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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Erleuchtung geordnet. Außer jenem Porträt sah man dort eine so unvergleichliche Landschaft von Nicolas Poussin, wie mir noch nie eine vorgekommen ist. Im sanften Abendlicht fuhr Christus mit seinen Jüngern auf dem Wasser. Die Lieblichkeit des Wiederscheins der Häuser und Bäume, die klare Luft, die Durchsichtigkeit der Wellen, der edle Charakter des Erlösers und die himmlische Ruhe, die über dem Ganzen schwebte und unser Gemüth wie in Wehmuth und friedlicher Sehnsucht auflös'te, ist nicht zu beschreiben. Daneben hing ein Christus mit der Dornenkrone, von Guido Reni, von einem Ausdrucke, wie ich ihn seitdem auch nicht wieder gesehen habe. Der alte Freund wollte sonst in seinem Eigensinne den trefflichen Guido vielleicht zu wenig gelten lassen; aber vor diesem Bilde war er immer entzückt, und es ist wahr, man sah es, so oft man es sah, jedesmal von Neuem; die vertraute Bekanntschaft mit ihm erhöhte nur den Genuß und ließ immer neue, noch geistigere Schönheiten entdecken. Dieser Ausdruck der Milde, des ergebenen Duldens, der himmlischen Güte und des Verzeihens mußten auch das starrste Herz durchdringen. Es war nicht jene gesteigerte Leidenschaftlichkeit, wie man wohl in andern ähnlichen Bildern des Guido wahrnimmt, und die uns bei trefflicher Behandlung des Gegenstandes doch eher zurückstößt als anzieht, sondern es war das süßeste wie das schmerzlichste Gemälde. Durch die zarten Fleischpartien unter Wange, Kinn und Auge sah und fühlte man den ganzen

Erleuchtung geordnet. Außer jenem Porträt sah man dort eine so unvergleichliche Landschaft von Nicolas Poussin, wie mir noch nie eine vorgekommen ist. Im sanften Abendlicht fuhr Christus mit seinen Jüngern auf dem Wasser. Die Lieblichkeit des Wiederscheins der Häuser und Bäume, die klare Luft, die Durchsichtigkeit der Wellen, der edle Charakter des Erlösers und die himmlische Ruhe, die über dem Ganzen schwebte und unser Gemüth wie in Wehmuth und friedlicher Sehnsucht auflös'te, ist nicht zu beschreiben. Daneben hing ein Christus mit der Dornenkrone, von Guido Reni, von einem Ausdrucke, wie ich ihn seitdem auch nicht wieder gesehen habe. Der alte Freund wollte sonst in seinem Eigensinne den trefflichen Guido vielleicht zu wenig gelten lassen; aber vor diesem Bilde war er immer entzückt, und es ist wahr, man sah es, so oft man es sah, jedesmal von Neuem; die vertraute Bekanntschaft mit ihm erhöhte nur den Genuß und ließ immer neue, noch geistigere Schönheiten entdecken. Dieser Ausdruck der Milde, des ergebenen Duldens, der himmlischen Güte und des Verzeihens mußten auch das starrste Herz durchdringen. Es war nicht jene gesteigerte Leidenschaftlichkeit, wie man wohl in andern ähnlichen Bildern des Guido wahrnimmt, und die uns bei trefflicher Behandlung des Gegenstandes doch eher zurückstößt als anzieht, sondern es war das süßeste wie das schmerzlichste Gemälde. Durch die zarten Fleischpartien unter Wange, Kinn und Auge sah und fühlte man den ganzen

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Erleuchtung geordnet. Außer jenem Porträt sah man dort eine so                unvergleichliche Landschaft von Nicolas Poussin, wie mir noch nie eine vorgekommen                ist. Im sanften Abendlicht fuhr Christus mit seinen Jüngern auf dem Wasser. Die                Lieblichkeit des Wiederscheins der Häuser und Bäume, die klare Luft, die                Durchsichtigkeit der Wellen, der edle Charakter des Erlösers und die himmlische Ruhe,                die über dem Ganzen schwebte und unser Gemüth wie in Wehmuth und friedlicher                Sehnsucht auflös'te, ist nicht zu beschreiben. Daneben hing ein Christus mit der                Dornenkrone, von Guido Reni, von einem Ausdrucke, wie ich ihn seitdem auch nicht                wieder gesehen habe. Der alte Freund wollte sonst in seinem Eigensinne den                trefflichen Guido vielleicht zu wenig gelten lassen; aber vor diesem Bilde war er                immer entzückt, und es ist wahr, man sah es, so oft man es sah, jedesmal von Neuem;                die vertraute Bekanntschaft mit ihm erhöhte nur den Genuß und ließ immer neue, noch                geistigere Schönheiten entdecken. Dieser Ausdruck der Milde, des ergebenen Duldens,                der himmlischen Güte und des Verzeihens mußten auch das starrste Herz durchdringen.                Es war nicht jene gesteigerte Leidenschaftlichkeit, wie man wohl in andern ähnlichen                Bildern des Guido wahrnimmt, und die uns bei trefflicher Behandlung des Gegenstandes                doch eher zurückstößt als anzieht, sondern es war das süßeste wie das schmerzlichste                Gemälde. Durch die zarten Fleischpartien unter Wange, Kinn und Auge sah und fühlte                man den ganzen<lb/></p>
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[0048] Erleuchtung geordnet. Außer jenem Porträt sah man dort eine so unvergleichliche Landschaft von Nicolas Poussin, wie mir noch nie eine vorgekommen ist. Im sanften Abendlicht fuhr Christus mit seinen Jüngern auf dem Wasser. Die Lieblichkeit des Wiederscheins der Häuser und Bäume, die klare Luft, die Durchsichtigkeit der Wellen, der edle Charakter des Erlösers und die himmlische Ruhe, die über dem Ganzen schwebte und unser Gemüth wie in Wehmuth und friedlicher Sehnsucht auflös'te, ist nicht zu beschreiben. Daneben hing ein Christus mit der Dornenkrone, von Guido Reni, von einem Ausdrucke, wie ich ihn seitdem auch nicht wieder gesehen habe. Der alte Freund wollte sonst in seinem Eigensinne den trefflichen Guido vielleicht zu wenig gelten lassen; aber vor diesem Bilde war er immer entzückt, und es ist wahr, man sah es, so oft man es sah, jedesmal von Neuem; die vertraute Bekanntschaft mit ihm erhöhte nur den Genuß und ließ immer neue, noch geistigere Schönheiten entdecken. Dieser Ausdruck der Milde, des ergebenen Duldens, der himmlischen Güte und des Verzeihens mußten auch das starrste Herz durchdringen. Es war nicht jene gesteigerte Leidenschaftlichkeit, wie man wohl in andern ähnlichen Bildern des Guido wahrnimmt, und die uns bei trefflicher Behandlung des Gegenstandes doch eher zurückstößt als anzieht, sondern es war das süßeste wie das schmerzlichste Gemälde. Durch die zarten Fleischpartien unter Wange, Kinn und Auge sah und fühlte man den ganzen

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/48>, abgerufen am 25.04.2024.