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Thünen, Johann Heinrich von: Der isolirte Staat in Beziehung auf Landwirthschaft und Nationalökonomie. Hamburg, 1826.

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den Menschen werden brodtlos, weil sie keine Arbeit fin-
den, wodurch sie sich ernähren könnten: denn da der
Staat in seinem blühenden Zustande so viele Menschen
hatte, daß alle nützlichen Arbeiten verrichtet wurden, so
können die aus dem verlassenen Distrikt hinzukommenden
Arbeiter nirgends mehr nützlich beschäftigt werden, und
also auch nirgends Erwerb und Unterhalt finden. Aber
nicht bloß die mit dem Ackerbau beschäftigten Menschen,
sondern auch alle Bewohner der Stadt, die sonst für die-
sen nun verödeten Distrikt arbeiteten, Handwerker, Fa-
brikanten, Krämer u. s. w. verlieren nun ebenfalls ih-
ren Erwerb und ihren Unterhalt. Die ganze hiedurch
überflüßig gewordene Volksmenge muß, um der gänz-
lichen Verarmung und dem Elende zu entgehen, nun
auswandern, und sich ein anderes Vaterland aufsuchen.

Nachdem die Kultur des Bodens auf einen engern
Kreis beschränkt ist, und nachdem die Auswanderung der
dadurch überflüßig gewordenen Menschen vollendet ist,
kehrt alles zu seinem vorigen Gleichgewicht zurück; aber
der Staat hat an Ausdehnung und Bevölkerung verloren
und hat zugleich einen Theil seines Kapitals und seiner
Landrente eingebüßt.

Eine solche gewaltsame Wirkung übt die Steuer
nur da aus, wo sie neu eingeführt wird; ist hingegen
das Abgabensystem von der ersten Bildung des Staats
an dasselbe geblieben: so hat sich die Kultur des Bodens
nicht weiter ausgedehnt, die Bevölkerung hat sich nicht wei-
ter vermehrt, als mit den Abgaben verträglich war; und
alles ist hier in einem eben so vollkommenen Gleichge-
wicht, als in dem Staat, der gar keine Abgaben erhebt.

Würden aber in einem solchen Staat die bestehenden
Abgaben auf einmal und für immer abgeschafft, so müß-
ten sich hier die entgegengesetzten Erscheinungen zeigen:
es würden Kapitalien gesammelt werden, die dadurch

den Menſchen werden brodtlos, weil ſie keine Arbeit fin-
den, wodurch ſie ſich ernaͤhren koͤnnten: denn da der
Staat in ſeinem bluͤhenden Zuſtande ſo viele Menſchen
hatte, daß alle nuͤtzlichen Arbeiten verrichtet wurden, ſo
koͤnnen die aus dem verlaſſenen Diſtrikt hinzukommenden
Arbeiter nirgends mehr nuͤtzlich beſchaͤftigt werden, und
alſo auch nirgends Erwerb und Unterhalt finden. Aber
nicht bloß die mit dem Ackerbau beſchaͤftigten Menſchen,
ſondern auch alle Bewohner der Stadt, die ſonſt fuͤr die-
ſen nun veroͤdeten Diſtrikt arbeiteten, Handwerker, Fa-
brikanten, Kraͤmer u. ſ. w. verlieren nun ebenfalls ih-
ren Erwerb und ihren Unterhalt. Die ganze hiedurch
uͤberfluͤßig gewordene Volksmenge muß, um der gaͤnz-
lichen Verarmung und dem Elende zu entgehen, nun
auswandern, und ſich ein anderes Vaterland aufſuchen.

Nachdem die Kultur des Bodens auf einen engern
Kreis beſchraͤnkt iſt, und nachdem die Auswanderung der
dadurch uͤberfluͤßig gewordenen Menſchen vollendet iſt,
kehrt alles zu ſeinem vorigen Gleichgewicht zuruͤck; aber
der Staat hat an Ausdehnung und Bevoͤlkerung verloren
und hat zugleich einen Theil ſeines Kapitals und ſeiner
Landrente eingebuͤßt.

