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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wissen Eil und Heftigkeit, etwas so Unerhörtes oder nur Besonderes? Im Schönen, wenn es erscheint, wird der Reiz der Sinnenwelt zum Göttlichen erhöht, und so wird die stumme Ehrfurcht, die hülflose Rührung unbegeisterter Gemüther durch die Kunst zur himmlischen Andacht erhoben. Es ist, wenn auch verzeihlich, doch abgeschmackt, wenn bloß des frommen Gegenstandes wegen ein elendes Bild den gläubigen Beschauer entzückt, aber es ist mir völlig unbegreiflich, wenn sich ein fühlendes Herz vor der Sixtinischen Maria zu Dresden des Glaubens und der Andacht erwehren kann. Ich weiß es wohl, daß die neuen Bestrebungen jüngerer Künstler, zu denen ich mich auch bekennen muß, bei vielen trefflichen Leuten großes Aergerniß erregt haben, aber man sollte sich doch endlich ohne Leidenschaft überzeugen, daß das alte, ganz ausgefahrene Geleise kein Weg mehr ist. Was haben Diejenigen, die diese neue Lehre zuerst wieder aufbrachten, denn anders gewollt, als das Gemüth wieder erwecken, welches seit langer Zeit bei allen Kunstproductionen als ganz überflüssig angesehen worden war? Und hat denn diese neue Schule nicht schon vieles Achtungswürdige hervorgebracht? Ein Geist offenbart sich, das ist nicht abzuläugnen, der sich kräftigen wird und ausbilden, ein neuer Weg ist gefunden, auf welchem freilich, wie bei jeder Begeisterung, mancher Unberufene auch das Uebertriebene, Widerwärtige und ganz Tadelswürdige hervorbringen wird. Ist denn aber das Schlechte dieser Zeit wirklich schlechter als was weiland ein gefeierter Ca-

wissen Eil und Heftigkeit, etwas so Unerhörtes oder nur Besonderes? Im Schönen, wenn es erscheint, wird der Reiz der Sinnenwelt zum Göttlichen erhöht, und so wird die stumme Ehrfurcht, die hülflose Rührung unbegeisterter Gemüther durch die Kunst zur himmlischen Andacht erhoben. Es ist, wenn auch verzeihlich, doch abgeschmackt, wenn bloß des frommen Gegenstandes wegen ein elendes Bild den gläubigen Beschauer entzückt, aber es ist mir völlig unbegreiflich, wenn sich ein fühlendes Herz vor der Sixtinischen Maria zu Dresden des Glaubens und der Andacht erwehren kann. Ich weiß es wohl, daß die neuen Bestrebungen jüngerer Künstler, zu denen ich mich auch bekennen muß, bei vielen trefflichen Leuten großes Aergerniß erregt haben, aber man sollte sich doch endlich ohne Leidenschaft überzeugen, daß das alte, ganz ausgefahrene Geleise kein Weg mehr ist. Was haben Diejenigen, die diese neue Lehre zuerst wieder aufbrachten, denn anders gewollt, als das Gemüth wieder erwecken, welches seit langer Zeit bei allen Kunstproductionen als ganz überflüssig angesehen worden war? Und hat denn diese neue Schule nicht schon vieles Achtungswürdige hervorgebracht? Ein Geist offenbart sich, das ist nicht abzuläugnen, der sich kräftigen wird und ausbilden, ein neuer Weg ist gefunden, auf welchem freilich, wie bei jeder Begeisterung, mancher Unberufene auch das Uebertriebene, Widerwärtige und ganz Tadelswürdige hervorbringen wird. Ist denn aber das Schlechte dieser Zeit wirklich schlechter als was weiland ein gefeierter Ca-

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[0041] wissen Eil und Heftigkeit, etwas so Unerhörtes oder nur Besonderes? Im Schönen, wenn es erscheint, wird der Reiz der Sinnenwelt zum Göttlichen erhöht, und so wird die stumme Ehrfurcht, die hülflose Rührung unbegeisterter Gemüther durch die Kunst zur himmlischen Andacht erhoben. Es ist, wenn auch verzeihlich, doch abgeschmackt, wenn bloß des frommen Gegenstandes wegen ein elendes Bild den gläubigen Beschauer entzückt, aber es ist mir völlig unbegreiflich, wenn sich ein fühlendes Herz vor der Sixtinischen Maria zu Dresden des Glaubens und der Andacht erwehren kann. Ich weiß es wohl, daß die neuen Bestrebungen jüngerer Künstler, zu denen ich mich auch bekennen muß, bei vielen trefflichen Leuten großes Aergerniß erregt haben, aber man sollte sich doch endlich ohne Leidenschaft überzeugen, daß das alte, ganz ausgefahrene Geleise kein Weg mehr ist. Was haben Diejenigen, die diese neue Lehre zuerst wieder aufbrachten, denn anders gewollt, als das Gemüth wieder erwecken, welches seit langer Zeit bei allen Kunstproductionen als ganz überflüssig angesehen worden war? Und hat denn diese neue Schule nicht schon vieles Achtungswürdige hervorgebracht? Ein Geist offenbart sich, das ist nicht abzuläugnen, der sich kräftigen wird und ausbilden, ein neuer Weg ist gefunden, auf welchem freilich, wie bei jeder Begeisterung, mancher Unberufene auch das Uebertriebene, Widerwärtige und ganz Tadelswürdige hervorbringen wird. Ist denn aber das Schlechte dieser Zeit wirklich schlechter als was weiland ein gefeierter Ca-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/41>, abgerufen am 25.04.2024.