Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
28.
William Lovell an Eduard Burton.


Ich bin Dir noch die Nachricht schuldig, daß
ich mich jetzt besser befinde, und daß ich nun-
mehr bey kälterem Blute Deinen Brief gründ-
licher zu verstehen glaube. Was Du gegen mei-
ne Ideen sagst, ist sehr wahr und gegründet;
allein jeder Mensch hat seine eigene Philosophie,
und die langsamere oder schnellere Cirkulation
des Blutes macht im Grunde die Verschieden-
heit in den Gesinnungen der Menschen aus.
Daher hast Du in Deiner Person völlig Recht,
und ich in der meinigen nicht Unrecht. Das
ist eben das Hohe in der menschlichen Seele,
daß sich ihr einfacher Strahl in so unendlich
mannigfaltige Farben brechen kann; ich gebe
Dir zu, daß keine von allen die wahre sey, aber
eben so wenig kannst Du behaupten, jene ist
ganz verwerflich, weil jedes Auge jede Farbe
anders sieht, und Du das vielleicht Blau nennst,
was mir als Roth erscheint.


28.
William Lovell an Eduard Burton.


Ich bin Dir noch die Nachricht ſchuldig, daß
ich mich jetzt beſſer befinde, und daß ich nun-
mehr bey kaͤlterem Blute Deinen Brief gruͤnd-
licher zu verſtehen glaube. Was Du gegen mei-
ne Ideen ſagſt, iſt ſehr wahr und gegruͤndet;
allein jeder Menſch hat ſeine eigene Philoſophie,
und die langſamere oder ſchnellere Cirkulation
des Blutes macht im Grunde die Verſchieden-
heit in den Geſinnungen der Menſchen aus.
Daher haſt Du in Deiner Perſon voͤllig Recht,
und ich in der meinigen nicht Unrecht. Das
iſt eben das Hohe in der menſchlichen Seele,
daß ſich ihr einfacher Strahl in ſo unendlich
mannigfaltige Farben brechen kann; ich gebe
Dir zu, daß keine von allen die wahre ſey, aber
eben ſo wenig kannſt Du behaupten, jene iſt
ganz verwerflich, weil jedes Auge jede Farbe
anders ſieht, und Du das vielleicht Blau nennſt,
was mir als Roth erſcheint.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0130" n="124"/>
        <div n="2">
          <head>28.<lb/><hi rendition="#g">William Lovell</hi> an <hi rendition="#g">Eduard Burton</hi>.</head><lb/>
          <dateline>
            <placeName> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Rom</hi>.</hi> </placeName>
          </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch bin Dir noch die Nachricht &#x017F;chuldig, daß<lb/>
ich mich jetzt be&#x017F;&#x017F;er befinde, und daß ich nun-<lb/>
mehr bey ka&#x0364;lterem Blute Deinen Brief gru&#x0364;nd-<lb/>
licher zu ver&#x017F;tehen glaube. Was Du gegen mei-<lb/>
ne Ideen &#x017F;ag&#x017F;t, i&#x017F;t &#x017F;ehr wahr und gegru&#x0364;ndet;<lb/>
allein jeder Men&#x017F;ch hat &#x017F;eine eigene Philo&#x017F;ophie,<lb/>
und die lang&#x017F;amere oder &#x017F;chnellere Cirkulation<lb/>
des Blutes macht im Grunde die Ver&#x017F;chieden-<lb/>
heit in den Ge&#x017F;innungen der Men&#x017F;chen aus.<lb/>
Daher ha&#x017F;t Du in Deiner Per&#x017F;on vo&#x0364;llig Recht,<lb/>
und ich in der meinigen nicht Unrecht. Das<lb/>
i&#x017F;t eben das Hohe in der men&#x017F;chlichen Seele,<lb/>
daß &#x017F;ich ihr einfacher Strahl in &#x017F;o unendlich<lb/>
mannigfaltige Farben brechen kann; ich gebe<lb/>
Dir zu, daß keine von allen die wahre &#x017F;ey, aber<lb/>
eben &#x017F;o wenig kann&#x017F;t Du behaupten, jene i&#x017F;t<lb/>
ganz verwerflich, weil jedes Auge jede Farbe<lb/>
anders &#x017F;ieht, und Du das vielleicht Blau nenn&#x017F;t,<lb/>
was mir als Roth er&#x017F;cheint.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0130] 28. William Lovell an Eduard Burton. Rom. Ich bin Dir noch die Nachricht ſchuldig, daß ich mich jetzt beſſer befinde, und daß ich nun- mehr bey kaͤlterem Blute Deinen Brief gruͤnd- licher zu verſtehen glaube. Was Du gegen mei- ne Ideen ſagſt, iſt ſehr wahr und gegruͤndet; allein jeder Menſch hat ſeine eigene Philoſophie, und die langſamere oder ſchnellere Cirkulation des Blutes macht im Grunde die Verſchieden- heit in den Geſinnungen der Menſchen aus. Daher haſt Du in Deiner Perſon voͤllig Recht, und ich in der meinigen nicht Unrecht. Das iſt eben das Hohe in der menſchlichen Seele, daß ſich ihr einfacher Strahl in ſo unendlich mannigfaltige Farben brechen kann; ich gebe Dir zu, daß keine von allen die wahre ſey, aber eben ſo wenig kannſt Du behaupten, jene iſt ganz verwerflich, weil jedes Auge jede Farbe anders ſieht, und Du das vielleicht Blau nennſt, was mir als Roth erſcheint.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/130
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/130>, abgerufen am 19.04.2024.