Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
21.
William Lovell an Rosa.


Sie fragten mich gestern, was mir fehle. --
Was hilft es mir, wenn ich nicht ganz aufrich-
tig bin. -- Ich will es Ihnen gestehen, daß ein
Brief des jungen Burton mir allen Muth und
alle Laune genommen hatte. Die Vergangen-
heit kam so freundlich auf mich zu, und war so
glänzend, wie mit einem Heiligenschein umge-
ben. Sie werden sagen: Das ist sie immer,
und zwar aus keinem andern Grunde, als weil
sie Vergangenheit ist. Aber nein, es lag noch
etwas anders darin, ein Etwas, das ich nicht
beschreiben kann, und das ich um alles nicht
noch einmahl fühlen möchte.

Sie werden vielleicht die Erfahrung an sich
gemacht haben, daß nichts uns so sehr demü-
thigt, als wenn uns plötzlich über irgend eine
Sache oder Person die Augen aufgethan wer-
den, die wir bis dahin mit Enthusiasmus ver-
ehrt, ja fast angebetet haben. Der nüchterne
Schwindel, der dann durch unsern Kopf fährt,

21.
William Lovell an Roſa.


Sie fragten mich geſtern, was mir fehle. —
Was hilft es mir, wenn ich nicht ganz aufrich-
tig bin. — Ich will es Ihnen geſtehen, daß ein
Brief des jungen Burton mir allen Muth und
alle Laune genommen hatte. Die Vergangen-
heit kam ſo freundlich auf mich zu, und war ſo
glaͤnzend, wie mit einem Heiligenſchein umge-
ben. Sie werden ſagen: Das iſt ſie immer,
und zwar aus keinem andern Grunde, als weil
ſie Vergangenheit iſt. Aber nein, es lag noch
etwas anders darin, ein Etwas, das ich nicht
beſchreiben kann, und das ich um alles nicht
noch einmahl fuͤhlen moͤchte.

Sie werden vielleicht die Erfahrung an ſich
gemacht haben, daß nichts uns ſo ſehr demuͤ-
thigt, als wenn uns ploͤtzlich uͤber irgend eine
Sache oder Perſon die Augen aufgethan wer-
den, die wir bis dahin mit Enthuſiasmus ver-
ehrt, ja faſt angebetet haben. Der nuͤchterne
Schwindel, der dann durch unſern Kopf faͤhrt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0108" n="102"/>
        <div n="2">
          <head>21.<lb/><hi rendition="#g">William Lovell</hi> an <hi rendition="#g">Ro&#x017F;a</hi>.</head><lb/>
          <dateline>
            <placeName> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Rom</hi>.</hi> </placeName>
          </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">S</hi>ie fragten mich ge&#x017F;tern, was mir fehle. &#x2014;<lb/>
Was hilft es mir, wenn ich nicht ganz aufrich-<lb/>
tig bin. &#x2014; Ich will es Ihnen ge&#x017F;tehen, daß ein<lb/>
Brief des jungen Burton mir allen Muth und<lb/>
alle Laune genommen hatte. Die Vergangen-<lb/>
heit kam &#x017F;o freundlich auf mich zu, und war &#x017F;o<lb/>
gla&#x0364;nzend, wie mit einem Heiligen&#x017F;chein umge-<lb/>
ben. Sie werden &#x017F;agen: Das i&#x017F;t &#x017F;ie immer,<lb/>
und zwar aus keinem andern Grunde, als weil<lb/>
&#x017F;ie Vergangenheit i&#x017F;t. Aber nein, es lag noch<lb/>
etwas anders darin, ein Etwas, das ich nicht<lb/>
be&#x017F;chreiben kann, und das ich um alles nicht<lb/>
noch einmahl fu&#x0364;hlen mo&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>Sie werden vielleicht die Erfahrung an &#x017F;ich<lb/>
gemacht haben, daß nichts uns &#x017F;o &#x017F;ehr demu&#x0364;-<lb/>
thigt, als wenn uns plo&#x0364;tzlich u&#x0364;ber irgend eine<lb/>
Sache oder Per&#x017F;on die Augen aufgethan wer-<lb/>
den, die wir bis dahin mit Enthu&#x017F;iasmus ver-<lb/>
ehrt, ja fa&#x017F;t angebetet haben. Der nu&#x0364;chterne<lb/>
Schwindel, der dann durch un&#x017F;ern Kopf fa&#x0364;hrt,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0108] 21. William Lovell an Roſa. Rom. Sie fragten mich geſtern, was mir fehle. — Was hilft es mir, wenn ich nicht ganz aufrich- tig bin. — Ich will es Ihnen geſtehen, daß ein Brief des jungen Burton mir allen Muth und alle Laune genommen hatte. Die Vergangen- heit kam ſo freundlich auf mich zu, und war ſo glaͤnzend, wie mit einem Heiligenſchein umge- ben. Sie werden ſagen: Das iſt ſie immer, und zwar aus keinem andern Grunde, als weil ſie Vergangenheit iſt. Aber nein, es lag noch etwas anders darin, ein Etwas, das ich nicht beſchreiben kann, und das ich um alles nicht noch einmahl fuͤhlen moͤchte. Sie werden vielleicht die Erfahrung an ſich gemacht haben, daß nichts uns ſo ſehr demuͤ- thigt, als wenn uns ploͤtzlich uͤber irgend eine Sache oder Perſon die Augen aufgethan wer- den, die wir bis dahin mit Enthuſiasmus ver- ehrt, ja faſt angebetet haben. Der nuͤchterne Schwindel, der dann durch unſern Kopf faͤhrt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/108
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/108>, abgerufen am 19.04.2024.