Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite
Das 1. Haupst. von der Gelahrheit
132.

Wir könten hiervon tausend Exempel
für eines geben. Wie viele brauchen bey der
Gesundheit Artzeney;
wie viel Medici ordini-
ren einen Gesunden Menschen er solle sich zuwei-
len einen Rausch trincken. Wie viele bilden
sich ein/ das Wasser/ das GOtt dem Menschen
zum Tranck verordnet hat/ sey ungesund/ weil
der Wein den schwachen Magen nöthig ist. Mit
einem Worte/ unsere gantze Kinderzucht
taugt wegen dieses praejudicii gantz und gar
nichts/ weil wir unsere Kinder von Jugend auff
nicht anders als patienten aufferziehen/ und zu
patienten an Verstand und Willen fast durch-
gehends damit machen.

133.

Mit dem bono positivo gehen noch
mehr Jrrthümer vor/ weil auch vielleicht viel Ge-
lehrte selbst mich auslachen werden/ daß ich das
bonum privativum für die vortrefflichste
Art
ansgegeben. Alleine wenn man die oben
angeführte Exempel betrachten wird/ wird man
diese meine Meinung nicht so belachens würdig
halten/ zumahl weil wir schon oben erwehnet/
daß der Mensch sehr vieler Dinge in dieser Welt
entbehren könne/ und also die bona positiva
mehrentheils unter die nicht nothwendi-
gen Güter
gehören. Aus dieser Ursachen willen
wird auch in der Bürgerlichen Gesellschafft z. e.
einer der aus Rache einen andern umbgebracht/
oder umb reich zu werden gestohlen/ scharffer ge-
strafft/ als der in moderamine inculpatae tutelae

einen
Das 1. Haupſt. von der Gelahrheit
132.

Wir koͤnten hiervon tauſend Exempel
fuͤr eines geben. Wie viele brauchen bey der
Geſundheit Artzeney;
wie viel Medici ordini-
ren einen Geſunden Menſchen er ſolle ſich zuwei-
len einen Rauſch trincken. Wie viele bilden
ſich ein/ das Waſſer/ das GOtt dem Menſchen
zum Tranck verordnet hat/ ſey ungeſund/ weil
der Wein den ſchwachen Magen noͤthig iſt. Mit
einem Worte/ unſere gantze Kinderzucht
taugt wegen dieſes præjudicii gantz und gar
nichts/ weil wir unſere Kinder von Jugend auff
nicht anders als patienten aufferziehen/ und zu
patienten an Verſtand und Willen faſt durch-
gehends damit machen.

133.

Mit dem bono poſitivo gehen noch
mehr Jrrthuͤmer vor/ weil auch vielleicht viel Ge-
lehrte ſelbſt mich auslachen werden/ daß ich das
bonum privativum fuͤr die vortrefflichſte
Art
ansgegeben. Alleine wenn man die oben
angefuͤhrte Exempel betrachten wird/ wird man
dieſe meine Meinung nicht ſo belachens wuͤrdig
halten/ zumahl weil wir ſchon oben erwehnet/
daß der Menſch ſehr vieler Dinge in dieſer Welt
entbehren koͤnne/ und alſo die bona poſitiva
mehrentheils unter die nicht nothwendi-
gen Guͤter
gehoͤren. Aus dieſer Urſachen willen
wird auch in der Buͤrgerlichen Geſellſchafft z. e.
einer der aus Rache einen andern umbgebracht/
oder umb reich zu werden geſtohlen/ ſcharffer ge-
ſtꝛafft/ als der in moderamine inculpatæ tutelæ

