab bringen/
aber dabey bereden wolte/ was man ihm für eine
Gutthat bewiesen hätte.

20.

Und weil demnach/ wie wir bald hören
werden/ alle sehr empfindliche Vermehrung
des menschlichen Vermögens entweder der Dau-
erung des gantzen oder eines andern Vermögens
einen mercklichen Abbruch thut/ so ist dieselbe or-
dentlich für böse
und nicht gut zu achten.

21.

Hieraus folget nothwendig/ daß (1) alle
Dinge für gut oder böse zu halten/ nach dem die

Erhal-

Das 1. Hauptſt. von der Gelahrheit
Vernunfft weiſet/ daß allein dieſe letztern fuͤr
warhafftig gut zu achten/ jene aber vielmehr
boͤſe
als gut ſind.

19.

Denn weil alles/ was an dem gantzen Men-
ſchen iſt/ wie wir jetzo erwehnet/ gut iſt/ und weil
kein Weſen beſtehen kan/ wo keine Exiſtens
oder Daurung iſt; ſo muß nothwendig alles
dasjenige/ was die Dauerung des gantzen o-
der eines theiles als den Grund alles Guten

ruiniret/ unter boͤſe Dinge gehoͤren/ und kan
man eine augenblickliche ob wohl ſehr merckliche
Vermehrung der menſchlichen Kraͤffte ſo wenig
fuͤr etwas gutes halten/ wenn in kurtzen eine Nie-
derreiſſung oder Beraubung der Kraͤffte darauff
folget; Als wenn man einen/ der ein mittel-
maͤßiges Auskommen haͤtte/ eine Million vereh-
ren/ und wenn er nach Proportion derſelben etli-
che wenige Tage ſeinen Staat eingerichtet haͤtte/
dieſelbige nebſt ſeinen vorigen Vermoͤgen wie-
dernehmen/ und ihn an den Bettelſtab bringen/
aber dabey bereden wolte/ was man ihm fuͤr eine
Gutthat bewieſen haͤtte.

20.

Und weil demnach/ wie wir bald hoͤren
werden/ alle ſehr empfindliche Vermehrung
des menſchlichen Veꝛmoͤgens entweder der Dau-
erung des gantzen oder eines andern Vermoͤgens
einen mercklichen Abbruch thut/ ſo iſt dieſelbe or-
dentlich fuͤr boͤſe
und nicht gut zu achten.

21.

Hieraus folget nothwendig/ daß (1) alle
Dinge fuͤr gut oder boͤſe zu halten/ nach dem die

Erhal-
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[10/0042] Das 1. Hauptſt. von der Gelahrheit Vernunfft weiſet/ daß allein dieſe letztern fuͤr warhafftig gut zu achten/ jene aber vielmehr boͤſe als gut ſind. 19. Denn weil alles/ was an dem gantzen Men- ſchen iſt/ wie wir jetzo erwehnet/ gut iſt/ und weil kein Weſen beſtehen kan/ wo keine Exiſtens oder Daurung iſt; ſo muß nothwendig alles dasjenige/ was die Dauerung des gantzen o- der eines theiles als den Grund alles Guten ruiniret/ unter boͤſe Dinge gehoͤren/ und kan man eine augenblickliche ob wohl ſehr merckliche Vermehrung der menſchlichen Kraͤffte ſo wenig fuͤr etwas gutes halten/ wenn in kurtzen eine Nie- derreiſſung oder Beraubung der Kraͤffte darauff folget; Als wenn man einen/ der ein mittel- maͤßiges Auskommen haͤtte/ eine Million vereh- ren/ und wenn er nach Proportion derſelben etli- che wenige Tage ſeinen Staat eingerichtet haͤtte/ dieſelbige nebſt ſeinen vorigen Vermoͤgen wie- dernehmen/ und ihn an den Bettelſtab bringen/ aber dabey bereden wolte/ was man ihm fuͤr eine Gutthat bewieſen haͤtte. 20. Und weil demnach/ wie wir bald hoͤren werden/ alle ſehr empfindliche Vermehrung des menſchlichen Veꝛmoͤgens entweder der Dau- erung des gantzen oder eines andern Vermoͤgens einen mercklichen Abbruch thut/ ſo iſt dieſelbe or- dentlich fuͤr boͤſe und nicht gut zu achten. 21. Hieraus folget nothwendig/ daß (1) alle Dinge fuͤr gut oder boͤſe zu halten/ nach dem die Erhal-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/42>, abgerufen am 16.04.2024.