Eine ſolche gewaltſame Wirkung uͤbt die Steuer
nur da aus, wo ſie neu eingefuͤhrt wird; iſt hingegen
das Abgabenſyſtem von der erſten Bildung des Staats
an daſſelbe geblieben: ſo hat ſich die Kultur des Bodens
nicht weiter ausgedehnt, die Bevoͤlkerung hat ſich nicht wei-
ter vermehrt, als mit den Abgaben vertraͤglich war; und
alles iſt hier in einem eben ſo vollkommenen Gleichge-
wicht, als in dem Staat, der gar keine Abgaben erhebt.

Wuͤrden aber in einem ſolchen Staat die beſtehenden
Abgaben auf einmal und fuͤr immer abgeſchafft, ſo muͤß-
ten ſich hier die entgegengeſetzten Erſcheinungen zeigen:
es wuͤrden Kapitalien geſammelt werden, die dadurch

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[258/0272] den Menſchen werden brodtlos, weil ſie keine Arbeit fin- den, wodurch ſie ſich ernaͤhren koͤnnten: denn da der Staat in ſeinem bluͤhenden Zuſtande ſo viele Menſchen hatte, daß alle nuͤtzlichen Arbeiten verrichtet wurden, ſo koͤnnen die aus dem verlaſſenen Diſtrikt hinzukommenden Arbeiter nirgends mehr nuͤtzlich beſchaͤftigt werden, und alſo auch nirgends Erwerb und Unterhalt finden. Aber nicht bloß die mit dem Ackerbau beſchaͤftigten Menſchen, ſondern auch alle Bewohner der Stadt, die ſonſt fuͤr die- ſen nun veroͤdeten Diſtrikt arbeiteten, Handwerker, Fa- brikanten, Kraͤmer u. ſ. w. verlieren nun ebenfalls ih- ren Erwerb und ihren Unterhalt. Die ganze hiedurch uͤberfluͤßig gewordene Volksmenge muß, um der gaͤnz- lichen Verarmung und dem Elende zu entgehen, nun auswandern, und ſich ein anderes Vaterland aufſuchen. Nachdem die Kultur des Bodens auf einen engern Kreis beſchraͤnkt iſt, und nachdem die Auswanderung der dadurch uͤberfluͤßig gewordenen Menſchen vollendet iſt, kehrt alles zu ſeinem vorigen Gleichgewicht zuruͤck; aber der Staat hat an Ausdehnung und Bevoͤlkerung verloren und hat zugleich einen Theil ſeines Kapitals und ſeiner Landrente eingebuͤßt. Eine ſolche gewaltſame Wirkung uͤbt die Steuer nur da aus, wo ſie neu eingefuͤhrt wird; iſt hingegen das Abgabenſyſtem von der erſten Bildung des Staats an daſſelbe geblieben: ſo hat ſich die Kultur des Bodens nicht weiter ausgedehnt, die Bevoͤlkerung hat ſich nicht wei- ter vermehrt, als mit den Abgaben vertraͤglich war; und alles iſt hier in einem eben ſo vollkommenen Gleichge- wicht, als in dem Staat, der gar keine Abgaben erhebt. Wuͤrden aber in einem ſolchen Staat die beſtehenden Abgaben auf einmal und fuͤr immer abgeſchafft, ſo muͤß- ten ſich hier die entgegengeſetzten Erſcheinungen zeigen: es wuͤrden Kapitalien geſammelt werden, die dadurch

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Zitationshilfe: Thünen, Johann Heinrich von: Der isolirte Staat in Beziehung auf Landwirthschaft und Nationalökonomie. Hamburg, 1826, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuenen_staat_1826/272>, abgerufen am 25.04.2024.