einen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0082" n="50"/>
        <fw place="top" type="header">Das 1. Haup&#x017F;t. von der Gelahrheit</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>132.</head>
          <p>Wir ko&#x0364;nten hiervon tau&#x017F;end Exempel<lb/>
fu&#x0364;r eines geben. Wie viele brauchen bey <hi rendition="#fr">der<lb/>
Ge&#x017F;undheit Artzeney;</hi> wie viel <hi rendition="#aq">Medici ordini-</hi><lb/>
ren einen Ge&#x017F;unden Men&#x017F;chen er &#x017F;olle &#x017F;ich zuwei-<lb/>
len <hi rendition="#fr">einen Rau&#x017F;ch trincken.</hi> Wie viele bilden<lb/>
&#x017F;ich ein/ <hi rendition="#fr">das Wa&#x017F;&#x017F;er/</hi> das GOtt dem Men&#x017F;chen<lb/>
zum Tranck verordnet hat/ &#x017F;ey unge&#x017F;und/ weil<lb/>
der Wein den &#x017F;chwachen Magen no&#x0364;thig i&#x017F;t. Mit<lb/>
einem Worte/ <hi rendition="#fr">un&#x017F;ere gantze Kinderzucht</hi><lb/>
taugt wegen die&#x017F;es <hi rendition="#aq">præjudicii</hi> gantz und gar<lb/>
nichts/ weil wir un&#x017F;ere Kinder von Jugend auff<lb/>
nicht anders als <hi rendition="#aq">patien</hi>ten aufferziehen/ und zu<lb/><hi rendition="#aq">patien</hi>ten an Ver&#x017F;tand und Willen fa&#x017F;t durch-<lb/>
gehends damit machen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>133.</head>
          <p>Mit dem <hi rendition="#aq">bono po&#x017F;itivo</hi> gehen noch<lb/>
mehr Jrrthu&#x0364;mer vor/ weil auch vielleicht viel Ge-<lb/>
lehrte &#x017F;elb&#x017F;t mich auslachen werden/ daß ich das<lb/><hi rendition="#aq">bonum privativum</hi> <hi rendition="#fr">fu&#x0364;r die vortrefflich&#x017F;te<lb/>
Art</hi> ansgegeben. Alleine wenn man die oben<lb/>
angefu&#x0364;hrte Exempel betrachten wird/ wird man<lb/>
die&#x017F;e meine Meinung nicht &#x017F;o belachens wu&#x0364;rdig<lb/>
halten/ zumahl weil wir &#x017F;chon oben erwehnet/<lb/>
daß der Men&#x017F;ch &#x017F;ehr vieler Dinge in die&#x017F;er Welt<lb/>
entbehren ko&#x0364;nne/ und al&#x017F;o die <hi rendition="#aq">bona po&#x017F;itiva</hi><lb/><hi rendition="#fr">mehrentheils unter die nicht nothwendi-<lb/>
gen Gu&#x0364;ter</hi> geho&#x0364;ren. Aus die&#x017F;er Ur&#x017F;achen willen<lb/>
wird auch in der Bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft z. e.<lb/>
einer der aus Rache einen andern umbgebracht/<lb/>
oder umb reich zu werden ge&#x017F;tohlen/ &#x017F;charffer ge-<lb/>
&#x017F;t&#xA75B;afft/ als der <hi rendition="#aq">in moderamine inculpatæ tutelæ</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">einen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0082] Das 1. Haupſt. von der Gelahrheit 132. Wir koͤnten hiervon tauſend Exempel fuͤr eines geben. Wie viele brauchen bey der Geſundheit Artzeney; wie viel Medici ordini- ren einen Geſunden Menſchen er ſolle ſich zuwei- len einen Rauſch trincken. Wie viele bilden ſich ein/ das Waſſer/ das GOtt dem Menſchen zum Tranck verordnet hat/ ſey ungeſund/ weil der Wein den ſchwachen Magen noͤthig iſt. Mit einem Worte/ unſere gantze Kinderzucht taugt wegen dieſes præjudicii gantz und gar nichts/ weil wir unſere Kinder von Jugend auff nicht anders als patienten aufferziehen/ und zu patienten an Verſtand und Willen faſt durch- gehends damit machen. 133. Mit dem bono poſitivo gehen noch mehr Jrrthuͤmer vor/ weil auch vielleicht viel Ge- lehrte ſelbſt mich auslachen werden/ daß ich das bonum privativum fuͤr die vortrefflichſte Art ansgegeben. Alleine wenn man die oben angefuͤhrte Exempel betrachten wird/ wird man dieſe meine Meinung nicht ſo belachens wuͤrdig halten/ zumahl weil wir ſchon oben erwehnet/ daß der Menſch ſehr vieler Dinge in dieſer Welt entbehren koͤnne/ und alſo die bona poſitiva mehrentheils unter die nicht nothwendi- gen Guͤter gehoͤren. Aus dieſer Urſachen willen wird auch in der Buͤrgerlichen Geſellſchafft z. e. einer der aus Rache einen andern umbgebracht/ oder umb reich zu werden geſtohlen/ ſcharffer ge- ſtꝛafft/ als der in moderamine inculpatæ tutelæ einen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/82
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/82>, abgerufen am 19.04.2024.