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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Die alltägliche Geschichte von so Vielen, bemerkte der Unbekannte, und der gewöhnliche Weg unwürdiger Eitelkeit, der die Menschen lustig in die Arme der Verachtung führt.

Wie haben Sie sich nur dieses sichere Auge erwerben können? fragte der Rath; auch erstaune ich über die Art, mit der Sie dem Julio nachzeichnen, da Sie doch kein Künstler sind, wie Sie sagen.

Aber ich studire seit lange die Kunst, antwortete der Fremde; ich habe die wichtigsten Gallerieen in Europa fleißig und nicht ohne Nutzen gesehen, mein Blick ist von Natur scharf und richtig und noch durch Uebung gebildet und sicher gemacht, so daß ich mir schmeicheln darf, wohl nicht so leicht, am wenigsten über meine Lieblinge zu irren.

Der Fremde empfahl sich jetzt, nachdem er dem Sammler hatte versprechen müssen, am folgenden Mittage bei ihm zu essen, denn der Alte hatte vor den Kenntnissen des Reisenden große Achtung gewonnen.

Mit unbeschreiblichem Zorne ging Eduard nach Hause. Er trat wüthend ein, warf alle Thüren heftig hinter sich zu und eilte durch die großen Gemächer nach einem kleinen Hinterstübchen, wo in der Dämmerung der alte Eulenböck bei einem Glase starken Weines seiner

Die alltägliche Geschichte von so Vielen, bemerkte der Unbekannte, und der gewöhnliche Weg unwürdiger Eitelkeit, der die Menschen lustig in die Arme der Verachtung führt.

Wie haben Sie sich nur dieses sichere Auge erwerben können? fragte der Rath; auch erstaune ich über die Art, mit der Sie dem Julio nachzeichnen, da Sie doch kein Künstler sind, wie Sie sagen.

Aber ich studire seit lange die Kunst, antwortete der Fremde; ich habe die wichtigsten Gallerieen in Europa fleißig und nicht ohne Nutzen gesehen, mein Blick ist von Natur scharf und richtig und noch durch Uebung gebildet und sicher gemacht, so daß ich mir schmeicheln darf, wohl nicht so leicht, am wenigsten über meine Lieblinge zu irren.

Der Fremde empfahl sich jetzt, nachdem er dem Sammler hatte versprechen müssen, am folgenden Mittage bei ihm zu essen, denn der Alte hatte vor den Kenntnissen des Reisenden große Achtung gewonnen.

Mit unbeschreiblichem Zorne ging Eduard nach Hause. Er trat wüthend ein, warf alle Thüren heftig hinter sich zu und eilte durch die großen Gemächer nach einem kleinen Hinterstübchen, wo in der Dämmerung der alte Eulenböck bei einem Glase starken Weines seiner

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[0022] Die alltägliche Geschichte von so Vielen, bemerkte der Unbekannte, und der gewöhnliche Weg unwürdiger Eitelkeit, der die Menschen lustig in die Arme der Verachtung führt. Wie haben Sie sich nur dieses sichere Auge erwerben können? fragte der Rath; auch erstaune ich über die Art, mit der Sie dem Julio nachzeichnen, da Sie doch kein Künstler sind, wie Sie sagen. Aber ich studire seit lange die Kunst, antwortete der Fremde; ich habe die wichtigsten Gallerieen in Europa fleißig und nicht ohne Nutzen gesehen, mein Blick ist von Natur scharf und richtig und noch durch Uebung gebildet und sicher gemacht, so daß ich mir schmeicheln darf, wohl nicht so leicht, am wenigsten über meine Lieblinge zu irren. Der Fremde empfahl sich jetzt, nachdem er dem Sammler hatte versprechen müssen, am folgenden Mittage bei ihm zu essen, denn der Alte hatte vor den Kenntnissen des Reisenden große Achtung gewonnen. Mit unbeschreiblichem Zorne ging Eduard nach Hause. Er trat wüthend ein, warf alle Thüren heftig hinter sich zu und eilte durch die großen Gemächer nach einem kleinen Hinterstübchen, wo in der Dämmerung der alte Eulenböck bei einem Glase starken Weines seiner

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/22>, abgerufen am 28.03.2024.