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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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nova erschuf, oder das Leere leerer, als jenes kalte Abschreiben der mißverstandenen Antike, das jene ganze frühere Zeit als einen großen Lückenbüßer in der Kunstgeschichte darstellt? Waren denn nicht bizarre Manieristen auch damals die tröstenden Erscheinungen? Und hat denn der Hülfverein für die Kunst, von verehrten Männern gestiftet, etwas Tüchtiges hervorbringen können?

Junger Mann, sagte der Unbekannte mit der schneidendsten Kälte: ich müßte zehn Jahre jünger, oder Sie einige älter sein, wenn ich über so wichtigen Gegenstand mit Ihnen streiten sollte. Dieser neue phantastische Traum hat sich der Zeit bemächtigt, das ist freilich nicht zu läugnen, und muß nun bis zum Erwachen fortgeschlummert werden. Waren jene, die Sie tadeln wollen, vielleicht zu nüchtern, so sind dafür die jetzt Gepriesenen in einem kränklichen Rausch befangen, indem ihnen ein wenig schwaches Getränk zu Kopfe gestiegen ist.

Sie wollten nicht streiten, rief der junge Maler, und thun mehr, Sie sind bitter. In der Leidenschaft ist man wenigstens keines freien Urtheils fähig. Ob die Partei, für die Sie mit solchen Waffen kämpfen, dadurch gewinnen kann, muß die Zukunft entscheiden.

Sophie sah den Jüngling ermuthigend mit einem schadenfrohen Blicke an, Walther war schon besorgt; doch nahm der Bilderhändler Erich das Gespräch beruhigend auf und sagte: sobald sich ein heftiger Widerstreit in der Zeit regt, so ist es ein Zeichen, daß etwas Wirkliches in der Mitte liegt, das den Streit wohl verdient, und

nova erschuf, oder das Leere leerer, als jenes kalte Abschreiben der mißverstandenen Antike, das jene ganze frühere Zeit als einen großen Lückenbüßer in der Kunstgeschichte darstellt? Waren denn nicht bizarre Manieristen auch damals die tröstenden Erscheinungen? Und hat denn der Hülfverein für die Kunst, von verehrten Männern gestiftet, etwas Tüchtiges hervorbringen können?

Junger Mann, sagte der Unbekannte mit der schneidendsten Kälte: ich müßte zehn Jahre jünger, oder Sie einige älter sein, wenn ich über so wichtigen Gegenstand mit Ihnen streiten sollte. Dieser neue phantastische Traum hat sich der Zeit bemächtigt, das ist freilich nicht zu läugnen, und muß nun bis zum Erwachen fortgeschlummert werden. Waren jene, die Sie tadeln wollen, vielleicht zu nüchtern, so sind dafür die jetzt Gepriesenen in einem kränklichen Rausch befangen, indem ihnen ein wenig schwaches Getränk zu Kopfe gestiegen ist.

Sie wollten nicht streiten, rief der junge Maler, und thun mehr, Sie sind bitter. In der Leidenschaft ist man wenigstens keines freien Urtheils fähig. Ob die Partei, für die Sie mit solchen Waffen kämpfen, dadurch gewinnen kann, muß die Zukunft entscheiden.

Sophie sah den Jüngling ermuthigend mit einem schadenfrohen Blicke an, Walther war schon besorgt; doch nahm der Bilderhändler Erich das Gespräch beruhigend auf und sagte: sobald sich ein heftiger Widerstreit in der Zeit regt, so ist es ein Zeichen, daß etwas Wirkliches in der Mitte liegt, das den Streit wohl verdient, und

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/42>, abgerufen am 18.04.2024.